zum Hauptinhalt
Antrittsbesuch. Freundlich, nett, aber manchmal ein bisschen gequält präsentierte sich Rainer Maria Woelki am Dienstag in Berlin.

© dpa

Rainer Maria Woelki: Der Unbeschriebene

Ein Erzkonservativer als Erzbischof? Alle fragen seit Tagen: Wer ist Rainer Maria Woelki? Jetzt hat er sich in Berlin vorgestellt. Aber über alles reden möchte er keineswegs.

Wer sich Rainer Maria Woelki auf dem buchstäblichen Weg nähern wollte und wer immer hoffte, Entlastendes oder auch Belastendes zu entdecken, der wurde enttäuscht. Die Schrift, für die Rainer Maria Woelki, 54, der künftige Erzbischof von Berlin, an der Universität Santa Croce in Rom den Doktortitel erhielt, ist verschwunden.

Zwei Exemplare der Arbeit aus dem Jahr 2000 mit dem Titel „Die Pfarrei: ein Beitrag zu ihrer ekklesiologischen Ortsbestimmung“ hat es zum Nachschlagen gegeben, eins stand in der römischen Universität, das andere in der Diözesanbibliothek von Köln. Doch wer die am Montagmorgen bestellt hatte, wurde am Mittag informiert, dass das Buch weg sei. Nicht ausgeliehen, sondern weg. Seit Dienstag hat es im Bibliothekskatalog den rot schillernden Status „vermisst“.

Die Universität Santa Croce in Rom wird von der katholischen Geheimorganisation Opus Dei geleitet. Opus Dei ist für viele ein Reizwort. Es klingt nach Weltverschwörung und Dornengürtel, nach unerbittlicher Strenge und Enge. Wer dort hineingerät, kommt so schnell nicht mehr heraus, sagen Kritiker. Opus Dei, so könnte man sagen, ist alles, was Berlin nicht ist. Aber so kann man Rainer Maria Woelki nicht kommen.

Er erklärt am Dienstagmittag, bei seinem ersten Auftritt in Berlin, einer Pressekonferenz in der Katholischen Akademie, die Kritik an Opus Dei basiere auf „Romaninhalten“, da werde etwas unterstellt, das sollten die Kritiker mal nachweisen. Vielmehr doch sei Opus Dei eine Gruppe von vielen in der katholischen Kirche, die ihrerseits „ein lebendiger, verzweigter Verein“ sei. In den habe sich Opus Dei gut eingefunden. Die machten eine gute Arbeit, auch hier in Berlin. Er selbst sei kein Mitglied bei Opus Dei, aber es habe ihm „schon ein bisschen wehgetan“, wie deren Arbeit diffamiert werde. Mehr will er dazu jetzt nicht sagen.

Noch ist Rainer Maria Woelki Weihbischof in Köln, doch seit Sonnabend ist klar, dass er der neue Berliner Erzbischof wird, Ende August wird er ins Amt eingeführt. Und seit Sonnabend lief es in den Nachrichten hoch und runter: Nähe zu Opus Dei, Vertrauter des Kölner Kardinals Joachim Meisner, konservativ. Für viele Berliner sind das keine guten Nachrichten.

Zur Pressekonferenz kam ein freundlicher Mann über den Hof der Katholischen Akademie geschlendert. Woelki wirkt wie ein großer Junge, schlaksig, die Schultern leicht nach vorne hängend, auf der Nase eine runde Harry-Potter-Brille. Er grüßt die Kirchenvertreter und geht als Erstes in die Kapelle der Akademie. Dort ist ein Foto von Kardinal Georg Sterzinsky aufgestellt, der vergangenen Donnerstag gestorben ist. Woelki kniet kurz nieder.

Der Auftritt: demütig. Die Antworten: knapp. Lesen Sie weiter auf Seite 2.

Er ist in Zivil gekommen, im schwarzen Anzug. Den langen Priesterrock und das violette Bischofskäppi hat er zu Hause gelassen. 20 Minuten dauert seine Rede, danach beantwortet er 70 Minuten lang Fragen. Er freue sich auf die neue Aufgabe, sagt er. Das wiederholt er. Er freut sich auf die Kultur-Medien-Politik-Hauptstadt, freut sich, dass er gewählt wurde, dass so viele gratuliert haben, und überhaupt über jede Gelegenheit, bei der er lächeln und lachen kann. Könnte alles so schön sein. Aber da legt sich seine Stirn in Falten, und er schaut nicht mehr in die Menge der Journalisten, sondern vor sich auf den Tisch. Er wolle keine Lagerbildung in Berlin, sagt er. Liberal? Konservativ? Erzkonservativ? „Mit solchen Zuordnungen kann ich nicht viel anfangen.“ Sagen sie oft, die Konservativen, und wissen dann nicht weiter. Aber Rainer Maria Woelki hat Gott und Christus. Mit ihnen lebt er, und auf sie verweist er. Es gebe nur einen einzigen Maßstab für sein Handeln, sagt er, und das sei Jesus Christus. Er sagt es so, dass allen im Saal klar ist: Ende der Debatte.

Ökumene? Wir sind alle Christen, antwortet Woelki. Wollen gemeinsam Zeugnis geben, miteinander beten. Muslime? Wer Gott sucht, ist willkommen. Ob er sich in die Politik einmischen wolle? Er sei kein Politiker, seine Berufung sei eine andere. Er wolle Seelsorger sein. Und wieder spricht er von Gott und der Nachfolge Christi und davon, dass jeder Christ dazu berufen sei, sich einzumischen, das sei ja nicht nur die Aufgabe der Bischöfe. Wenn er von Gott spricht, richtet sich Rainer Maria Woelki auf, für Gott wagt er auch den großen Augenaufschlag.

Schwule und Lesben? Er zieht die Schultern hoch, wirkt ein wenig gequält jetzt. Damals wirkte er gar nicht gequält, erinnert sich Georg Schwikart. Damals bei jenen Personalgesprächen, die Woelki als Kölner Weihbischof geführt hat.

Schwikart, der katholische Publizist aus Sankt Augustin bei Bonn, hatte 2007 eine Ausbildung zum ständigen Diakon begonnen. Vier Jahre besuchte er Kurse am Erzbischöflichen Diakoneninstitut in Köln, für das Woelki zuständig war. In dieser Zeit habe er den künftigen Berliner Erzbischof als „eloquenten Prediger“ erlebt, sagt Schwikart heute. Das Verhältnis zu Woelki sei völlig unbelastet gewesen. Im Frühjahr 2010 habe Woelki ihm in Aussicht gestellt, bereits 2011 und damit ein Jahr schneller als üblich den Dienst als hauptamtlicher Diakon anzutreten. Die Diakonenweihe sei für November 2010 vorgesehen gewesen.

Dann aber lernte Schwikart einen anderen Rainer Maria Woelki kennen. An einem Abend Ende Oktober 2010 wurde er ins Direktorat des Diakoneninstituts gerufen. Es sei eine Beschwerde gegen Schwikart eingegangen, er könne vorerst nicht geweiht werden, erklärte Woelki. Anlass der Anzeige sei das Buch „Katholisch? Never!/Evangelisch? Never!“, das Schwikart zusammen mit dem evangelischen Autor Uwe Birnstein veröffentlich hatte. Darin stellt Schwikart Fragen an seine Kirche: zur Rolle der Frau, zum Zölibat, Fragen, wie sie „sich jeder fortschrittliche Katholik stellt“, sagt Schwikart. Radio Vatikan habe sein Buch positiv besprochen, aber dem Kölner Kardinal Meisner gefiel es offenbar nicht. Schwikart wurde von der Weihe zum Diakon zurückgestellt.

Seine Haltung zur Homosexualität hat ihm Kritik eingebracht. Was steckt dahinter? Lesen Sie weiter auf Seite 3.

Im Februar 2011 fand ein letztes Personalgespräch zwischen Woelki und Schwikart statt. Schwikart wollte wissen, ob es weitere Gründe gebe, warum er nicht geweiht wird. Woelki habe auf ein Aufklärungsbuch von Schwikart verwiesen, in dem der Satz stehe: „Es gibt auch Männer, die Männer lieben.“ Schwikart sagte: „Herr Weihbischof, so ist das.“ Da habe Woelki gesagt: „Das verstößt aber gegen die Schöpfungsordnung.“ Ob das seine Überzeugung ist oder ob er sich seiner Kirche gebeugt hat – Schwikart weiß es nicht. „Wahrscheinlich hat sich Woelki zum ausführenden Organ machen lassen.“

Am sonnigen Dienstag in Berlin sagt Woelki zu Personalgesprächen prinzipiell nichts und zur Homosexualität: „Ich gehe mit dem Thema so um, wie es im Katechismus steht.“ Homosexualität wird dort als eine „Neigung“ beschrieben, „die objektiv ungeordnet ist“, den Betroffenen sei „mit Achtung, Mitleid und Takt zu begegnen“. Was das heiße? Woelki druckst und knetet den Kronkorken der Wasserflasche vor sich. Er ist kein Eiferer wie Kardinal Meisner, dem jetzt schnell eine Antwort einfallen würde. Woelki sagt zögernd: „Die homosexuelle Praxis ist, denke ich, aus katholischer Sicht, vor Gott, nicht geordnet.“ Wie er das mit der „ungeordneten Sexualität“ von Klaus Wowereit sehe, fragt ein Journalist. „Ungeordnete Sexualität?“, fragt Woelki zurück. Das habe er so nicht gesagt. „Das weise ich in aller Entschiedenheit zurück.“ Wie dann? Er will es nicht sagen: Debatte beendet.

Die katholische Kirche sei keine Moralanstalt, hatte er zuvor noch gesagt. Und dass man als Bischof nicht ständig mit dem moralischen Zeigefinger „herumfuchteln“ sollte. Überhaupt möchte er über das Thema Sexualmoral nicht weiter reden. Nicht über die Kluft zwischen der Lehre der Kirche und dem Leben der Katholiken. Auch nicht über den Zölibat oder über die Rolle der Frauen. Außer vielleicht, dass er auch dafür ist, dass Frauen mehr zu sagen haben in der Kirche, zum Beispiel als Pressesprecherin. Die großen Themen, die den Katholiken in Deutschland auf den Nägeln brennen, wird er nicht anpacken, dafür denkt er theologisch zu konservativ und papsttreu. Er wolle das Rad nicht neu erfinden, sagt er, sondern Sterzinskys Arbeit weiterführen. „Da ist viel Gutes gewachsen.“

Es ist auch von Fußball die Rede an diesem Dienstagmittag. Woelki ist FC-Köln-Fan. Dann geht es um seine Rolle in der Deutschen Bischofskonferenz, wo er als Erzbischof mehr Gewicht hat als bisher. „Wäre die Bischofskonferenz ein Fußballfeld, wäre mein Platz im Mittelfeld“, sagt er. Ein Mittelfeld gibt es dort aber kaum noch. Das Gremium ist gespalten in einen konservativen und einen liberalen Flügel. Woelki gehörte bisher klar zu den Konservativen um Kardinal Meisner, dem er „menschlich und priesterlich“ viel zu verdanken habe. Die Liberalen um Robert Zollitsch, den Vorsitzenden der Bischofskonferenz, und Kardinal Karl Lehmann fühlen sich zunehmend in der Defensive. Und mit ihnen jene Katholiken im Land, die Reformen wollen und sich nicht begnügen mit dem Verweis auf Gott und den Papst. „Mir sind die Hände gebunden“ ist so ein Satz, den sie nicht mehr hören wollen, den auch Woelki gerne sagt.

Freitag treffen sich Delegationen von Unzufriedenen mit Bischöfen in Mannheim. Es ist der Auftakt zu einem „Dialogprozess“. Engagierte Katholiken und Kirchenobere wollen gemeinsam über die Zukunft ihrer Kirche nachdenken. Es gab viel Streit im Vorfeld, und weil den konservativen Bischöfen schon das Wort „Dialog“ zu viel war, heißt es jetzt „Gesprächsprozess“. „Ich finde es gut, dass die unterschiedlichen Stimmen zu Wort kommen können“, sagt Woelki dazu. Entscheidend aber sei, „dass wir den Dialog mit Gott, Christus und dem Heiligen Geist führen“. Rainer Maria Woelki wird nicht nach Mannheim fahren.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false