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Teilnehmer der Kundgebung "Steh auf! Nie wieder Judenhass!" des Zentralrats der Juden am 14.09.2014 vor dem Brandenburger Tor.

© dpa

Antisemitischer Angriff auf Juden aus Israel in Berlin: Eine Tragödie aus Deutschland

Massenmord in Auschwitz, Attentat bei Olympia, Prügel in Sachsen-Anhalt – eine jüdische Familie ist immer wieder brutalen Angriffen ausgesetzt. Nun wurde der Sohn in Berlin attackiert. Der 26-Jährige will aber nicht instrumentalisiert werden.

Von Frank Jansen

Es hätte ihn noch härter treffen können. „Ich habe mich gewehrt, habe meine Hände hochgehalten“, sagt Shahak Shapira, „ich hatte Deckung, die haben mich nur am Hinterkopf getroffen.“ Der 26-jährige Israeli will nicht, dass der Angriff, dem er in der Neujahrsnacht in Berlin ausgesetzt war, dramatisiert wird. Obwohl Shapira Prellungen und eine Kopfplatzwunde erlitt, „vermutlich hatte ich auch eine leichte Gehirnerschütterung“. Die sieben Angreifer seien Araber oder Türken gewesen, sagt er, sie hätten „Fuck Israel“ und „Fuck Jews“ gerufen, doch er betont sofort: „ Ich will kein Kanal sein für rassistische Scheiße und dafür, dass die Pegida-Leute den Angriff ausnutzen“.

Was in dem Waggon der U-Bahnlinie 6 geschah und dann auf dem Bahnhof Friedrichstraße, ist sowieso mehr als nur eine gewaltsame Pöbelei südländisch aussehender Jungmachos, die scheinbar ins Feindbild von Islamhassern passt. Dass Shapira den judenfeindlichen Krakelern entgegentrat und sie mit seinem Handy filmte, dass er wie berichtet bespuckt und geschlagen wurde, ist ein weiteres Kapitel einer Tragödie aus Deutschland, die offenbar kein Ende nimmt. Denn Shapiras Familie hat immer wieder brutalen Hass erlitten. Die Täter kamen aus verschiedenen Milieus, die Judenfeindschaft ist dieselbe.

Shahak Shapira hat einen jüngeren Bruder. Der Schüler wird am 16. April 2010 in Sachsen-Anhalt in der Kleinstadt Laucha von einem jungen Rechtsextremisten als „Judenschwein“ beschimpft und zusammengeschlagen. Hätte ein Autofahrer nicht angehalten, den Täter angeschrieen und den Schüler in den Wagen geholt, wäre es nicht bei Schürfwunden und einem Bluterguss geblieben.

Nur Vater entging Deportation

Das Amtsgericht Naumburg verurteilt den Schläger zu acht Monaten auf Bewährung. Doch das ist nur ein Teil der Geschichte. Der Täter hat im örtlichen Fußballverein gespielt, einer der Trainer war der Rechtsextremist Lutz Battke. 2007 wurde der Bezirksschornsteinfegermeister für die NPD in den Kreistag des Burgenlandkreises gewählt, dort sitzt er heute noch. Nur mit Mühe konnten Politiker demokratischer Parteien dem Verein klar machen, dass der Mann mit dem Hitlerbärtchen nicht als Trainer für Jugendliche taugt. Und dem Land Sachsen-Anhalt gelang es erst nach langem Rechtsstreit, Battke den Posten des bezirklichen Kaminkehrers zu entziehen. Ende 2012 entschied das Bundesverwaltungsgericht gegen den Schornsteinfeger, wegen „fehlender persönlicher Zuverlässigkeit“.

Seit 2010 ist der Tagesspiegel mit der in Laucha lebenden Familie Shapiras in Kontakt. Bei dem ersten Gespräch über die Prügelattacke auf Shahaks jüngeren Bruder bat Mutter Tsipi Lev darum, dessen Namen nicht zu veröffentlichen. Das gilt bis heute. Und Lev schilderte weitere Stationen der Familiengeschichte.

Nach dem Angriff auf den jüngeren Sohn habe sie „sofort an Auschwitz gedacht, wo die ganze Familie meines Vaters ums Leben kam“, sagte Tsipi Lev. Nur ihr Vater hatte überlebt. Als die Nazis die Familie im Warschauer Ghetto abholten, um sie ins KZ zu deportieren, konnte er sich verstecken. 1948 kam er in den gerade gegründeten Staat Israel.

Beschimpfungen im Fußballverein

Tsipi Lev wuchs dort auf. Sie heiratete einen Juden, von dem sie sich trennte, bevor sie nach Deutschland ging. Shahak und der jüngere Bruder sind ihre beiden Kinder. Der Vater des Ehemannes war der Spitzensportler Amitzur Shapira, in den 1950er Jahren einer der besten 100-Meter-Läufer Israels. 1972 begleitete er das israelische Olympiateam als Trainer zu den Spielen in München. Auch dort schlugen fanatische Judenhasser zu. Diesmal waren es palästinensische Terroristen. Sie nahmen am 5. September im Olympischen Dorf elf Israelis als Geiseln, unter ihnen Amitzur Shapira. Am Abend wurden die Täter mit den noch lebenden Geiseln in Hubschraubern zum Flugplatz Fürstenfeldbruck gebracht. Hier versuchte die Polizei, die Entführten zu befreien. Es misslang. Keine Geisel überlebte. Amitzur Shapira starb, als ein Terrorist in einen der Helikopter eine Handgranate warf.

Was 1972 geschah, „war viel schlimmer als das, was ich jetzt erlebt habe“, sagt Shahak Shapira. Und: Er fühle sich wohl in Berlin. Aber dann erzählt er, vor zwei Jahren hätten ihn in einem Fußballverein arabische Mitspieler als „ungläubiges Schwein“ beschimpft. Er habe den Verein verlassen müssen.

Die Polizei ermittelt nach dem Angriff auf Shapira in der U-Bahn wegen gefährlicher Körperverletzung und Volksverhetzung. Sprecher Stefan Redlich sagt, der Staatsschutz werde mit dem Geschädigten dessen Handyfilm und die Videos der Überwachungskameras am U-Bahnhof Friedrichstraße „umfassend auswerten“.

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