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Schon frühe Vorfahren des Menschen wie Australopithecus afarensis (Rekonstruktion) nutzten offenbar Steine, um Fleisch zu schneiden.

© Trueba / SPL / Agentur Focus

Urmenschen: Die ersten Schlachter

Die übliche Erzählung der Menschheitsgeschichte kann offenbar nicht ganz stimmen. Ein neuer Fund beweist: Urmenschen benutzten Werkzeuge viel früher als gedacht – und aßen Fleisch.

Für Fossilien, die das Bild der Menschheitsgeschichte revidieren sollen, sehen die beiden Knochen nicht gerade aufregend aus. Sie sind nur einige Zentimeter lang. Blasse Relikte prähistorischer Tiere, Fragmente eines Oberschenkelknochens und einer Rippe. Beide sind uralt (etwa 3,4 Millionen Jahre) und unspektakulär – wären da nicht winzige Spuren, die beweisen, dass Urmenschen viel früher als gedacht Werkzeuge nutzten und Fleisch aßen.

Bisher waren die ältesten Hinweise auf dieses Verhalten Steinwerkzeuge und Werkzeugspuren an Knochen, deren Alter auf etwa 2,5 Millionen Jahre datiert wurde. Fast eine Million Jahre älter sind die Spuren, die das Forscherteam um Zeresenay Alemseged von der Kalifornischen Akademie der Wissenschaften in San Francisco nun in der Afar-Region Äthiopiens entdeckt hat. Kein Wunder, dass die Wissenschaftler den Knochenspuren mit modernsten Methoden zu Leibe rückten, um so sorgfältig wie möglich zu belegen, dass es sich bei ihrer Entdeckung tatsächlich um Spuren von Steinwerkzeugen handelt und nicht etwa Bissspuren von Raubtieren.

Die Wissenschaftler rückten den Spuren mit modernsten Methoden zu Leibe. Unter dem Elektronenmikroskop untersuchten sie die Muster der Kerben und Kratzer und konnten sie so von Bissspuren und Trampelschäden unterscheiden. In einem Kratzer fand sich sogar noch ein mikroskopisch kleines Steinchen, das vermutlich vom Werkzeug stammt. Mit einer Analyse der chemischen Zusammensetzung der Knochenoberfläche konnten sie außerdem zeigen, dass die Spuren entstanden, bevor die Knochen versteinerten. In der Fachzeitschrift „Nature“ (Band 466, Seite 857) kommen die Forscher nun zu einem klaren Ergebnis: Es handelt sich um Spuren von Urmenschen, die die Knochen mit Steinwerkzeugen bearbeiteten, das Fleisch herunterkratzten und die Knochen aufbrachen, um an das Knochenmark zu kommen.

Das ist aus zwei Gründen wichtig: Zum Einen bedeutet es, dass die übliche Erzählung der Menschheitsgeschichte nicht ganz stimmen kann. Bisher gingen viele Forscher davon aus, dass der Aufstieg der Gattung Homo eng mit dem Werkzeuggebrauch zusammenhing. Schließlich tauchten die ersten Vertreter unserer Gattung vor etwa 2,3 Millionen Jahren auf, nach bisheriger Lesart also kurz nach der Erfindung der Werkzeuge. Der Gedanke: Die neue Fertigkeit erlaubte es unseren Vorfahren, mehr Fleisch in ihre Nahrung aufzunehmen. Das lieferte die nötige Energie für ein größeres Gehirn und das verbesserte wiederum die Fähigkeit, Werkzeuge zu gebrauchen. Eine Spirale, auf der der Urmensch über zwei Millionen Jahre zum modernen Menschen emporstieg.

„Dieses Bild müssen wir jetzt überdenken“, sagt Shannon McPherron vom Max-Planck-Institut für Evolutionäre Anthropologie in Leipzig, der an der Untersuchung beteiligt war. Es sei klar, dass der Fleischverzehr für die Evolution eines größeren Gehirns unabdingbar gewesen sei. „Möglicherweise war das aber nur eine Voraussetzung und dann musste noch etwas anderes passieren, etwas, das diese Explosion der Gehirngröße angetrieben hat.“

Aber auch unser Bild der Australopithecinen, der Vorgänger der Gattung Homo, ändert sich. Denn als Urheber der Werkzeugspuren kommt nur Australopithecus afarensis infrage, der einzige Urmensch, den es in diesem Teil Afrikas zu dieser Zeit gab. Die wohl berühmteste Vertreterin dieser Art ist „Lucy“, ein 3,2 Millionen Jahre altes Skelett, das 1974 in Äthiopien entdeckt wurde.

Lucy galt lange als Vertreterin eines sehr affenartigen Urmenschen. „Aber das Verhalten und die Biologie, die wir mit Australopithecus afarensis verbinden, ändert sich“, sagt David Braun, Paläoanthropologe an der Universität Kapstadt. „Lucy war offenbar sehr viel menschenähnlicher, als wir dachten.“ So wurde erst vor wenigen Wochen ein Knochenfund beschreiben, der die Statur dieses Urmenschen näher an die des modernen Menschen rückt.

„Wenn wir uns Lucy beim Durchstreifen der ostafrikanischen Landschaft auf der Suche nach Nahrung vorstellen, sehen wir sie nun erstmals mit einem Steinwerkzeug in der Hand auf Fleischsuche“, sagt McPherron. Vermutlich habe es sich dabei noch nicht um richtige Werkzeuge gehandelt, die selbst hergestellt wurden, sondern eher um spitze Steine, die die Urmenschen nur aufheben mussten.

In jedem Fall wäre es aber ein menschlicheres Verhalten, als Lucy bisher zugetraut wurde. Immerhin stammt das Rippenfragment von einem Tier, das etwa so groß wie eine Kuh gewesen sein dürfte. „Unsere nächsten lebenden Verwandten, Schimpansen und Bonobos, jagen Tiere dieser Größenordnung nicht. Sie fressen auch nicht deren Kadaver“, erklärt Curtis Marean von der Arizona State University.

Ob die Tiere gejagt wurden oder die Australopithecinen Aasfresser waren, ist noch unklar. Braun geht aber davon aus, dass die Urmenschen sich mit Tierkadavern zufriedengeben mussten. „Es ist unwahrscheinlich, dass diese kleinen Australopithecinen so große Tiere jagen und sich gegen andere Jäger durchsetzen konnten“, sagt er. „Möglicherweise haben sie nur abgekratzt, was am Skelett noch an Fleisch vorhanden war.“ Selbst dann dürften sich die Urmenschen aber in Gefahr begeben haben, um sich gegen die anderen Aasfresser durchzusetzen. Eines ist also klar: Die Erfindung der Metzgerei muss einen klaren Vorteil gehabt haben, sonst wäre sie die Mühe nicht wert gewesen.

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