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Bundespräsident: Wulff macht eine gute Figur

Zu wichtigen Themen schweigt Christian Wulff. Aber die Bürger mögen ihn. Denn der Bundespräsident macht etwas anderes: Er strahlt Ruhe aus.

Von Antje Sirleschtov

Es ist Mittwoch Abend halb acht und über dem Schloss Bellevue im Berliner Tiergarten zieht ein Unwetter auf. Christian Wulff steht neben dem nächsten Kaiser von Japan auf einem sehr dicken Teppich. Auch Wulffs Ehefrau Bettina steht auf dem Teppich. Sie trägt ein langes fliederfarbenes Kleid. Es sieht sehr schön aus.

Dort, wo der japanische Kronprinz Naruhito gerade herkommt, hat es ein Erdbeben gegeben. Ein Erdbeben und eine Flutwelle, die zehntausende Menschen ins Unglück gestürzt haben. Das Atomkraftwerk Fukushima ist dadurch zu einem radioaktiv strahlenden Glutofen geworden. Große Teile Japans hätten unbewohnbar werden können. Es hat nicht viel gefehlt. Und bis in die deutsche Innenpolitik hinein hat es gereicht, dieses Erdbeben von Japan. Erst vier Monate ist es her. Jetzt stehen sie hier auf dem Teppich und lächeln, der japanische Kronprinz, der deutsche Bundespräsident und seine Frau, sie schütteln Hände.

Heute, so wie gestern. Und vergangene Woche, letzten Monat. Ein ganzes Jahr ist Christian Wulff jetzt Bundespräsident. Er ist der erste Mann in Deutschland, er schüttelt Hände im Schloss Bellevue. Draußen in der Welt bebt die Erde, zu Hause in Deutschland bebt die Regierung. Aber ein Satz des Bundespräsidenten, der die Situation auf den Punkt bringen würde, ist auch von diesem Junimittwoch nicht erinnerlich. Dabei gäbe es viel zu sagen für ein Staatsoberhaupt in so einer Krise, die das politische System erschüttert und die Bevölkerung zutiefst verunsichert hat. Doch Wulff pflanzt japanische Kirschbäumchen in seinem Park, steht an seinem Pult im Schloss Bellevue und spricht von „tiefer Anteilnahme der Menschen in Deutschland mit dem japanischen Volk“. Es ist das Äußerste an politischer Rede und mal wieder so, als hätte er gar nichts gesagt. Wulff schweigt.

Es ist so deutlich, dieses Schweigen des Christian Wulff, und vor allem: Es hält schon über so viele Monate an, dass es zum Markenzeichen seiner Präsidentschaft zu werden beginnt. Kein vernehmbares Wort hat Wulff über den politischen Zerfall Europas gesagt, nichts zu der Beklemmung der Menschen, wenn sie an Griechenland und ihre eigene finanzielle Sicherheit denken. Ist Wulff noch auf der Suche nach den richtigen Worten oder einer passenden Gelegenheit? Oder bekommen am Ende all jene recht, die schon vor der Wahl durch die Bundesversammlung am 30. Juni letzten Jahres verächtlich abgewunken haben: Ausgerechnet der Christian Wulff aus Hannover soll Bundespräsident werden, einer, der schon als Ministerpräsident eher blass geblieben ist und sich zu mehr, jedenfalls dem Kanzleramt, nicht berufen fühlt.

Vielleicht hat das Schweigen des Christian Wulff aber auch einen ganz anderen Hintergrund. Denn was das Land von seinen Kanzlern erwartet, die Machtzentrale der Nation zu sein, ist für jeden erkennbar. Nicht aber das Bild, das der Bundespräsident abzugeben hat. Das ist diffus. Die Erwartungen an das Amt werden von seinen Inhabern erst geweckt. Und auch der neue Bundespräsident hat sich nicht versteckt gehalten vor der Öffentlichkeit. Man sah ihn in Lateinamerika, man sah ihn in Schulklassen in Süddeutschland, er hat Orden verliehen und Karl-Theodor zu Guttenberg seine Entlassungspapiere überreicht. Bilder hat es also genug gegeben. Und ihre Botschaft war immer dieselbe: Verlässlichkeit.

Wulff ist 52 Jahre, hochgewachsen und sieht im Fernsehen immer gut und jung aus. Zu Weihnachten sah man Linus und Leander vor dem Lichterbaum spielen, während der Präsident zum Volk sprach. Man muss die beiden Kinder nicht mehr vorstellen, Wulff spricht ständig über sie, jeder im Land kennt sie mittlerweile: Leander, Bettinas Sohn, ihr gemeinsames Kind Linus, und natürlich Annalena, die Tochter aus Vaters erster Ehe. Auch das war ein schönes Bild, wie sie da alle standen zum Christfest, umringt von Freunden und Bürgern, der Präsident und seine Patchworkfamilie. Die biografischen Brüche in dieser Konstruktion, sie wurden überwölbt von der Idee, dass man mit gutem Willen einfach weiter machen kann. Eine „First Family“ zum Hineinträumen.

Vor zwölf Monaten galt Christian Wulff aus Hannover noch als langweiliger Karrierepolitiker, der sich am wortgewaltigen Lieblings–Bürgerpräsidenten Joachim Gauck vorbei ins Schloss Bellevue gedrängt hatte. Gauck, das war die Personifizierung der neuen deutschen Bürgerrepublik, ein tiefsinniger Geist, dessen Lieblingswort „Citoyen“ die Demonstranten am Stuttgarter Bauzaun zu Erben der großen französischen Revolution adelte. Wulff dagegen ein Provinzler, eine dieser mal wieder irgendwie unpassenden Ideen der schwarz-gelben Bundeskanzlerin.

Mittlerweile hat sich das Bild gewandelt. 85 Prozent der Deutschen sind zufrieden mit dem ersten Amtsjahr des Präsidenten. Wie Wulff das geschafft hat? Vielleicht, weil er so ist, wie die Leute ihn gern hätten. Krisen, Krach und Katastrophen, Plagiate und andere Peinlichkeiten, das bestürmt jeden, wann immer er die Zeitung aufschlägt. Da tut es wohl, wenn wenigstens ein Politiker anders ist und etwas Unpolitisches tut, nämlich: nichts sagt. Und Wulff beherrscht das gesellschaftliche Parkett, sieht blendend aus neben Monarchen und Diplomaten, Schulkindern und Fußballfans. Er gibt den Leuten, was sie haben wollen: Einen Politiker, der nicht ständig aneckt, sich nicht mit zweifelhaften Ideen in den Vordergrund drängt, der nicht streitet. Wulff ist der Mann fürs Harmonische. Genau so jemanden hat Angela Merkel gesucht.

Als die Kanzlerin letztes Jahr beinahe über Nacht einen neuen Bundespräsidenten suchen musste, war das politische Berlin auf einem Tiefpunkt angelangt. Das Land wurde regiert von einer Koalition aus Union und FDP, die kurz zuvor als Wunschbündnis mit großen Reformversprechen ins Amt gewählt worden war, deren Regentschaft jedoch einer andauernden Ansammlung von Peinlichkeiten, Fehlern und Zumutungen glich. Und an der Spitze des Landes stand kein ruhendes Staatsoberhaupt, sondern Horst Köhler. Der wusste nicht so genau, was er mit seiner zweiten Amtszeit im Schloss Bellevue anfangen sollte. Der frühere Wirtschaftsmann Köhler hatte die Deutschen zwar zu härteren Reformen aufgerufen, zu Veränderungen im Bildungswesen gemahnt und schließlich das „Monster“ der internationalen Finanzmärkte kritisiert. Doch geblieben von alledem ist wenig, das Bild seiner Amtszeit, es blieb diffus. Bis er am 31. Mai 2010 plötzlich hinschmiss. Keiner seiner Amtsvorgänger hatte das je getan.

Köhler hatte sich kurz zuvor in einem Radiointerview etwas missverständlich über die Ziele des Afghanistaneinsatzes ausgedrückt. Sofort stürzten sich Opposition und Presse auf ihn. Union und FDP dagegen schwiegen, was Köhler als Verrat aufgefasst haben mag. Er hatte immer mit dem Politikbetrieb in Berlin gefremdelt, fühlte sich missverstanden, als Person und im Amt nicht respektiert. Er war so etwas wie der oberste Politikverdrossene der Republik. Schließlich scheiterte er mit seiner Verbindlichkeit, die ihm so eigen war, an den Berliner Spielchen.

Christian Wulff hat sich das gemerkt. So sollte es ihm nicht ergehen. Und doch wurde auch er, kaum dass er im Schloss Bellevue eingezogen war, Opfer dieses schneller und vor allem gnadenloser schlagenden Pulses in Berlin. Ein Brötchenlieferant aus Hannover, ein Urlaub im Ferienhaus des Finanzjongleurs Carsten Maschmeyer: Schon hatte er den Ruf eines Wirtschaftslobbyisten weg. Und dann auch noch die Sache mit Thilo Sarrazin und dessen Buch „Deutschland schafft sich ab“. Er mischte sich ein. Prompt wieder derbe Kritik.

Auf einmal war auch dieser Präsident kein unabhängiges Staatsoberhaupt, sondern fand sich mitten im politischen Getümmel wieder. Wulff erlegte sich umgehend ein Schweigegelübde auf. Ruhe einkehren lassen, Abstand gewinnen. Bilder statt Worte erzeugen.

Einmal hat er es mit Worten versucht. Sie sind die einzige Waffe des Bundespräsidenten, mit ihnen gibt er Orientierung im gesellschaftlichen Alltagsdurcheinander. Auch Wulff wollte eine Botschaft verkünden. Brückenbauer, das wollte er sein, zwischen Nord und Süd, Ost und West, Jung und Alt, Arm und Reich und so weiter. Mit dem Brückenbau aber ist das so eine Sache. Damit sie nicht im Morast versinkt, braucht eine Brücke sicheren Baugrund, dies- wie jenseits des Ufers. Sonst geht nämlich keiner drüber, die Brücke wäre dann zwar da, aber sinnlos.

Wulff hat sich zum ersten Mal letzten Oktober an das Brückenbauerhandwerk herangewagt. Und es ist gleich ein bisschen schief gegangen. Eine Brücke zwischen den „richtigen“ Deutschen und den hier lebenden Deutschen „mit Migrationshintergrund“, vor allem den islamgläubigen, wollte Wulff in einer großen Rede zum 20. Jahrestag der Wiedervereinigung bauen. Verständnis sollten beide Seiten füreinander haben, mahnte er und gipfelte dann in dem Satz, der Islam gehöre inzwischen „auch“ zu Deutschland. So, wie Christen- und Judentum.

Was folgte, ist bekannt: Applaus aus den Migrantenverbänden, die sich endlich ernst genommen fühlten. Aber Aufschrei und Entsetzen bei seinen eigenen Leuten in der Union und in den christlichen Kirchen. Was auf den Streit folgte, war Stille. Wulffs erste Brücke, das weiß man jetzt, hat nicht verbunden, was er verbinden wollte. Er war zwar seine Botschaft losgeworden. Doch das Brückenbauwerk steht ein wenig windschief in der Landschaft herum. Sein Baumeister hat sich noch intensiver aufs Händeschütteln konzentriert.

Man kann nicht sagen, dass Wulff das letzte Jahr nicht genutzt hätte. Regierungschefs und Hoheiten aus dem Ausland hat er empfangen, in großer Zahl. Wissenschaftler, Lehrer und Bürgermeister aus allen Teilen Deutschlands. Von morgens bis abends hört er geduldig zu, was ihm die Welt und sein Volk mitzuteilen hat. Und schließlich ging er sogar soweit, lieber jemanden anderes für sich sprechen zu lassen.

Die erste Berliner Rede seiner Amtszeit stand an. Seit Roman Herzog ist das ein traditioneller Ort, an dem Präsidenten einmal im Jahr das Wort an die Bevölkerung richten. Die Spannung war groß. Würde Wulff zum europäischen Zusammenhalt sprechen, würde er seine Landsleute zu größerer Solidarität und Mitgefühl mit den griechischen Freunden mahnen? Doch statt des deutschen trat Bronislaw Komorowski, der polnische Präsident, ans Rednerpult: eine knappe Stunde Lob der die nachbarschaftliche Zusammenarbeit, im Saal ein paar hundert Funktionäre der deutsch-polnischen Freundschaft. Kaum jemand nahm sonst Notiz davon.

Gewiss, in Polen hat man die Geste des deutschen Präsidenten, 20 Jahre nach der Unterzeichnung des deutsch-polnischen Nachbarschaftsvertrages seine erste große Rede in Berlin dem polnischen Freund abzutreten, als wohltuendes Zeichen der gegenseitigen Achtung verstanden. Vor dem Hintergrund von Krieg und Besatzung mag auch das eine Brücke im Wulffschen Sinn gewesen sein. Doch in Berlin wächst die Verwunderung. Wozu hat dieses Land überhaupt einen Präsidenten, wenn der den Menschen noch nicht einmal in krisenhaften Zeiten wie diesen etwas zu sagen hat?

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