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Extrem schwieriger Typ, aber eben auch genial: der Sänger Falco.

© picture-alliance/ dpa

15 Jahre nach Falcos Tod: Zwischen Komplexen und Größenwahn

Hier musst’ erst sterben, damit sie dich hochleben lassen. Davon war der Sänger Falco überzeugt. 15 Jahre nach seinem Unfalltod gibt es viele, die sich mit seinem Ruhm schmücken wollen.

Aus Markus Spiegels Wohnung hat man einen herrlichen Blick über Wien. Doch heute ist das Wetter schlecht, und auch Spiegel geht es nicht gut. Das exzessive Leben, das er im Musikbusiness geführt hat, ist an ihm nicht spurlos vorübergegangen. Immer wieder muss er das Gespräch unterbrechen, Hustenanfälle, Mundtrockenheit. Das blaue Poloshirt hat den Versuch längst aufgegeben, den voluminösen Bauch sportlich aussehen zu lassen. Das Leben, das Spiegel auf diese Weise gezeichnet hat, hat er an der Seite Falcos verbracht. Spiegel gilt als Falco-Entdecker, da sind sich fast alle einig, die man heute fragt. Er war es, der den jungen Hansi Hölzel bei der Band Drahdiwaberl entdeckt hat. Als dieser Anfang der 80er Jahre in den Pausen der Konzerte seinen ersten Song spielen durfte. „Ganz Wien“, singt Falco darin, „ist auf Kokain.“

Ein extrem schwieriger Künstler sei Falco gewesen, sagt Spiegel zwischen zwei Hustern. „Alkoholabhängig, kokainabhängig.“ Aber eben auch genial. Diese Sprache, eine Mischung aus Wienerisch, Deutsch und Englisch, Manhattan-Schönbrunner-Deutsch. Wie in „Amadeus“, wenn Falco über Mozart und sich selbst rappt: „Er war so exaltiert / Because er hatte Flair.“

Es war Markus Spiegel, der Falco den ersten Plattenvertrag gab, für drei Alben. Das war damals üblich so. Danach würde man weitersehen, ob die Karriere in Gang gekommen war. Doch bereits das Debüt „Einzelhaft“ enthielt den Hit „Der Kommissar“. „Junge Römer“ gilt als das kompletteste Falco-Album. Und dann hatte Spiegel sogar noch das Glück, dass auf „Falco 3“ mit der Hitsingle „Rock me Amadeus“ der Song zu hören war, der den Österreicher an die Spitze der amerikanischen Charts katapultierte.

Danach war Falco zu groß für das kleine Label von Spiegel. Zu groß auch für Wien. Aber es ist in diesen Tagen sehr schön zu beobachten, wie etwas von der Größe des Weltstars nach Wien zurückgeholt werden soll. Die Frage ist nur, was das ist.

In Wien ist man nicht einfach tot. Das sagt hier niemand. Die Wiener drücken es kunstvoller aus. „Der ist mit dem 71er gefahren.“ Der 71er ist eine Straßenbahnlinie und führt aus dem Stadtzentrum Wiens zum Zentralfriedhof. Plakate säumen den Weg. Herbert Grönemeyer, Joe Satriani, Bon Jovi kleben am Straßenrand. Man muss die 71er nehmen, um zu Falco zu gelangen. Dessen derzeitige Adresse: Tor drei, Gruppe 40, Grab 64.

Hier liegt er, den sie zu Lebzeiten „den Falken“ genannt haben und der zu den Grönemeyers und Bon Jovis dieser Welt gehört.

Für Falco war Wien mehr als Geburtsort. Er hat es besungen, in seinen Hits „Ganz Wien“, „Vienna Calling“, „Rock Me Amadeus“. In sein Wien ist er zurückgekehrt, wenn es mal wieder nicht lief mit der Karriere, wenn die Hits ausblieben. 1993 etwa, auf dem Donauinselfest, vor 150 000 Zuschauern, als er mitten im Song „Der Kommissar“ an den Bühnenrand trat und fragte: „Ist das noch mein Wien?“ Diese Mischung aus Größenwahn und Minderwertigkeitskomplex, die den Wienern, die den Österreichern insgesamt nachgesagt wird, in Falco ist sie zur dekadenten Zeitgeistfigur geworden. Erfolgreich wurde er, weil er, „einen geilen Sound“ hatte, wie es ein Produzent aus der Zeit ausdrückt. Aber da war noch mehr als das, mehr als das gegelte Haar. Und es zeigte sich in seinem Wortwitz und dem arroganten Grinsen, in dem immer eine Spur Wahnsinn lag.

Doch Falco hat mit seinem Wien auch gehadert, am Ende seines Lebens ist er in die Karibik geflüchtet. „Mit Wien geht’s nicht, ohne aber auch nicht“, soll er gesagt haben. Den Wiener Kabarettisten Helmut Qualtinger zitierte er mit dem Satz: „In Wien musst’ erst sterben, damit sie dich hochleben lassen. Aber dann lebst’ lang.“

Er lebt tatsächlich, irgendwie. Zumindest für das Ehepaar aus Zürich, das an einem Sonntag Ende Januar vor dem Grab steht. Sie hätten den „Spirit“ gespürt, das „Karma“ von Falco, überall in der Stadt. Der Mann steckt eine weiße Rose in den Schnee. Sie zündet ein Grablicht an, platziert es ganz dicht an dem riesigen Glasschnitt mit einem Bild Falcos als Vampir. Es ist das Cover seines Albums „Nachtflug“ aus dem Jahr 1992. In der Single „Titanic“ singt Falco: „Denn nobel geht die Welt zugrund’ / Ob dieser oder jener Stund’ / Morbidity for you and me.“ Ob man denn mittlerweile wisse, wie genau Falco gestorben sei, fragt der Mann.

Nach dem Tod vervielfachte sich die Zahl der Weggefährten

Bei einem Autounfall. Am 6. Februar 1998. In der Dominikanischen Republik, seiner Wahlheimat. Im Blut fanden sich später Alkohol, Marihuana und Kokain. Er wurde 40 Jahre alt.

Übrig blieben ein paar unfertige Songs, darunter „Out Of The Dark“, Falco singt darin: „Muss ich denn sterben, um zu leben?“, was viele als Ankündigung eines Selbstmords aufgefasst haben. Alles Quatsch, sagen die, die ihn kannten. Er habe noch viel vorgehabt, das posthum erschienene Album sollte eigentlich „Egoist“ heißen. So einer bringe sich nicht um.

Seit seinem Tod hat sich die Zahl seiner vermeintlichen Weggefährten vervielfacht. Nur übertroffen von der Zahl von Dokumentationen, Alben, Büchern, wenn die Mitstreiter von einst ihre Falco-Archive plündern. Es gibt einen abendfüllenden Spielfilm, Lauda Air hat ein Flugzeug nach Falco benannt. Es gibt eine Falco-Briefmarke – „Rock me Amadeus“ im Mozartstil –, eine Falco-Rose, Farbton „Azalee-Zyklame“, eine Falco- Stiege, eine Falco-Gasse. Nur ein offizielles Falco-Museum gibt es noch nicht.

Aber etwas in der Art betreibt Michael Patrick Simoner, von Beruf Friseur. Es ist sein ganz eigenes Falco-Museum, aber eigentlich ein Frisiersalon. Von Montag bis Freitag schneidet, legt, färbt Simoner hier Haare, raucht, erzählt von Falco und dabei immer auch von sich selbst. An den Wänden, der Decke, an jedem freien Fleck zwischen Friseurstuhl und Spiegel hängt etwas von Falco. „Bravo“-Poster, Fotos, die originale rote Fantasieuniformjacke, die Falco im Video zu „Rock Me Amadeus“ getragen hat.

„Da“, Simoner deutet auf die Jacke, „die hab ich von der Mama.“

Die Mama, das ist Maria Hölzel, Falcos Mutter, Präsidentin der Falco-Stiftung, in die das Geld aus den Plattenverkäufen nach Falcos Tod vor 15 Jahren fließt. Sie war es, die darum bat, dass auch Simoner sie „Mama“ nennt. Denn Simoner schneidet nicht nur Haare. Am Wochenende tritt er auf, als Falco. Meist allein, mit Musik aus der Konserve, 70, 80 Konzerte im Jahr kommen da zusammen. Als Falco macht er Werbung für Media Markt, für eine Kaffeesorte, spielt im Vorprogramm der Kastelruther Spatzen, vor den Wildecker Herzbuben, auf den Wiener Wiesn. Überall dort, wo man ihn lässt, demnächst auch in Hoyerswerda.

Simoner ist das einzige von der Falco-Stiftung autorisierte Falco-Double. Das ist ihm wichtig. Er spricht das Wort ohne Pausen: „Einzigautorisiertesfalcodouble“. Auch Auftritte in Altersheimen könnte er sich vorstellen. Den Titel wüsste er schon: „Verdammt wir leben noch“. So hieß auch der Spielfilm über Falcos Leben aus dem Jahr 2008. Der sei aber schlecht, sagt Simoner. Auch weil da nichts original sei, die Bühnengarderobe, die habe ja er. Von der Mama.

Eine Kundin betritt den Laden, Küsschen links, rechts. Man kennt sich von Simoners Falco-Auftritten.

„Weißt du noch, das Konzert?“ Simoner tippt mit dem Finger auf ein Foto, das ihn selbst im Falco-Kostüm zeigt. „Das war super, gell.“

Ja, war super, sagt die Kundin.

„Ja“, sagt Simoner, „war super.“

Beim Hinausgehen will Simoner unbedingt noch ein Foto zeigen. Es hängt an der Garderobe, verdeckt von Mänteln. Ein Porträt, Falco kurz vor seinem Tod, der schwarze Haarschopf an den Spitzen ergraut. „Das ist unveröffentlicht“, sagt Simoner „das hab nur ich.“

Simoner sagt auch noch, dass er Falco einige Male getroffen hat. Mehr noch, Falco soll Simoner gesagt haben, dass er seine Interpretation gut finde.

Leute, die Falco besser kannten, behaupten das Gegenteil. Einer von ihnen ist Thomas Rabitsch, gemäßigte Rockmusiker-Erscheinung, Zehntagebart, Skinny-Jeans, Stiefel. Bei Rabitsch gibt es Kaffee und „Koks“. Wobei er lachen muss, als er auf den weißen Energy-Drink mit der Aufschrift zeigt.

Der Falco-Kult brachte absurde Blüten hervor

Rabitsch weiß von Falco aus einer Zeit zu erzählen, als der noch „der Hansi“ war, der stille Bassist. Zusammen haben sie bei Drahdiwaberl gespielt, der anarchischen Wiener Underground-Band, deren Konzerte Happenings und Selbsterfahrungstrips waren. Bei der das Publikum auf die Bühne stürzte und Falco sich mit einem Nadelstreifenanzug gegen den um ihn wütenden Hippie-Irrsinn wappnete. Später war Rabitsch Keyboarder und Bandleader bei Falcos Welttourneen. Und nach Falcos Tod war er an vielen Versuchen beteiligt, alte Originalaufnahmen neu aufzubereiten. Das hat ihm gutes Geld, aber nicht nur Lob eingebracht. Er ist unsicher, ob er überhaupt etwas über Falco sagen soll.

15 Jahre nachdem es vorbei war, immer noch als dessen Keyboarder zu gelten, sei unangenehm, sagt Rabitsch. Bis heute schreiben ihm Falco-Fans, wollen ein Autogramm, von Falco. Rabitsch arbeitet vermehrt als Produzent, unterstützt die vielen österreichischen Casting-Shows musikalisch. Da sitzen dann Musiker wie Sido am Jurorentisch, und Rabitsch denkt: „Wir hätten keinen Sido gebraucht, wenn es Falco noch gäbe. Die ideale Besetzung.“

Was Rabitsch nachdenklich macht, sind die absurden Blüten, die der Falco-Kult hervorgebracht hat. Es grollt in Rabitsch. Verärgert ist er über einen wie Rudi Dolezal, die eine Hälfte des Videoproduzentenduos, das für Falcos Musikvideos verantwortlich war, der alle paar Monate eine neue Falco-Doku auf den Markt wirft, mit jeweils wirklich noch nie dagewesenen Falco-Schnipseln.

Als Rabitsch selbst Falcos „Symphonic“-Konzert von 1994 neu aufnahm und veröffentlichte, meldete sich Dolezal zu Wort. Sein Urteil: Der Falco würde sich im Grabe herumdrehen. Aber das ist ein Satz, den hier jeder mindestens einmal im Gespräch in Bezug auf alle anderen sagt. Rabitsch hat ihn allerdings nicht verwunden. Er will nun berichten, was Falco einmal über Dolezal gesagt habe, „wenn man dem den kleinen Finger reicht, nimmt er die ganze Hand, und am Ende steht Rudi drauf.“ Aber da klingelt das Handy. Es plärrt als Ansage der Wiener Straßenbahnlinie im breitesten Wienerisch dazwischen. „Thaliastraße!“.

Am anderen Ende der Leitung Rabitschs Frau. Was es denn zu essen gebe, fragt Rabitsch. „Nichts“, sagt seine Frau, „wenn du den ganzen Tag über Falco quatschst, hast du Pech gehabt.“

Wie hatte es Markus Spiegel ausgedrückt? Falco habe es nie weit zur Bar gehabt. Bis 1982 wohnte er über einem Lokal namens „Zum alten Fassel“. Sein Stammplatz war ein Tisch in der Ecke, in der Nähe des Eingangs, gleich an der Bar. Zwei Poster erinnern an den prominenten Gast von damals. Das eine macht Werbung für eine weitere Falco-Doku. Das andere kündigt die Falco-Gedenknacht an, natürlich im U4. Und weil in Falcos Stammdiscothek U4, die es ebenfalls heute noch gibt, einer arbeitet, der aus Falco zumindest nicht unmittelbar Kapital geschlagen hat, weder zu Lebzeiten noch nach dessen Tode, aber als Falco-Intimus, als Freund des Popstars gilt, sollte er gleich zur Tür hereinkommen. Conny de Beauclair, Türsteher-Legende des U4, ein wahrer Freund?

Als der Mann das Lokal betritt, ganz in Schwarz gekleidet, über 1,90 groß, Hände wie Bratpfannen, hat er vier Leitzordner dabei. Beweismaterial. Fotos von ihm und Falco. Die zeigen, dass er ihn wirklich kannte, ganz nah dran war, nicht so wie die ganzen anderen Schwätzer.

Einmal, erzählt er jetzt, habe ihn Falco um seine Meinung gebeten. Es ging um die Frage, welchen Song er zur ersten Single seines Debüt-Albums machen sollte. „Du musst den Kommissar bringen“, hat de Beauclair geraten. Es wurde Falcos erste Nummer eins in Deutschland und Österreich. „Ich hatte recht“, sagt de Beauclair und erlebt den Moment des Triumphs von damals noch einmal.

Dann erzählt die Türsteher-Legende noch ein paar echte Türsteher-Legenden. Wie er Johnny Depp einst ins U4 lockte, wie er einen Songtext von Sade aus den Fängen der Fans rettete. Ein Buch über Falco hat er nicht geschrieben. Aber es gibt eins über das U4, mit de Beauclairs Fotos, „Diskothek – 30 Jahre“. Conny blättert durch die Seiten. Vorne sind Bilder vom sehr jungen Boy George, von Kurt Cobain, bevor der zum Star wurde, auch von Falco in den 80ern. Als er in „Ganz Wien“ sang: „Im U4 geigen die Goldfisch“. Weiter hinten Fotos von heute: Wet-T-Shirt-Contest und Gurkenwettessen. Das U4, sagen alle bis auf Conny, ist auch nicht mehr das, was es mal war. Falco würde sich wohl einen stilvolleren Klub aussuchen. Sagen sie.

Tor drei, Gruppe 40, Grab 64. Rechts neben der Ruhestätte klafft eine Lücke. Stellvertretend für die Lücke, die Falco in der österreichischen Popwelt hinterlassen hat. Danach kam nur noch DJ Ötzi. Leute, die Falco kannten, sagen, dass er das Grab sicher gut gefunden hätte. Nicht weil es seinen Geschmack getroffen hätte – es ist mit Abstand das geschmackloseste. Aber es ist eben auch das größte.

Dieser Text ist auf der Reportage-Seite erschienen.

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