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Vorbereitet. Mit einer Patientenverfügung kann jeder klar regeln, welche Behandlung er möchte - und welche nicht.

© picture alliance / dpa-tmn

Vorsorge für den Ernstfall: Kompetenter Rat zur Patientenverfügung

Zu pauschal formuliert, nicht zur Hand oder nie aufgeschrieben: Ein Projekt in Nordrhein-Westfalen soll den Umgang mit Patientenverfügungen verbessern.

Was geschieht, wenn ich schwer krank bin und nicht bei Bewusstsein, wenn trotzdem jemand über meine weitere Behandlung entscheiden muss? Etwa zur Wiederbelebung, zur Behandlung von Infektionen, zu künstlicher Ernährung? Diese Vorstellung macht wohl allen Menschen Angst. Mit dem dritten Gesetz zur Änderung des Betreuungsrechts wurde im September 2009 immerhin mehr Klarheit in Sachen Patientenverfügungen geschaffen. Schriftliche Vorab-Festlegungen für den Fall, dass Menschen ihren Willen in einer Situation nicht äußern können, haben heute entscheidendes Gewicht: Der Betreuer des Patienten ist angehalten, ihnen „Ausdruck und Geltung zu verschaffen“. Geregelt wurde zudem, dass solche Festlegungen „unabhängig von Art und Stadium der Erkrankung“ gelten. Die Reichweite von Patientenverfügungen ist also nicht auf Fälle begrenzt, in denen der Tod angesichts einer unheilbaren Erkrankung unaufhaltsam ist.

So weit, so klar. Trotzdem sei die traditionelle Patientenverfügung, die jemand selbst erstellt, um seinen Willen für den hypothetischen Fall der Nichteinwilligungsfähigkeit festzulegen, „konzeptionell und empirisch gescheitert“. Die harten Worte sind in einer Originalarbeit der Arbeitsgruppe um den Allgemeinmediziner Jürgen in der Schmitten von der Universität Düsseldorf zu lesen, die jetzt im Deutschen Ärzteblatt erschienen ist.

Zur Begründung führen die Wissenschaftler nicht allein an, dass die Dokumente im Klinikalltag oft unbeachtet blieben. Das Scheitern setzt weit früher ein: Patientenverfügungen sind in Deutschland wenig verbreitet. Laut einer Metaanalyse aus dem Jahr 2012 haben höchstens zehn Prozent der Bundesbürger ein solches Dokument erstellt. Bei Bedarf ist es zudem oft nicht zur Hand. Oder es ist auf die konkrete Situation nicht anwendbar, zum Beispiel, weil der Verfasser nur pauschal schreibt, er wolle im Fall der Bewusstlosigkeit „nicht an Schläuche gehängt“ werden.

Die Senioren brauchen gut informierte Gesprächspartner

In einer international bisher einzigartigen Untersuchung hat das Düsseldorfer Team nun in Senioreneinrichtungen eines Ortes in Nordrhein-Westfalen getestet, ob sich Abhilfe schaffen lässt: durch ein gezieltes Programm zur gesundheitlichen Vorausplanung. Das ist recht aufwendig. Jeweils zwei bis vier Mitarbeiter der teilnehmenden Senioreneinrichtungen wurden dafür zunächst 20 Stunden lang geschult, um den alten Menschen später unter dem Motto „beizeiten begleiten“ als gut informierte Gesprächspartner gegenübertreten zu können. Die kooperierenden Hausärzte bekamen eine vierstündige Fortbildung, zudem wurden alle Pflegekräfte der Heime und des für die Region zuständigen Krankenhauses, aber auch Mitarbeiter des Rettungsdienstes und Notärzte über das Programm informiert. Weiterhin wurden einheitliche Formulare für Patientenverfügungen und Notfallbögen erarbeitet. Vor allem aber wurde mit Postern, Flyern und persönlicher Ansprache geworben.

Die Forscher verglichen eineinhalb Jahre lang das Verhalten der 136 Bewohner aus den drei Einrichtungen, die dieses Angebot bekamen, mit dem von 439 Bewohnern anderer Altenheime aus einer Nachbarregion ohne dieses Angebot. Das Ergebnis: Für 36 Prozent der Senioren, die das Gesprächsangebot bekommen hatten, aber nur für vier Prozent aus der Kontrollgruppe entstand in dieser Zeit eine Verfügung. Waren die im Schnitt 82 Jahre alten Teilnehmer selbst – etwa wegen einer Demenz – dauerhaft nicht einwilligungsfähig, dann kam die Vorausverfügung von ihrem gesetzlichen Vertreter wie zum Beispiel Angehörigen.

In den allermeisten Fällen war sie von einem Arzt unterschrieben. Außerdem war die wichtige Frage klar geregelt, ob und unter welchen Bedingungen im Fall eines Herzstillstandes ein Wiederbelebungsversuch gemacht werden sollte. Auch die Wahrscheinlichkeit dafür, dass die Dokumente im Ernstfall beachtet werden, dürfte gestiegen sein: Denn die Heime hatten die Akten der Bewohner, für die eine Vorausverfügung vorlag, deutlich sichtbar gekennzeichnet.

Ob sich der Aufwand wirklich „gelohnt“ hat, darüber kann die Studie allerdings keine Auskunft geben. Denn das zeigt erst das weitere Schicksal der Teilnehmer. Hinweise darauf, dass Teilnehmer eines solchen Programms nicht nur häufiger Patientenverfügungen erstellen, sondern auch wirklich vor ungewollten Krankenhausaufenthalten und Behandlungen verschont bleiben, gibt allerdings eine kanadische Studie, die im Jahr 2000 in der Fachzeitschrift „Jama“ erschien. Für Deutschland stehen Studien zu den Ergebnissen solcher Programme noch aus.

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