zum Hauptinhalt
Ein Turm aus Styropor-Bausteinen, soll den ohne Fachkräfte zusammenbrechenden Arbeitsmarkt symbolisieren. Die Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft fordert mehr Initiativen gegen den Fachkräftemangel.

© dpa

Gastkommentar: Willkommen, neue Fachkräfte!

Deutschland ist für ausländische Fachkräfte attraktiv. Nach dem Studium bleiben fast so viele Absolventen in Deutschland wie in den klassischen Einwanderungsländern Kanada und USA. Neue Regelungen erleichtern ihnen den Zugang.

Deutschland gilt nicht gerade als Traumziel für Hochqualifizierte aus aller Welt, vor allem nicht in der deutschen Öffentlichkeit. Dabei entscheiden sich gerade viele Menschen für Arbeit in Deutschland, die unser Land besonders gut kennengelernt haben – als ausländische Studierende. Nach dem jetzt veröffentlichten Migrationsbericht der OECD bleiben fast so viele ausländische Hochschulabsolventen in Deutschland wie in klassischen Einwanderungsländern wie Kanada oder Australien.

Neue Regelungen machen es viel einfacher, nach einem erfolgreich absolvierten Studium in Deutschland hier zu arbeiten: Ausländische Absolventen können heute ohne eine sogenannte Vorrangprüfung, ob auch EU-Bürger den Job machen könnten, eine Arbeitserlaubnis für eine qualifizierte Tätigkeit erhalten.

Nach dem Studienabschluss dürfen Ausländer ein Jahr zur Stellensuche in Deutschland bleiben und während dieser Zeit unter den gleichen Bedingungen wie Studenten – also 90 volle Tage im Jahr – jobben; mehr Tage können auf Antrag genehmigt werden. Und nach fünf Jahren qualifizierter Arbeit kann man eine Niederlassungserlaubnis erhalten. Nach spätestens weiteren drei Jahren besteht in der Regel Anspruch auf Einbürgerung.

Einige europäische Länder haben in den letzten Jahren ähnliche Neuregelungen eingeführt. Dagegen muss noch immer jeder Visumsbewerber für ein Studium in den USA einen amerikanischen Konsularbeamten überzeugen, dass er oder sie nicht im Traum daran denkt, nach dem Studium in den USA zu bleiben. Viele bleiben dann zwar trotzdem, aber befristete Arbeitserlaubnisse sind ebenso wie Green Cards quotiert. Nach meiner Kenntnis hat kein Land auf der Welt eine wesentlich großzügigere Regelung für die internationalen Absolventen als Deutschland.

Die neuen Möglichkeiten werden auch kräftig genutzt: Im letzten Jahr haben fast 5700 ausländische Absolventen eine Zustimmung zur Arbeitsaufnahme erhalten. Das sind doppelt so viele wie 2006 und exakt genau so viele wie die Fachkräfte, die mit einem ausländischen Abschluss zu uns kamen. Deren Zahl ist seit 2006 um 20 Prozent gestiegen. 2008 nahmen knapp 6000 internationale Absolventen deutscher Hochschulen hier eine qualifizierte Arbeit auf, 2009 – auf dem Höhepunkt der Wirtschaftskrise – immer noch über 4800. In den letzten Jahren hat damit etwa jeder vierte Ausländer (von außerhalb der EU) nach dem deutschen Hochschulabschluss hier eine hochqualifizierte Stelle gefunden und angetreten. Das wichtigste Herkunftsland ist mit etwa 30 Prozent China, in weiterem Abstand gefolgt von Indien und Russland.

Außerdem bleiben noch viele aus familiären Gründen, also vor allem nach einer Eheschließung, auf Dauer in Deutschland; auch sie nehmen meist eine qualifizierte Arbeit auf. 2007 waren das nach OECD-Daten noch einmal fast 4800 Menschen. Der Anteil ist im internationalen Vergleich ungewöhnlich hoch: Unser Land ist eben in mehrfacher Hinsicht besonders liebenswürdig.

Dies eingerechnet, bleibt heute mindestens ein Drittel der ausländischen Absolventen (zunächst) zur Arbeit hier. Das Ausländerstudium kommt damit für etwa die Hälfte der Fachkräftezuwanderung nach Deutschland auf. Es ist vielleicht kein Königsweg, aber doch der breiteste und am meisten begangene republikanische Weg der Fachkräftezuwanderung.

Im In- und Ausland wird das noch nicht richtig wahrgenommen: So kommt es, dass viele Studieninteressenten immer noch glauben, die USA böten bessere Einwanderungsperspektiven als Deutschland. Durch den Fachkräftemangel aufgeschreckte Meinungsmacher fragen besorgt, ob wir es uns leisten dürfen, dass überhaupt noch Absolventen nach dem Abschluss in die Heimat zurückkehren. Bei einigen kommt die Sorge auf, dass sich Deutschland zulasten anderer Länder großzügig an deren „Humankapital“ bedient. Andere wiederum sehen noch mit jedem deutschen Facharzt, der in die Schweiz, oder jedem Wissenschaftler, der nach Kanada geht, den künftigen Wohlstand der Nation bedroht.

Für deutsche und ausländische Studierende und Fachkräfte gilt gleichermaßen: Wir müssen die Offenheit ihrer Berufs- und Lebenswege respektieren. Den Spitzenkräften von heute und morgen, die auch als „neue Argonauten“ bezeichnet werden, können Regierungen, Ausländerbehörden, Hochschulen und Fördereinrichtungen ihre Lebenswege sowieso nicht vorschreiben.

Die Information, dass ein Studium bei uns viele Wege öffnet – Rückkehr ins Heimatland, Weiterwanderung in andere Länder, aber eben auch eine berufliche Karriere in Deutschland – ist ein zusätzliches Argument für den Studienstandort Deutschland. Wir wissen zudem aus der Forschung, dass die Mobilität der neuen Argonauten nicht nur den Zielländern nutzt und den Herkunftsländern nicht nur schadet. Die indische Diaspora im Silicon Valley, Wissens-Pipelines zwischen Forschungszentren im Norden und Hochschulen in Schwellenländern, Geldüberweisungen an die Familien und Unternehmensgründungen im Heimatland sind Stichworte dazu. Der Erfolg von internationaler Bildungszusammenarbeit hängt aber auch davon ab, dass viele der Geförderten später kundige Partner Deutschlands und Akteure der Entwicklung in ihren Heimatländern werden.

Der Autor ist Stellvertretender Generalsekretär des Deutschen Akademischen Austauschdienstes.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false