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Bundespräsident trifft Angehörige von NSU-Opfern: Fremdelt Gauck beim Thema Integration?

Bundespräsident Joachim Gauck kommt bei den Angehörigen der NSU-Opfer nicht so gut an, wie sein Vorgänger Christian Wulff. Er tut sich mit den Themen Migration und Ausländerhass schwer. Wieso?

Wenn Bundespräsident Joachim Gauck am Montag rund 70 Angehörige der Opferfamilien der Neonazi-Mordserie im Schloss Bellevue empfängt, hat er viele von ihnen schon einmal gesehen – vor seinem Amtsantritt. Am 23. Februar 2012 traf er sie bei der Gedenkfeier im Berliner Konzerthaus und hielt als designierter Nachfolger von Christian Wulff beim späteren Empfang des türkischen Botschafters eine nichtöffentliche Ansprache. Damals hatten einige Anwesende den Eindruck, dass Gauck „noch nie mit so vielen Türken“ in einem Raum gesessen und sich „fremd“ gefühlt habe.

Wie hat sich Gauck bisher zum Thema Migration und Fremdenfeindlichkeit geäußert?

Man konnte bisher das Gefühl haben, dass Gauck auf dem wichtigen Themenfeld Migration/Integration fremdelt oder zumindest eine eigene Linie sucht. Dabei ist dieses Thema mit dem Problem der Fremdenfeindlichkeit untrennbar verbunden. Thilo Sarrazin gestand Gauck noch im Dezember 2010 zu, mit seinem Buch „Deutschland schafft sich ab“, Mut bewiesen zu haben. Die politische Klasse könne aus dem Erfolg von Sarrazins Buch lernen, dass „ihre Sprache der politischen Korrektheit bei den Menschen das Gefühl weckt, dass die wirklichen Probleme verschleiert werden sollen“, sagte Gauck im Tagesspiegel. Kürzlich hat Gauck sich von seiner eigenen Äußerung distanziert: Dieser Satz sei „leichtfertig“ gewesen.

Ebenfalls 2010 hat Gauck in der Sendung „NZZ Standpunkte“ Wulffs Satz - wegen dem der Ex-Bundespräsidenten bei den deutschen Muslimen bis heute hohes Ansehen genießt – „Der Islam gehört zu Deutschland“ differenziert und ihn als „voraufgeklärt“ bezeichnet, weil man nicht leugnen könne, dass es ein „tiefes Unbehagen“ gegenüber „dem Fremden“ gibt. Gauck wörtlich: „Fremdheit zu leugnen, ist ebenso gefährlich wie wenn man Feindschaft leugnet.“

Das Wort „Fremdheit“ hat Gauck auch seit seinem Amtsantritt im März 2012 häufiger genutzt. Beim Thema Rechtsextremismus betont Gauck, dass vor allem die Ostdeutschen nicht gelernt hätten, sich mit dem „Fremden“ auseinanderzusetzen. „Die Kultur der offenen Bürgerdebatte war uns fremd, das Zusammenleben mit Fremden kannten wir fast nicht“, sagte Gauck in seiner Rede zum 20. Jahrestag der rassistischen Angriffe in Rostock/Lichtenhagen. Und weiter: „Die Angst vor dem Fremden ist tief in uns verwurzelt. Wir würden wohl irren, wenn wir davon ausgingen, dass sie sich gänzlich überwinden ließe.“ Das „Wir“ schließt Gauck mit ein.

Sieht Gauck selbst noch Lernbedarf bei den Themen Integration und Ausländerhass?

Gauck hat sich für das sensible Thema Migration extra Fachleute ins Amt geholt. Seine Sprecherin, die langjährige Journalistin Ferdos Forudastan, ist eine ausgewiesene und anerkannte Expertin. Erstmals wurde im Bundespräsidialamt zudem eine Referentenstelle zum Thema Migration/Integration besetzt. Offenbar gewinnt das Thema für Gauck mehr und mehr an Bedeutung, wie auch mehrere Hintergrundgespräche Gaucks zu Themen wie Islamfeindlichkeit belegen. In seiner Weihnachtsansprache sagte Gauck, dass „uns auch die Gewalt“ Sorge bereite: „in U-Bahnhöfen oder auf der Straße, wo Menschen auch deshalb angegriffen werden, weil sie schwarzes Haar und eine dunkle Haut haben“. Angesichts der in der Bundesrepublik bisher einmaligen Mordserie von Neonazis waren Gaucks gut gemeinte Worte eigentlich relativ schwach. Aber auch ohne dass Gauck das Wort Mord in den Mund genommen hatte, wurde er im Anschluss an die Rede rassistisch beschimpft und mit braunen Briefen und Mails bombardiert. Er hatte es gewagt, neben dem Thema Rassismus, auch das Thema Asyl offen anzugehen.

Ein paar Wochen zuvor hatte Gauck ein Asylbewerberheim im brandenburgischen Bad Belzig besucht, das hatte 22 Jahre lang kein Bundespräsident mehr getan. „Wer meint, dass ihm durch die Asylbewerber etwas weggenommen wird, der irrt“, sagte Gauck und forderte nicht weniger als einen „Mentalitätswechsel“. Dann stellte sich der Bundespräsident gegen die Auffassung der schwarz-gelben Regierung und ließ deutliche Zweifel an der Residenzpflicht und dem Arbeitsverbot für Asylsuchende erkennen. Und auch beim Besuch des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge im Dezember forderte er mehr Offenheit gegenüber Migranten.

Um mehr zu den Ermittlungen zum „Nationalsozialistischen Untergrund“ zu erfahren, lud Gauck Ende Januar die Mitglieder des NSU-Untersuchungsausschusses ein.

Was erwarten die Angehörigen der NSU-Opfer von Gauck?

Seit der Gedenkfeier im Konzerthaus und der Rede von Kanzlerin Angela Merkel, die die Hinterbliebenen damals als gelungene Form der Entschuldigung betrachtet hatten, ist das Vertrauen der Familien in die versprochene „lückenlose Aufklärung“ stark gesunken. Einige der Angehörigen werden aus diesem Grund entweder gar nicht oder nur sehr zögerlich ins Schloss Bellevue kommen.

Aysen Tasköprü, Schwester des 2001 in Hamburg mutmaßlich von Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt ermordeten Süleyman Tasköprü, gehört zu den Angehörigen, die die Einladung des Bundespräsidenten ins Schloss Bellevue abgelehnt haben – auch deshalb, weil die Eingeladenen zwar eine Begleitung, aber nicht ihre Anwälte mitbringen dürfen. Tasköprüs Anwältin Angela Wierig sagt: „Ehrliche Empathie hätte Verständnis dafür gehabt, dass meine Mandantin mich gerne an ihrer Seite gehabt hätte, wenn sie überhaupt einen Sinn in der Einladung gesehen hätte.“

Joachim Gauck, so heißt es aus seinem Umfeld, möchte dagegen das Treffen so vertraulich wie möglich halten, um mit allen persönliche Gespräche führen zu können. Er habe sich die Entscheidung nicht leicht gemacht, er möchte aber vor allem wissen, wie es den Familien geht, heißt es. Sebastian Scharmer, einer der Opferanwälte, entgegnet: „Man muss meine Mandantin verstehen, die ohne Anwalt im Grunde mit keinen Behörden oder staatlichen Institutionen mehr zu tun haben will, weil sie ihnen nicht mehr vertraut.“

Es sind nur noch wenige Wochen bis April, bis zum Prozessbeginn gegen Beate Zschäpe und weitere Angeklagte, die an den Morden der so genannten Zwickauer Terrorzelle beteiligt gewesen sein sollen. Aysen Tasköprü hat, sagt Wierig, nach der Ermordung ihres Bruders ihr „eigenes Leben verloren“. Es gehe darum, dass man ihre Mandantin „als Individuum wahrnimmt“. So sehen das auch andere Betroffene. Ein Grund für den jahrelangen falschen Verdacht der Ermittler, die Täter kämen aus den Familien selbst, seien Drogendealer oder türkische Mafiosi, war die Herkunft der Menschen und ihre angenommene „Fremdheit“.

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