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Zu leicht? Zu schwer? Bei der Einschätzung der Abiturprüfungen dürften manche Schüler zu anderen Bewertungen kommen als ihre Lehrer.

©  Frank Rumpenhorst/dpa

Abschlussprüfungen an Schulen: Abi in Berlin? Mathe zu leicht, Bio zu wirr

Bei den Prüfungen an Berlins Schulen hat das Niveau der Aufgaben nachgelassen – sagen Lehrer. Und äußern einen Verdacht.

Die Klausuren sind geschrieben, bald beginnen die Zeugniskonferenzen, aber Erleichterung will sich nicht einstellen: Gymnasiallehrer beklagen im aktuellen Abitur „wachsweiche Prüfungen“ in Mathematik und eine „wirre Aufgabenstellung“ in Biologie. Sekundarschulen und Berufsschulen hadern damit, dass die Hürden in die gymnasialen Oberstufen gesenkt wurden. Alle zusammen haben den Eindruck, „dass die Bildungsverwaltung ihre Bilanz schönen will“.

„Die Fragen waren einfach: So lässt sich eine Aufgabe der Geometrie und Stochastik in der Regel fast ausschließlich mit Mitteln der Mittelstufe lösen“, berichtet etwa Thilo Steinkrauß, Fachbereichsleiter Mathematik am Herder-Gymnasium in Westend über die Abiturprüfung - einen ausführlichen Text von ihm über das Thema lesen Sie unter diesem Link.

Ganze Themengebiete gestrichen

Unter seinen Kollegen im Bezirk sei es „unstrittig, dass der Schwierigkeitsgrad streng monoton fallend ist“. Ganze Themengebiete seien gestrichen worden: „Sinus und Cosinus kommen in der Analysis in Funktionsuntersuchungen nicht mehr vor, auch keine Logarithmen in der Analysis, und auch nicht gebrochen rationale Funktionen“.

Zwar ist das Herder-Gymnasium auf Mathematik spezialisiert, aber Sekundarschulen und andere Gymnasien kommen zu ähnlichen Einschätzungen wie Steinkrauß: „Die Leistungskursklausuren waren tendenziell leichter als sonst“, zitiert Martin Meinhart, Mittelstufenkoordinator der Spandauer Martin-Buber-Sekundarschule, seine Mathematik-Kollegen. Die Schüler hätten im Schnitt eine glatte Zwei erreicht.

„Es gab schon deutlich schwierigere Zentralabiture“, bestätigt auch Matthias Nicol vom Heinrich-Hertz- Gymnasium in Friedrichshain. Aus der Bildungsverwaltung hieß es allerdings, dass die Aufgaben von einer Kommission „geprüft und genehmigt“ worden seien, die „in nahezu gleicher personeller Besetzung“ seit vielen Jahren bestehe. Mit Zehntklässlerwissen könnten die Abituraufgaben „nicht annähernd erfolgreich bearbeitet werden“, betont Behördensprecherin Beate Stoffers.

Die Universitäten konstatieren allerdings seit Jahren eine eher rückläufige Tendenz beim Wissen, das die Schüler mitbringen: „Sie sind nicht dümmer, sie haben nur weniger gelernt“, fasst FU-Mathematik-Professor Günter Ziegler seine Beobachtungen zusammen.

Sein Kollege von der HU, Andreas Filler, vermutet, dass „das Repertoire an benötigtem mathematischen Wissen zurückgegangen ist“. Allerdings sage er das „sehr vorsichtig“, da er sich „für eine gesicherte Aussage die Aufgaben der letzten zehn bis 15 Jahre noch einmal sehr genau anschauen müsste“. Unabhängig von den aktuelle Aufgaben steht für den Verband der Oberstudiendirektoren fest, „dass es bei den Anforderungen in den nächsten Jahren dringend wieder eine Tendenz nach oben geben muss“, betont der Vorsitzende Ralf Treptow.

An Mathe scheitern viele

Daran ist allerdings nicht zu denken. Im Gegenteil. Nachdem 2015 die Zahl der Berliner Schüler ohne Abschluss bei über zehn Prozent lag, ist die Hoffnung zerstoben, dass schon allein die Abschaffung der Hauptschulen zu besseren Ergebnissen führen würde. Insbesondere an der Mathematik scheitern viele. Das sei wohl auch der Grund dafür, dass die diesjährigen Mathematikaufgaben im Mittleren Schulabschluss noch leichter als bisher ausgefallen seien, vermuten mehrere Lehrer.

Gleichzeitig weisen sie aber darauf hin, dass die Mathematikarbeit überhaupt noch die letzte echte Hürde sei: „Die Englischklausur kann man zumindest auf dem Niveau der Berufsbildungsreife bestehen, ohne ein Wort Englisch zu können“, sagt ein Englischlehrer mit Hinweis auf die Aufgaben zum Ankreuzen. Der Verzicht auf das Sitzenbleiben in den Sekundarschulen habe den Niveauverlust noch befördert, bedauert ein anderer Sekundarschulvertreter.

Weitere Kritik gibt es dieses Jahr daran, dass die zentrale Abiturprüfung in Biologie durch eine verwirrende Aufgabenstellung und Quellenzuordnung unnötig schwer gewesen sei. „Bei der Konzeption ist wohl einiges schief gelaufen“, vermutet Bernd Heyer, Pädagogischer Koordinator an der Otto-Hahn- Schule in Britz. Dazu will die Bildungsbehörde am Montag Stellung nehmen.

Auch die Hürden vor der Oberstufe wurden gesenkt. Das hat Folgen.

Was Heyer und seine Kollegen aus anderen Sekundar- und auch Berufsschulen allerdings viel mehr umtreibt, ist der Niveauverlust in Klasse elf: Seitdem Schüler mit einer Fünf im Hauptfach und einem Durchschnitt von Drei minus in die gymnasiale Oberstufe dürfen, scheitern sie massenhaft. „Wir haben noch nie so viele blaue Briefe geschrieben“, berichten mehrere Schulen. Und wer die elfte Klasse noch soeben schaffe, müsse dann oftmals nach Klasse zwölf abgehen. „Das brennt uns auf den Nägeln“, heißt es. Das Niveau schwinde und überdies produziere man bei den Schülern Frustration. Genau davor hatten bereits 2014 Lehrer gewarnt.

„Man suggeriert den Schülern, dass sie es schaffen können und lockt sie in eine Falle, anstatt dass sie mit einer Berufsausbildung anfangen“, bedauert ein stellvertretender Schulleiter aus Neukölln. Das sei „vertane Lebenszeit“. Die Frage, um wie viel Prozent der Anteil der Zehntklässler denn gestiegen ist, der in die Oberstufe wechselt, beantwortete die Bildungsverwaltung bislang nicht.

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