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Update

Rechte Gewalt: Neonazi-Terror: Hatte das Trio weitere Helfer?

Die Neonazi-Morde haben Deutschland aufgeschreckt. Erste Rufe nach einem neuen NPD-Verbotsverfahren werden wieder laut und der Verfassungsschutz gerät in die Kritik. Was wussten die Behörden?

Von Frank Jansen

Mit der Festnahme von Holger G. könnte mehr über die Hintergründe der zwei Männer und der Frau bekannt werden, die für zahlreiche Morde und Anschläge verantwortlich sein sollen. Bisher gibt es lediglich eine DVD mit einem Geständnis von Uwe M. und Uwe B., die festgenommene Beate Z. schweigt und will Zeugenschutz.

Wie reagiert die Politik auf den Fall?

Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) fordert eine „bessere Verzahnung von Polizei und Verfassungsschutz auf Länderebene“. Das sagte Friedrich der „Bild“-Zeitung. Es sei "sehr beunruhigend, dass zwischen der Mordserie in ganz Deutschland und der rechtsextremen Szene in Thüringen kein Zusammenhang erkannt wurde", so Friedrich weiter. Die Bundesanwaltschaft ermittle wegen des Vorwurfs der Bildung einer terroristischen Vereinigung. Bei den Ermittlungen werde sich „sicher rasch klären“, ob hinter den bekannten Tätern „ein größeres Netzwerk“ stehe, sagte Friedrich der Zeitung. Nach derzeitigem Ermittlungsstand gebe es „keine Kontakte“ zwischen den bekannten Tätern und dem Verfassungsschutz oder dem Bundeskriminalamt. Da sich die Vorgänge im Bereich des Thüringer Landes-Verfassungsschutzes abgespielt hätten, müsse diese Behörde nun „dringend aufklären“. „Ich bin dem thüringischen Innenminister daher sehr dankbar, dass er eine Kommission eingesetzt hat, die genau auch diese Fragen klären soll und wird“, so Friedrich.

Bayerns Innenminister Joachim Hermann (CSU) erhebt im Zusammenhang mit der Terror-Serie Vorwürfe gegen den Verfassungsschutz. Es müsse geklärt werden, warum „Leute, die schon mal im Visier des Verfassungsschutzes waren, abtauchen und über einen so langen Zeitraum nicht wieder aufgefunden werden konnten“, sagte der CSU-Politiker am Montag im Deutschlandfunk. Zudem wiederholte Hermann seine Forderung nach einem Verbot der NPD. Diese streiche Steuergelder ein, liefere aber genau jene Ideologie, die den Rechts-Terroristen als Grundlage für ihren „brutalen Feldzug“ diente. Unterdessen ist Haftbefehl gegen die Verdächtige Beate Z. erlassen worden. Der Beschuldigten werde Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung vorgeworfen, erklärte die Bundesanwaltschaft. Die SPD hat dem Verfassungsschutz Versagen beim Kampf gegen Rechtsextreme vorgeworfen. „Es ist die Aufgabe der Nachrichtendienste, zu verhindern, dass sich terroristische Strukturen unerkannt bilden können“, sagte der parlamentarische Geschäftsführer der SPD-Bundestagsfraktion, Thomas Oppermann, am Montag im ZDF-Morgenmagazin. „Auf jeden Fall hat hier der Verfassungsschutz versagt und wir müssen klären, warum.“ Dass das Jenaer Neonazi-Trio 13 Jahre lang unbemerkt bleiben konnte, sei in keiner Weise nachvollziehbar. „Diese drei Terroristen waren ja im Visier des Verfassungsschutzes, sie waren schon straffällig geworden“, sagte Oppermann. Wie drei gefährliche, gewaltbereite Menschen in den Untergrund abdriften könnten, sei dringend erklärungsbedürftig. „Warum hat nicht mal jemand bei den Eltern nachgefragt, wo die verblieben sind?“ Mit dem Fall will sich am Dienstag auch das für die Kontrolle der Geheimdienste zuständige Parlamentarische Kontrollgremium befassen, dessen Vorsitzender Oppermann ist.

Was weiß man über den Komplizen?
Der festgenommene Holger G. stammt offenbar auch aus dem Milieu der Thüringer Neonazis. Sicherheitsexperten betonen jedoch, es sei noch offen, wie viel Holger G. vom mörderischen Treiben der „Kameraden“ Uwe M., Uwe B. und Beate Z. gewusst hat, als er seinen Führerschein und seinen Reisepass zur Verfügung stellte und Wohnmobile für die Gruppe mietete. Mit einem Wohnmobil waren Uwe M. und Uwe B. auch zuletzt im thüringischen Eisenach unterwegs. Dort überfielen sie am 4. November eine Filiale der Sparkasse. Etwas später fand die Polizei Uwe M. und Uwe B. erschossen in dem brennenden Wohnmobil.
Zum Hintergrund von Holger G. ist wenig bekannt. Nach Erkenntnissen der Bundesanwaltschaft soll der Mann seit Ende der 1990er Jahre mit Uwe M., Uwe B. und Beate Z. in Kontakt gestanden haben. Die drei waren 1998 untergetaucht. Es ist zu vermuten, dass Holger G. schon vorher eine Verbindung zum Jenaer Trio unterhielt – möglicherweise über Treffen bei der Neonazi-Kameradschaft „Thüringer Heimatschutz (THS)“, die ein V-Mann des Verfassungsschutzes führte.

Das Trio und Holger G. sollen der „Kameradschaft Jena“ angehört haben. Was ist über die Gruppierung bekannt?

Die Kameradschaft wurde vom Thüringer Verfassungsschutz mehrmals in den Jahresberichten erwähnt, zuletzt 2002. Die kleine Gruppierung war bereits im Thüringer Heimatschutz aufgegangen und wurde als „Sektion Jena“ geführt. Der Thüringer Heimatschutz wie die Kameradschaft Jena verstanden sich als Aktivisten der „Anti-Antifa“. Dabei handelt es sich um eine gruppenübergreifende Kampagne der rechtsextremen Szene zur Bespitzelung von Nazigegnern. Sicherheitsexperten nennen die Anti-Antifa eine „Feierabend-Gestapo“.

Neonazis spionieren private Daten, zum Beispiel Adressen und Beruf, von Linken, demokratischen Politikern, Polizisten, Journalisten und anderen „Feinden“ aus. Die gesammelten Informationen werden in Szenepublikationen und im Internet veröffentlicht. Damit sollen Nazigegner eingeschüchtert und gewaltbereite Rechtsextremisten zu Angriffen auf die missliebigen Personen animiert werden. In Thüringen veröffentlichte das Anti-Antifa-Netzwerk in den 1990er Jahren seine Erkenntnisse in der Publikation „Der Einblick“. Ob das Jenaer Trio daran beteiligt war, ist offen.

Hatte das Neonazi-Trio eventuell noch mehr Unterstützer?

Sicherheitsexperten vermuten, dass noch weitere Unterstützer ermittelt werden können. Viele könne es aber nicht gegeben haben, heißt es. Hätte das Jenaer Trio mit einem größeren Personengeflecht kooperiert, wäre das Risiko gewachsen, dass jemand plaudert. Verfassungsschutz und Polizei hätten dann einen Tipp bekommen können. Unklar bleibt allerdings, was die Thüringer Behörden Ende der 1990er nach dem Verschwinden des Jenaer Trios mitbekommen haben.

Ein Unterstützer könnte auch der Mann gewesen sein, der im sächsischen Zwickau die drei Neonazis als Untermieter in seinen Räumlichkeiten aufnahm. Die Staatsanwaltschaft Zwickau sagte vergangene Woche, der Mann sei derzeit nur ein Zeuge. Fragen nach einem rechtsextremen Hintergrund der Person konnte die Behörde nicht beantworten.

Wenn Uwe M., Uwe B. und Beate Z. nur von wenigen Personen unterstützt wurden, muss man sich fragen, wie sie in der Lage waren, die vielen Anschlagsorte auszukundschaften und wie es gelingen konnte, sich mehr als 13 Jahre finanziell über Wasser zu halten. Es erscheint zweifelhaft, dass die Beute aus den bislang bekannten 14 Banküberfälle gereicht hat, die Ausgaben der Neonazis über einen so langen Zeitraum zu decken. Außerdem gelang nicht jeder Überfall. Einige Angriffe brachten allerdings größere Summen ein. Im Juli 2001 raubten Uwe M. und Uwe B. in einer Zwickauer Poststelle 75000 D-Mark. Im September 2002 kamen sie in einer Filiale der Sparkasse in Zwickau an 48000 Euro.

Beate Z. fordert eine Kronzeugenregelung. Kann ein solcher Deal für die Ermittler sinnvoll sein?

Die Frau hat, vielleicht mit Hilfe ihres Anwalts, ihre einzige Chance erkannt, nicht den Rest ihres Lebens hinter Gittern verbringen zu müssen. Sie kann vermutlich nur dann auf eine Strafe jenseits lebenslanger Haft und wegen besonderer Schwere der Schuld plus Sicherungsverwahrung hoffen, wenn sie den Ermittlern hilft, die mehr als 13 Jahre währende Terrortour komplett aufzuklären. Würde sich Beate Z. verweigern, müssten Polizei und Bundesanwaltschaft in langer Kleinarbeit zehn Morde, 14 Banküberfälle und vermutlich weitere Taten rekonstruieren. Und dann müsste in einem Prozess Beate Z. bei jedem einzelnen Fall anhand von Indizien und der Aussagen von Zeugen eine Tatbeteiligung nachgewiesen werden. Sollte Z. kooperieren und die Justiz dann die Kronzeugenregelung anwenden, stünde der Frau dennoch wahrscheinlich eine lange Zeit in Haft bevor. Im einschlägigen Paragrafen 46b des Strafgesetzbuches heißt es, das Gericht könne die Strafe mildern, wobei an die Stelle von lebenslanger Haft „eine Freiheitsstrafe nicht unter zehn Jahren tritt“.

Welche Rolle spielte Beate Z. bei den Morden?

Bislang ist zu vermuten, dass bei den neun „Döner-Morden“ und bei der Tötung der Polizistin in Heilbronn Uwe M. und Uwe B. geschossen haben. Bei den Banküberfällen haben Überwachungskameras auch nur die beiden Männer aufgenommen. Ob Beate Z. Fluchtfahrzeuge gefahren hat, ist derzeit noch offen. Sie muss dennoch damit rechnen, dass die Bundesanwaltschaft ihr in einer Anklage eine Mitschuld an allen diesen Taten vorhält. Die Behörde ermittelt derzeit gegen Beate Z. wegen des Anfangsverdachts der „Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung in Tateinheit mit Mord und versuchtem Mord sowie der schweren Brandstiftung“.

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