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Berlin: Auch Müntefering will Religion als Fach

SPD-Bundesvorsitzender kritisiert die Pläne, ein Pflichtfach LER einzuführen. Landeschef Müller geht auf Kirchen zu, steht aber hinter Parteitagsantrag

Von Ulrich Zawatka-Gerlach

Im Streit über einen verpflichtenden Werteunterricht an den Schulen gerät die Berliner SPD zunehmend unter Druck. Selbst der Parteichef Franz Müntefering kritisierte in der neuen Ausgabe des „Rheinischen Merkur“ die Genossen, die auf einem Landesparteitag am Sonnabend ein Pflichtfach LER (Lebensgestaltung, Ethik, Religionskunde) beschließen wollen. „Es ist richtig und wichtig, den Kindern die Möglichkeit zu geben, im Sinne ihres Elternhauses Religionsunterricht in der Schule zu haben“, sagte Müntefering. Was heute in der Politik Solidarität genannt werde, „hätte meine Mutter Nächstenliebe genannt.“

Auf die Seite der Kirchen schlug sich gestern auch der Präsident der Freien Universität, Dieter Lenzen. Er appellierte in einem offenen Brief an den SPD-Landeschef Michael Müller, „auch angesichts der globalen Herausforderungen die kulturelle Prägung unseres Bildungssystems nicht in Frage zu stellen, dessen integraler Bestandteil der Religionsunterricht ist“. Der Staat müsse den jungen Menschen die Wahl lassen, aus welchen religiösen oder nichtreligiösen Quellen sie ihre Orientierungen schöpften. Der Landeselternausschuss Berlin sprach sich ebenfalls für eine Wahlmöglichkeit zwischen LER und Religionsunterricht aus. Auch der Hauptgeschäftsführer der Berliner Industrie- und Handelskammer, Jan Eder, warnte die SPD gestern davor, „Eltern und Schülern die Wahlfreiheit zu nehmen und sie damit zu entmündigen“.

Nur der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) stellte sich auf die Seite der SPD und forderte einen „pluralistischen, gesellschaftspolitischen Ansatz bei der Wertevermittlung“. Trotz aller Kritik rechnet der SPD-Landesvorsitzende Müller damit, dass auf dem Parteitag „eine übergroße Mehrheit der Delegierten“ den verpflichtenden Werteunterricht, der im Schuljahr 2006/07 ab Klasse 7 eingeführt werden soll, beschließen wird.

Müller bemühte sich aber, im Konflikt mit den Kirchen die Wogen zu glätten. In dem neuen Unterrichtsfach „werden viele Begegnungen mit den Kirchen möglich sein, und das wollen wir auch“, sagte Müller dem Tagesspiegel. Aufgabe der SPD sei es, einen politischen Grundsatzbeschluss zu fassen. Für die detaillierte Umsetzung sei dann die Schulverwaltung zuständig. „Natürlich vermitteln die Kirchen Werte“, versicherte Müller. Der SPD gehe es aber um eine „gemeinsame, alle Schüler verpflichtende“ Wertevermittlung im Klassenverband.

Scharfe Kritik übte der Hauptgeschäftsführer der Industrie und Handelskammer Eder gestern an der Absicht der SPD, in Berlin eine Gemeinschaftsschule von Klasse 1 bis 10 einzuführen. Dieser Antrag sei „ein bildungspolitischer Amoklauf“ und ein Ansiedlungshindernis für Investoren. Das Schulsystem, so Eder, sei für Unternehmen ein wichtiger Standortfaktor. Die SPD-Kreisvorsitzenden und die Parteiführung diskutieren zurzeit, ob die Forderung nach der Gemeinschaftsschule im Sinne einer „langfristigen Perspektive“ abgeschwächt werden kann.

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