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Gesundheit: Abschied von der künstlichen Hüfte

Die Chirurgen am Benjamin-Franklin-Klinikum erproben modernste Therapien

Von Manfred Ronzheimer

Zuerst verspürte Gerda B. beim Tennisspielen einen Schmerz in der Hüfte. Später, nach längerem Laufen, traten die Schmerzen auch in der Ruhelage auf - bis in die Leiste hinauf. Sie suchte zahlreiche Fachärzte auf. Die Experten empfahlen der 46-Jährigen, sich ein künstliches Hüftgelenk einsetzen zu lassen. „Das ist natürlich ein Weg ohne Umkehr“, sagt Wolfgang Ertel, Unfallchirurg und Leiter des Trauma-Zentrums Berlin-Brandenburg am Universitätsklinikum Benjamin Franklin (UKBF) der FU. „Es gibt jedoch neuartige operative Möglichkeiten, die den Einbau eines künstlichen Hüftgelenks vermeiden oder zumindest über Jahre aufschieben.“

Der Weg, auf den sich die Ärzte der Klinik für Unfall- und Wiederherstellungschirurgie in Steglitz spezialisiert haben, ist die „rekonstruktive Hüftchirurgie“. Schmerzen im Hüftgelenk können verschiedene Gründe haben: Durch Abweichungen von der idealen Form oder genetische Faktoren kann es passieren, dass der Körper den schlanken Schenkelhals im Laufe der Jahre verstärkt, also mit zusätzlichem Knochenmaterial verdickt. Auch bei Menschen, deren Hüfte oft stark beansprucht wird, reagiert der Körper mit einer mechanischen Verstärkung des Schenkelhalses. Die Verdickung reibt dann bei extremen Belastungen, wie sie gelegentlich beim Sport auftreten, an dem natürlichen Dichtungsring, der das Hüftgelenk schützt. Der Dichtungsring und schließlich der Knorpel verschleißen und werden zerstört.

Bei der Hüftgelenksarthrose setzen die Spezialisten um Wolfgang Ertel auf Reparatur statt auf künstlichen Ersatz. „Mit unserer Technik holen wir den Hüftkopf aus dem Gelenk und entfernen die knöchernen Verdickungen am Schenkelhals. Der Hüftkopf erhält seine frühere Beweglichkeit zurück“, erläutert der Professor. „Dadurch wird der zerrissene Dichtungsknorpel entlastet. Wir können ihn wieder befestigen und reparieren.“ Diese neuartige Methode wird derzeit nur in einigen wenigen Zentren in Deutschland durchgeführt. Gerda B. konnte nach dem Eingriff wieder ohne Beschwerden laufen.

Ein weiterer Schwerpunkt der Trauma-Chirurgen vom UKBF liegt auf der Behandlung von Mehrfachverletzungen, dem so genannten Polytrauma. So kommen bei Verkehrsunfällen oft Verletzungen der inneren Organe, Knochenbrüche und ausgedehnte Schäden an den Weichteilen zusammen. Nach dem tragischen Autobahnunfall auf dem Berliner Ring im vergangenen Juli, bei dem sechs Menschen ums Leben kamen, kümmerten sich die Unfallchirurgen des UKBF um eines der schwer verletzten Opfer. „In solchen Fällen kommen die Vorteile einer Universitätsklinik für den schwerverletzten Patienten voll zur Geltung“, betont Wolfgang Ertel. „In Steglitz verfügen wir über große Spezialkliniken, die fachübergreifend jede Art von Verletzung auf höchstem Niveau versorgen können. Außerdem betreiben wir intensive Forschungen, die unseren Patienten ohne Umwege zugute kommen. So entwickeln wir in der Unfallforschung die modernsten Therapien immer weiter.“ Die Zusammenarbeit der verschiedenen Spezialisten muss gerade in der Unfallmedizin reibungslos funktionieren - bei schweren Unfällen meist im Feuerwehrtempo.

Ein weiteres Spezialgebiet, auf das sich die Klinik für Unfall- und Wiederherstellungschirurgie derzeit spezialisiert, ist die Wirbelsäulenchirurgie. Alle Krankheiten und Beeinträchtigungen, die dem Menschen im wörtlichen und im übertragenen Sinne „das Rückgrat brechen“ können, haben die Trauma-Chirurgen um Professor Ertel im Blick: von den Unfällen und Tumoren über Infektionen bis hin zu den schmerzhaften Wirbelsäulenverkrümmungen. Sie nutzen so genannte minimal-invasive Methoden der „Schlüsselloch-Chirurgie“. „Wirbelsäulenbrüche werden in der Regel vom Rücken und von der linken Körperseite her versorgt“, erklärt Wolfgang Ertel. „Früher wurde der Patient zu diesem Zweck großzügig aufgeschnitten, die Schnitte waren zwischen 15 und zwanzig Zentimeter lang. Wir kommen heute mit Schnitten von fünf Zentimetern aus. Der Blutverlust und das Infektionsrisiko sind deutlich geringer, auch der Bedarf an Schmerzmittel liegt niedriger.“ Brauchten die Patienten früher drei Wochen, um aus dem Krankenbett aufzustehen, so können sie heute schon nach wenigen Tagen wieder gehen oder gar die Klinik verlassen. Dieses Verfahren hatte Ertel im Universitätsspital in Zürich entwickelt, wo er vor seinem Wechsel an die FU tätig war.

Mit modernen Technologien, wie einem neuen Computer-Navigationsgerät, das in diesem September in Betrieb genommen wurde, verbessern die UKBF-Unfallchirurgen ihre Möglichkeiten. Das Gerät verarbeitet die Röntgenbilder mit den Signalen von Infrarotsonden während der Operation und zeigt auf dem Bildschirm, wo sich der Chirurg exakt mit seinen Instrumenten und Schrauben befindet. „Gerade bei Verletzungen des Rückenmarks oder bei Wirbelsäulenverkrümmungen und speziell an der Halswirbelsäule geht es oft um Zehntelmillimeter“, erläutert Professor Ertel. „Dort sind solche computergestützten Navigationstechniken überaus hilfreich.“

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