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Politik: Ein Land für den Präsidenten

Mahmoud Al-Zein fühlt sich als Boss der Berliner Unterwelt. Er ist ein abgelehnter Asylbewerber. Abgeschoben werden konnte er nie, weil er als staatenlos galt. Dann entdeckten Ermittler seine Wurzeln in der Türkei, doch die verhindert seine Ausweisung mit seltsamen Methoden. Die Bundesregierung macht das zum Testfall für Europa.

Er selbst sieht sich gerne als König der Unterwelt: Mohaddine Al–Zein, genannt Mahmoud, in Berlin auch als „Präsident“ bekannt. Der zehnfache Vater ist oft dort zu finden, wo die Szenerie in rotes Licht getaucht ist. Bei der Hochzeit des „Prinzen vom Stuttgarter Platz“ auf Schloss Diedersdorf wurde Beschützer Mahmoud vor kurzem per Handkuss begrüßt; die 15-Liter- Champagnerflasche öffnete der Muskelmann, in Gesellschaft leicht bekleideter Damen, sehr routiniert.

Bei der Polizei gilt Al–Zein als ganz Großer in der libanesisch-kurdischen Szene, Ende der 90er Jahre wurde er im Zusammenhang mit Drogengeschäften verurteilt. Jetzt könnte Al-Zein zur Schlüsselfigur in einem ganz anderen Verfahren werden: dem Begehren der Türkei nach Aufnahme in die Europäische Union.

Der Name Mahmoud Al-Zein steht beispielhaft für viele andere Fälle, an denen die deutschen Behörden seit Jahren scheitern. In Deutschland kam Al-Zein 1982 an, seinen Pass meldete er verloren, als Geburtsort registrierten die Behörden Beirut. Seine Anträge auf Asyl wurden zwar abgelehnt. Doch abgeschoben werden konnte Al-Zein nicht – seine Staatsangehörigkeit galt, wie bei vielen Asylbewerbern, als ungeklärt. Was die Behörden damals nicht wussten: Al-Zein war auch in der Türkei registriert – unter einem anderen Namen. Eine Abschiebung wäre also möglich gewesen.

Mahmoud Al-Zein weiß, dass er unter Beobachtung der Polizei steht. Deshalb passt er gut auf, bietet sich zuweilen als Vermittler an. Mehrfach posierte er als starker Mann fürs Fernsehen. Vor kurzem kündigte er in einem Gespräch mit Spiegel-TV sogar an, eine Sicherheitsfirma zu gründen, ganz legal, versteht sich – „eine Mann, eine Wort!“

Lange fühlte Al-Zein sich ganz sicher. Seine angeblich ungeklärte Staatsangehörigkeit war für ihn ein zusätzlicher Schutz: Sein Aufenthalt in Deutschland schien, egal was passiert, gesichert zu sein. Doch dann kam eine spezielle Ermittlungsgruppe der Berliner Polizei, die „Ident“, den türkischen Wurzeln Al-Zeins auf die Spur.

Blutgeld in sechsstelliger Höhe

Die Ermittlungsgruppe Ident ist gegründet worden, um die wahre Identität vermeintlich libanesisch-kurdischer Großfamilien zu klären. In vielen Fällen konnte eine türkische Abstammung festgestellt werden, bisweilen finden die Ermittler mehrere Staatsangehörigkeiten zugleich. Meist handelt es sich um abgelehnte Asylbewerber, die keine Arbeitserlaubnis haben und seit Jahren Sozialhilfe beziehen. In Berlin gibt es rund ein halbes Dutzend Clans, die durch Gewalt und organisierten Drogenhandel aufgefallen sind. Es ist eine Welt für sich, in der die staatliche Autorität nicht wirkt. Es gibt eine eigene Gerichtsbarkeit – oft wird über Blutgeld in sechsstelliger Höhe zur Widerherstellung verletzter Ehre verhandelt. Bemerkenswert ist die Brutalität, mit der um die Macht in der Berliner Unterwelt gekämpft wird. Häufig geht es um die Hoheit über Kneipen und Diskos, denn dort entscheidet sich, wer den Heroinmarkt beherrscht. Das zeigt ein Blick auf das Geschehen in der Stadt, das sich in den Berichten der Kriminalpolizei niederschlägt. Den folgenden, willkürlich herausgegriffenen Vorfällen ist stets eines gemeinsam – der libanesische Hintergrund der Beteiligten.

Schöneberg, vor dem Lokal Asya: Bei einer wilden Schießerei zwischen zwei Clans werden drei Menschen verletzt. Die Polizei findet hier später Tüten voll mit Heroin.

Koloniestraße, Wedding: Zwei Clanmitglieder stürmen mit Maschinenpistolen, einer Pistole und einem Säbel bewaffnet den Pizza-Service von Ahmed und Bilal A. – deutschen Staatsangehörigen. Als Polizisten kommen, werden diese plötzlich von mehr als hundert Angehörigen der verfeindeten Lager umringt und massiv bedroht.

Auf der Stadtautobahn: Zwei Söhne des „Präsidenten“ durchbrechen mit ihrem schweren Audi vier Polizeisperren. Erst durch Schüsse in die Reifen können sie gestoppt werden.

Wedding, auf einem Parkplatz an der Drontheimer Straße. Ein libanesischer „Friedensrichter“ soll einen Streit unter Männern ungeklärter Staatsangehörigkeit schlichten. Er bekommt einen Schuss in die Schulter.

Kreuzberg: Zwei Mitglieder eines Clans überfallen mit Pumpgun und Pistole bewaffnet einen Imbiss und richten einen Mazedonier mit fünf Schüssen hin.

Neukölln: Beim Zuckerfest am Ende des Fastenmonats begleichen zwei Familien offene Rechnungen. Ein Mann wird erschossen, mehrere Menschen erleiden schwerste Stichverletzungen.

In einer Bankfiliale: Ein 15-Jähriger, Mitglied einer Großfamilie, die Sozialhilfe bezieht, fällt auf. Er hat 70000 Euro in einer Plastiktüte bei sich, wie nach einem Drogengeschäft in kleine Beträge gestückelt.

Vor einem Mini-Markt in Moabit: Ein Streit zwischen vier Clanmitgliederm eskaliert. Hassan M. feuert drei Schüsse ab, wird selbst in die Brust getroffen und stirbt. Mehrere Menschen verbarrikadieren sich im Laden, mit Machetenhieben versuchen ihre Gegner, die Tür zu zerschlagen.

Charlottenburg, vor dem Lokal Zap: Rache für die Schlacht am Mini-Markt. Aus einem Wagen wird fünfmal auf einen Mann ungeklärter Staatsangehörigkeit gefeuert, ein Schuss zertrümmert sein rechtes Bein.

Nur einige Beispiele aus der letzten Zeit. Die Ermittlungsberichte sind voll davon, zuweilen explodieren auch Handgranaten. Gerade erst vor ein paar Tagen überfielen 15 Clanangehörige mit Messern und Pistolen bewaffnet das Lokal Fayruz in der Sonnenallee; drei Libanesen wurden schwer verletzt, zwei davon lebensgefährlich.

Wenn die Polizei versucht, Vorfälle wie diese aufzuklären, scheitert sie meistens: Keiner der Beteiligten will einen anderen belasten. Das macht man lieber unter sich aus. Deshalb sind die Täter oft nicht zu ermitteln oder müssen mangels Beweisen freigesprochen werden. Die Familien schotten sich ab, Integration scheint unmöglich. Verstöße gegen das Ausländergesetz sind, neben den Kriminalfällen, die Regel. Aber abgeschoben werden konnten die Clanmitglieder bisher oftmals nicht – eben wegen angeblich ungeklärter oder fehlender Staatsangehörigkeit.

An den Bürowänden der Ermittler des Landeskriminalamts in Tempelhof wachsen auf Papierbögen gezeichnete, riesige Stammbäume ausländischer Familien, die oft sehr ähnliche Namen tragen und angeblich irgendwoher aus dem arabischen Niemandsland stammen. Mehrmals schon wies die Ahnenforschung der Ermittler in die Region Mahallamiye, Provinz Mardin, Türkei.

Hier, im versteppten Südosten Anatoliens nahe der Grenze zu Syrien und Irak, leben etwa 80000 Menschen, viele von ihnen in einem der 50 Dörfer. Arabisch wird hier gesprochen, nicht türkisch – arabisch spricht auch die Familie Al-Zein. Als jedoch die deutschen Ermittler in Mahallamiye endlich Spuren fanden, die nach Berlin führten, geschah etwas Sonderbares, was jetzt auch den deutschen Innenminister beschäftigt. Denn das Sonderbare hatte offensichtlich Methode – unter Führung der türkischen Regierung.

Die Ermittler waren darauf gestoßen, dass der Vater des „Präsidenten“, der sich ebenfalls in Deutschland als Sozialhilfeempfänger mit angeblich ungeklärter Staatsangehörigkeit aufhält, im Ort Üçkavak bei Savur als türkischer Staatsbürger registriert ist. Bald bekamen sie einen Hinweis auf den Sohn: Auch der Berliner Unterweltkönig ist, unter einem anderen Namen, in der Türkei registriert. Nach türkischem Recht ist es unerheblich, ob er auch dort geboren wurde. Entscheidend ist die Abstammung von türkischen Eltern und der Eintrag in den dortigen Melderegistern.

Als das türkische Generalkonsulat den deutschen Behörden jedoch Monate später endlich die beantragten Registerauszüge über die Familie zuschickt, erleben die Ermittler eine böse Überraschung: Die türkischen Behörden hatten sieben Mitglieder der Familie, darunter auch den „Präsidenten“, gerade eben erst völlig überraschend ausgebürgert und in die Staatenlosigkeit entlassen – ganz plötzlich, alle am selben Tag. Jetzt hatten die deutschen Behörden zwar eine offizielle Bestätigung über die Herkunft der Familie, doch eine Abschiebung war wieder nicht möglich.

Die zeitliche Nähe der Ermittlungen zu den Ausbürgerungen ließ in Deutschland einen Verdacht aufkommen: Versuchten türkische Behörden, eine Abschiebung ihrer Landsleute aus Deutschland zu unterlaufen? Auffällig war jedenfalls, dass unter den Ausgebürgerten der letzten Zeit auch Schwerkriminelle waren, die vor allem in Berlin mit Drogengeschäften ein kleines Vermögen gemacht haben.

In Ankara beruft man sich auf Paragraf 25ç des türkischen Staatsangehörigkeitsgesetzes. Demnach kann in die Staatenlosigkeit entlassen werden, wer sich im Ausland aufhält und seinen Wehrdienst nicht antritt. Doch die seltsamen Umstände einiger Fälle lassen vermuten, dass die türkischen Behörden dieses Mittel als Trick einsetzten, um die Abschiebung ganz bestimmter Personen aus Deutschland im letzten Moment zu verhindern.

Druck auf die Türkei

Völkerrechtlich ist die Türkei scheinbar auf der sicheren Seite. Sie hat, anders als die meisten Länder, kein Abkommen unterzeichnet, das eine Entlassung in die Staatenlosigkeit untersagt. Doch die Türkei drängt in die Europäische Union und erwartet schon bald einen Termin für den Beginn von Beitrittsverhandlungen. Im Gegenzug versprach die Regierung, sich an europäischen Standards zu orientieren. Die Entlassung eigener Bürger in die Staatenlosigkeit aber widerspricht diesen Standards fundamental. Die Türkei verstößt gewissermaßen gegen das Völkergewohnheitsrecht.

Das ließ auch den deutschen Innenminister nicht unberührt. In einem Brief an seinen türkischen Kollegen Abdulkadir Aksu wies Otto Schily jetzt eindringlich auf die Folgen dieses Vorgehens hin. Die Türkei, heißt es da, halte sich nicht an die völkerrechtlich übliche Verfahrensweise und regele ihre innerstaatlichen Angelegenheit „zu Lasten Deutschlands“. Schily forderte Aksu deshalb auf, auch ehemalige türkische Staatsangehörige in die Türkei zurückzuführen. Und der deutsche Innenminister wies auch darauf hin, was für die Türkei auf dem Spiel steht: die „Aufnahme in die EU“.

Schilys Brief vom 21. März hatte offenbar Wirkung – seit Wochen ist in Berlin keine Ausbürgerung in Deutschland lebender Türken mehr bekannt geworden. In Ankara wird möglicherweise sogar schon die Wiedereinbürgerung der in die Staatenlosigkeit Entlassenen vorbereitet. Den Straßenkrieg in Berlin wird das allein jedoch nicht beenden. Die Söhne des „Präsidenten“ zum Beispiel, die auf der Stadtautobahn die vier Polizeisperren durchbrachen, haben längst die deutsche Staatsangehörigkeit.

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