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Panorama: Im Harem ist die Hölle los

Sie liegen Matratze an Matratze, der ehemalige Kommunarde Rainer Langhans und seine fünf Gefährtinnen. Das Fernsehen ist jeden Abend dabei. Im echten Leben ist das anders: Da wohnt jeder allein, die Frauen mögen sich nicht besonders. Und die freie Liebe? Von wegen freie Liebe.

Von Barbara Nolte

Rainer Langhans empfängt die Besucherin im Bett liegend. Zwei Decken hat er über den Bauch gezogen, Kissen hinter Kopf und Rücken gestopft, über die seine langen grau-blonden Locken fallen. Neben ihm sitzt ein hagerer, schwarzhaariger Mann, der sagt: „Ich bin der Ernst und du?“

Langhans, 62, ist ganz in weiß gekleidet, er sieht aus, als sei er krank, oder Jesus Christus. Aber irgendwie auch sehr freundlich. „Könnten sie vielleicht die Schuhe ausziehen?“, bittet er. „Das ist ein Barfuß-Zimmer.“ Er macht eine kleine Wohnungsführung, für die er gar nicht aufzustehen braucht, denn er hat nur das eine Zimmer hier. Er deutet auf den Balkon: „mein Kühlschrank“. Dann in die entgegengesetzte Richtung, wo eine zu einer Matte gefaltete Wolldecke liegt: „Das Gästebett, setzen Sie sich doch!“ Über Ernst sagt er: „Er ist zum Fernsehen gekommen. Er hat keins.“

Es läuft eine Folge von „Die Kommune“, eine Art „Big Brother“ auf TV.München und TV.Berlin. Von und mit Rainer Langhans. Ende Februar ließ er sich zusammen mit fünf Frauen eine Woche lang in einer Münchner Wohnung rund um die Uhr von Kameras beobachten. „Wir wollten von anderen Leuten hören, wie sie finden, was wir die ganzen Jahre so gemacht haben“, sagt er. Langhans ist einer der letzten Versprengten der Studentenbewegung. Schon damals hat er sich vor allem um die Revolution des Zwischenmenschlichen gekümmert. Er hat die Kommune 1 mit gegründet, eine Wohngemeinschaft in Berlin, in der er das Privateigentum, die Monogamie und die Klotür abgeschafft hat. Mitte der 70er Jahre hat er sich dann einen Harem angeschafft. Er sagt das wirklich so: „mein Harem.“

Nur, wo sind die Frauen heute? Warum sitzt nur Ernst mit ihm vorm Fernseher, ein loser Bekannter, der dauernd telefoniert, weil einer seiner Freunde, ein Junkie, heute seinen Entzug abgebrochen hat. „Dieses verfluchte Heroin“, sagt er. „Es ist nie die Droge, es ist immer der Mensch“, antwortet Langhans und starrt auf den Fernseher. Gerade ist er selbst drin zu sehen: Er liegt in identischer Pose im Bett und erzählt von seiner Kindheit in Pommern. Ein absurdes Spiegelbild.

Auch Liebe ist harte Arbeit

Die Frauen schauen die Sendung übrigens bei sich zu Hause, sagt er. „Da können sie sich besser konzentrieren.“ So wie man sie in diesen Tagen im Fernsehen sieht – Matratze an Matratze –, liegen sie nämlich nur ausnahmsweise da. Jeder hat seine eigene Wohnung. „Schon immer“, sagt Langhans.

Wenn man also beschreiben will, wie sie im Harem wirklich leben, muss man sechs Termine machen, denn jede Frau möchte interviewt werden: alleine. Die Termine macht Rainer Langhans, er holt die Journalistin auch am Morgen von der U-Bahn ab. Mit zwei Frauen hat er gerade noch im Park gesessen. „Sie waren ganz aufgewühlt von der Sendung gestern.“ Solche Psychogespräche mit den Frauen sind seine Hauptbeschäftigung. „Einen Nine-to-Five-Job“, sagt er, habe er schon lange nicht mehr. Keiner aus dem Harem. „Wir sind produktive Arbeitslose, Sie werden sehen!“ Er läuft jetzt die Treppen eines 70er-Jahre-Hauses in der Schwabinger Clemensstraße rauf, bleibt vor einer Tür stehen, schließt auf, ohne vorher zu klingeln. „Brigitte!“, ruft er. Brigitte Streubel, 52, ist seine Frau Nummer zwei, was nicht hierarchisch gemeint ist. Sie ist als Zweite zu ihm gestoßen. Von seinen Frauen liebe er keine mehr als die andere, sagt er. „Mir ist die am liebsten, die gerade am intensivsten an sich arbeitet.“ Aber ist Liebe nicht auch irrational? „Nee. Diese klebrige Liebe in der Zweierbeziehung“, sagt er geringschätzig, „das ist doch Volksschule!“ Statt von lieben sprechen sie im Harem von arbeiten. Brigitte Streubel – eine sehr hübsche, dünne Frau in Jeans und Norweger-Pulli – „arbeitet“ seit 1976 mit Langhans. „Ich habe den Harem zusammen mit Jutta Winkelmann gegründet“, sagt sie. Mit ihr hat sie damals auch versucht, Langhans zu verführen. „Hat nicht geklappt. Das waren wir nicht gewohnt.“

Streubel war ein sehr blondes Fotomodell, Winkelmann eine Schauspielerin mit schwarzen Locken. Langhans wollte sie durchaus als Freundinnen haben: um mit ihnen zu fasten, zu meditieren, um nachts durch den Park zu spazieren, aber vor allem: um zu reden. Noch heute ist das so. Er kommt fast jeden Tag bei Brigitte oder bei Jutta vorbei. Oder bei Gisela Getty, Christa Ritter, Anna Werner. So heißen die Frauen, die später dazugekommen sind. Alle sind sehr attraktiv und sympathisch. Und bis auf Anna Werner, die am Walchensee im Voralpenland ein Café führt, wohnen alle im Hollandrad-Radius von Langhans entfernt. „Rainer hat als einziger Mann ein offenes Ohr für uns“, sagt Brigitte Streubel, „er will alles über seine innere Frau erfahren.“

Von Jutta erfuhr er, was weibliche Träume sind, von Christa, was weibliche Strebsamkeit ist, und als Gisela Getty dazu kam, was Eifersucht unter Zwillingen bedeutet. Getty, 53, und Winkelmann sind Zwillinge. Nachdem ihre Ehe mit dem Milliardärserben Paul Getty geschieden worden war, schloss auch sie sich dem Harem an, brachte Geld und illustre Bekannte mit, und den Harem, wie manche sagen, ein wenig aus dem Gleichgewicht. Auch heute hat sie gerade Besuch. Zwei Männer. „Ich bin Giselas Ex-Freund“, stellt sich der eine vor. „Ich auch“, sagt der andere.

Das gibt es also auch im Harem: Zweitmänner, vorübergehende jedenfalls. Es gibt sogar Kinder von Zweitmännern, insgesamt fünf. Gisela Getty hat eine Tochter vom Schauspieler Rolf Zacher und einen Sohn vom Milliardär Paul Getty. „Aber Rainer ist meine große weite Liebe“, sagt sie. Auch bei ihr läuft die „Kommune"-Sendung: Langhans sucht darin gerade ein Regal mit Tofupackungen ab – nach einer Packung mit abgelaufenem Verfallsdatum. Die drei lachen. „Ich schicke ihm gleich eine SMS: Du bist süß“, sagt Gisela.

Vor zehn Minuten hat sie erst mit ihm telefoniert, sich über eine andere Haremsfrau beschwert. „Rainer! Christa hat behauptet, ich hätte Fotos von uns zensiert. Das ist wieder Christas widerliche intrigante Art.“ Untereinander verstehen sich die Frauen nicht wirklich. Jetzt arbeitet Langhans schon 25 Jahre mit ihnen und hat es nicht mal geschafft, dass sie sich richtig mögen. Es ist ja auch schwierig: Sie haben sich die anderen Frauen nicht ausgesucht. Jede von ihnen hat sich nur Rainer Langhans ausgesucht.

Sie reden auch nicht viel, als sie am Abend gemeinsam in Brigitte Streubels Golf nach Pasing zur Meditation fahren. Auch das machen sie jeden Sonntag seit einem Vierteljahrhundert. „Gisela hat angerufen. Sie wäre gerne an unserem Gespräch heute im Park beteiligt gewesen“, sagt Rainer Langhans. „Aber ihr habt doch schon gestern Abend telefoniert“, antwortet Christa Ritter. Dann schauen sie wieder aus dem Fenster.

Der Harem ist wirklich ganz anders, als das wohl bekannteste Foto suggeriert: Es zeigt die Frauen, wie sie Rainer Langhans auf Händen tragen. Alle nackt und lachend. Scheinbar lustvoll und libertinär. Doch wenn sie von Sex sprechen, benutzen sie das Wort „experimentieren“. Und auch das tun sie nur sehr selten. Gisela Getty hat Anfang der 90er mal mit Rainer Langhans „etwas versucht“. Es sei dabei aber nicht „um Triebbefriedigung“ gegangen. „Es war sehr nüchtern“, sagt sie. Aber auch „erschreckend“. Erschreckend? „Eine neue, geistige Erfahrung.“ Sie reden alle miteinander über diese Erfahrungen. So erklärt Christa Ritter, die noch nie mit Langhans geschlafen hat: „Rainer will keinen Samen verlieren, damit verliert man Kraft. Er arbeitet da schon lange dran.“

War alles nur ein Missverständnis? Langhans, der Vorkämpfer für die freie Liebe in Deutschland. Schon in der Kommune 1, sagt er, sei es ihm um Politik gegangen. „Das mit dem Sex haben uns die Leute untergeschoben.“ Nachdem die Kommune sich aufgelöst hatte, nachdem er sich auch von dem Fotomodell Uschi Obermaier getrennt hatte, hielt er sich an einen indischen Meister. „Alles andere hatte ich schon versucht“, sagt er. Er gewöhnte sich das Kiffen, Fleischessen, Samenergießen ab, drückte seine Lebenshaltungskosten auf ein paar hundert Mark im Monat, damit er möglichst wenig jobben musste. Zurzeit lebt er vom Verkauf der Filmrechte an der Geschichte der Kommune 1. „Ich will mich so viel wie möglich um mein Inneres kümmern.“ Das erinnert an die 68er – auch wenn er sich längst mit ihnen überworfen hat. Die „FAZ“ schrieb mal über Rudi Dutschke, dass er Geschichte für machbar gehalten habe. Rainer Langhans hält Persönlichkeit für machbar. Auch die seiner Frauen: Christa soll ihren Vaterkomplex loswerden und Brigitte ihre Körperfixierung, denn sie vermisst den Sex so. Dazu führen sie lange Zweiergespräche, Gruppengespräche und zwischendurch unendlich viele Telefongespräche mit denen, die gerade nicht dabei waren. Das Leben als endlose Selbstbeschau. Da erscheint auch der Irakkrieg als Ereignis aus einer fernen Galaxie. „Wenn man sich erst mal mit seinem Inneren beschäftigt hat, geht man auf keine Demonstration mehr“, sagt Christa Ritter.

Die ewige Perfektion des Ichs

Bis auf eine haben auch die Frauen ihre Berufe längst aufgegeben. Früher waren sie erfolgreiche Filmemacherinnen, Fotografinnen, Designerinnen. Heute leben sie von ihrem Vermögen oder von Sozialhilfe. Manchmal machen sie Kunstprojekte, wie Christa, die gerade an einem Drehbuch über die Kommune 1 schreibt. Aber auch diese Projekte handeln immer nur von ihnen selbst.

Darum haben sie auch der Container-Sendung gleich zugestimmt: Es ist so etwas wie die Ausstellung ihres Lebenswerkes. Aber schön ist es nicht anzusehen, eher anstrengend: Die Frauen sitzen da und klagen, sie seien frustriert oder depressiv. Und wenn sie sich mal positiver sehen, kommt Langhans und sagt, sie sollen sich nichts vormachen: Im Grunde seien sie doch frustriert. Er geht sehr grob mit seinen Frauen um. Warum tun sie sich das an, warum bleiben sie? Vielleicht weil er immer für sie erreichbar ist, sie in ihrer Egozentrik bestärkt, ihren Ehrgeiz auf ihre Persönlichkeiten richtet, auf die Perfektion ihres Ichs.

Langhans der Trainer, der Therapeut. Und doch ist seine Rolle etwas seltsam, denn er schafft die Probleme, die er mühsam therapiert, ja selbst. Das Hauptproblem der Frauen ist nämlich ihre Eifersucht aufeinander. „Ich kann sie ja verstehen, aber sie tragen etwas infantil aus“, sagt Langhans. Er hat gut reden.

Eines ist klar, nachdem der Container eine Woche läuft: Das Konzept der zölibatären Vielweiberei schlägt nicht so ein wie das der freien Liebe. Aber Langhans sagt, er bekomme in diesen Tagen viele Anrufe. Auch jetzt klingelt wieder sein Handy. Es ist nur Christa. Anschließend sagt er zur Reporterin: „Christa meinte gerade, Sie hätten zu ihr gesagt, dass Sie uns nicht für sinnlich halten.“ Der ewigen Gesprächsschleife kann keiner entkommen.

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