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Ungarn: Fatale Isolation

Europa blickt mit zunehmender Bestürzung auf Ungarn: Am Montag verabschiedete der konservative Ministerpräsident Viktor Orban eine neue Verfassung und fordert damit die europäische Demokratie heraus.

Die Frage, was mit Ungarn los ist, stellt sich Europa seit langem. Zuerst, als Ministerpräsident Viktor Orban vor bald zwei Jahren mit einer Zweidrittelmehrheit die politischen Verhältnisse auf den Kopf stellte, mit besorgter Aufmerksamkeit. Seitdem mit zunehmender Bestürzung: Der Gleichschaltung der Staats-Organisation folgten immer neue überraschende Entscheidungen, unter denen das neue Medienrecht – durchgesetzt ausgerechnet unmittelbar vor der Übernahme der europäischen Präsidentschaft Anfang 2011 – einen besonderen Affront gegen die europäischen Standards der Medienfreiheit bedeutet. Eine neue Verfassung, im Galopp verabschiedet, setzte Orbans Herausforderung der europäischen Demokratie die merkwürdige, historisch verbrämte Krone auf. Die Auseinandersetzungen, die die Feier ihrer Inkraftsetzung am Montag begleiteten, haben nun unübersehbar deutlich gemacht, wo die ungarischen Irrungen und Wirrungen angekommen sind.

Orban geht seinen Weg einer konservativen Revolution in Richtung auf ein autoritär eingefärbtes Regime unbeirrt weiter. Die Verurteilung von Teilen des Mediengesetzes durch das Verfassungsgericht kurz vor Weihnachten war vermutlich ein letztes Salut an den Rechtsstaat hergebrachter Prägung, denn die neue Verfassung und neue Richter werden dem Urteil den Boden entziehen. Zugleich macht eine Opposition mobil, inzwischen durchaus unübersehbar. Doch ist noch ganz unsicher, wie stark sie ist, wie tief sie in die Gesellschaft hineinreicht und wie weit sie politisch formierbar ist. Das Ganze ist der Beginn einer Kraftprobe, deren Ausgang noch längst nicht absehbar ist.

Denn Orban hat das politische Hebelwerk von Parlament, Staatsorganen und Gerichten entschlossen verstellt und verbogen, ganz auf die Erhaltung seiner Macht hin. Die Mechanismen demokratischer Kontrolle sind ausgehöhlt und gebrochen. Selbst wenn sich in Ungarn die Unzufriedenheit mit den Verhältnissen massiv ausbreitete, gäbe es kaum noch Möglichkeiten, sie politisch-parlamentarisch umzusetzen. Orbans Revolution hat sich mit der neuen Verfassung ein Bollwerk seiner Herrschaft geschaffen, dem - wie es scheint - nur mit Mehrheiten beizukommen ist, die ihrerseits die Kraft zur Verfassungsänderung haben.

Allerdings: Die innere Situation Ungarns ist alarmierend. Die mehrere hundert Meter lange Menschenschlange, die sich am ersten Weihnachtstag in der Budapester Innenstadt bildete, um eine warme Mahlzeit zu erhalten, kann man wohl schon als ein Menetekel dafür nehmen. Orban verdankte seinen Siegeszug nicht zuletzt den Hoffnungen der Menschen, er könne mit seiner Durchsetzungskraft das Land aus der Schuldenfalle befreien und einer verunsicherten Gesellschaft wieder sichere Fundamente verschaffen. Davon ist nichts eingetreten. Vielmehr hat er sich in eine Auseinandersetzung mit der EU und dem IWF verstrickt. Von ihm in der ihm eigenen rechthaberisch-realitätsverneinenden Weise geführt, hat sie das Klima gegenüber zwischen dem EU-Europa und Ungarn immer kühler werden lassen. Während der Forint auf einem Rekordtief gelandet ist, die Staatsschulden steigen und die ungarischen Staatsanleihen so teuer sind wie seit 2008 nicht mehr. Ungarn steht heute eher schlechter dar als vor seiner Machtübernahme.

Viktor Orban hat Ungarn, das doch ein zutiefst europäisches Land ist, in Europa in eine fatale Isolation geführt. Der Kult des Ungarntums, mit dem er die angespannte Situation seines Landes zu überhöhen versucht, sie aber doch nur verkleistert, und kulturpolitische Entscheidungen, die im restlichen Europa blankes Unverständnis auslösen, geben diesem Weg anachronistisch-absurde Züge. Gewiss, Europa besteht aus souveränen Nationalstaaten. Aber Ungarn ist Teil des Europas der Gemeinschaft, dessen Politik Verantwortung dafür trägt, dass seine Werte und Leitvorstellungen in den Mitgliedsländern respektiert werden. Es ist an der Zeit, dass die Gemeinschaft ihrem Mitglied Ungarn deutlich macht, wo die Grenzen seiner Sonderwege liegen.

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