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Architekturdebatte (5): Beginnt die Zukunft in Nordneukölln?

Braucht Berlin eine neue Internationale Bauausstellung? Die Grünen-Politikerin Franziska Eichstädt-Bohlig meint: Die Probleme in Neukölln und rund um den aufgelassenen Flughafen Tempelhof müssen thematisiert werden.

Eine Internationale Bauausstellung (IBA) in Berlin muss beispielgebende Antworten für die drängenden urbanen Aufgaben in unserer finanzschwachen Hauptstadt finden. Natürlich müssen Stadtplanung, nachhaltiges und vorbildliches Bauen und Raumgestaltung einen wesentlichen Teil der Projekte ausmachen. Sie sind aber nicht Anlass für die Bauausstellung, sondern Medium zur Lösung von „Zukunftsfragen des gesellschaftlichen Wandels“, wie dies das von der Bundesregierung initiierte Memorandum zur Zukunft Internationaler Bauausstellungen fordert.

Eine IBA braucht ein klar erkennbares Thema und einen deutlichen lokalen Schwerpunkt. Sie muss aber auch eingebettet sein in ein gesamtstädtisches Leitbild, mit dem Berlin sich in den kommenden Jahren international profilieren kann. Für Berlin kann der Innovationsschwerpunkt nicht in einer ungesicherten Wachstumsstrategie und in der Neunutzung von Brachen liegen, sondern nur in der exemplarischen Suche nach der Zukunftsfähigkeit der vorhandenen Stadt.

Der inhaltlich und räumlich sehr vagen IBA-Planung des Senats unter den Leitworten „Hauptstadt - Raumstadt - Sofortstadt“ stellen wir den Vorschlag einer Internationalen Nachhaltigkeitsausstellung für und mit Nordneukölln und für das Tempelhofer Feld unter dem Motto „Soziale Stadt im Klimawandel“ gegenüber. Aspekte der nachhaltigen Stadtentwicklung werden in einigen Internationalen Bauausstellungen thematisiert, besonders beispielhaft in der IBA Hamburg- Wilhelmsburg. Es gibt bislang aber noch keine bestandsorientierten Konzepte für die energetische Modernisierung und die nachhaltige Entwicklung eines ganzen Stadtquartiers.

Nordneukölln ist ein sozial unterprivilegierter Stadtteil mit einer kulturell gemischten Bevölkerung. Die Tendenzen zu ungesteuerter Aufwertung und sozialer Verdrängung nehmen zu. Das geöffnete Tempelhofer Feld bietet aber auch Raum für eine sozial-ökologische Aufwertung mit der ansässigen Bewohnerschaft. Berlin hat die Chance, sich den soziokulturellen und bildungspolitischen Anforderungen dieses Stadtteils und den Zielen der Nachhaltigkeit und des Klimaschutzes gleichermaßen zu stellen und zusammen mit dem Bezirk, mit Mietern und Eigentümern, Gewerbetreibenden und Vereinen, mit Schulen, Kitas und Stadtteilaktiven hier die „Soziale Stadt im Klimawandel“ exemplarisch zu gestalten.

Lesen Sie auf Seite 2, welche Ideen Franziska Eichstädt-Bohlig für das Tempelhofer Feld hat.

Sie plädiert dafür, mit einer Internationalen Bauausstellung Nordneukölln zu entwickeln: Franziska Eichstädt-Bohlig.
Sie plädiert dafür, mit einer Internationalen Bauausstellung Nordneukölln zu entwickeln: Franziska Eichstädt-Bohlig.

© Thilo Rückeis

Im Zentrum steht das ehrgeizige Ziel, bestehende Quartiere baulich und energetisch zu modernisieren – ohne soziale Verdrängung und unzumutbare Wohnkostensteigerungen für die Bewohner. Das Ziel: Ein multikultureller Stadtteil schafft mit viel Eigeninitiative und Selbsthilfe Energieeinsparung und erneuerbare Energien, grüne Höfe und Fassaden, nachhaltige Mobilität mit Car-Sharing und E-Mobility- Tankstellen. Die Einzelhändler in der Karl-Marx-Straße organisieren ihre Geschäfte energieeffizient und sparen Energiekosten – als erste in Berlin. Es wird Vorsorge getroffen für den demografischen Wandel in einem Stadtteil ethnischer Vielfalt. Multikulturell und nachhaltig – warum soll das nicht zusammen gehen?

Nordneukölln kann zum Vorreiter gelingender interkultureller Bildung und Integration mit einer vorbildlichen baulichen und energetischen Modernisierung der Schulen, Kitas, Sport- und Jugendeinrichtungen werden. Gutes Bauen für gute Bildung und Integration ist hier überfällig, und gerade das Tempelhofer Feld wird dafür gebraucht. Das Tempelhofer Feld muss darum in seinen östlichen Teilen für die innere Stadterweiterung und Stärkung für Nordneukölln nutzbar gemacht werden. Es darf nicht Ort abgehobener Gentrifizierung werden, die den Neuköllnern vor die Nase gesetzt wird.

Das Konzept bezieht die Parklandschaft und die Internationale Gartenausstellung 2017 ein. Die Neuköllner brauchen neben der großen Freifläche für Spiel, Sport und Naturerfahrung aber auch einen zweiten Bildungscampus zur Entlastung der vorhandenen Schulen und Sporthallen, Kinder- und Jugendeinrichtungen. Und soweit hier Wohnungsbau geplant wird, müssen die Menschen in Neukölln eingebunden werden. Nicht verwertungsorientierte Investoren, sondern Ali mit seiner Familie und Anna und Anton sollen hier ihre Neuköllner Zukunft mit Genossenschaften und städtischen Unternehmen, mit Baugruppen und als Einzeleigentum bauen. Neukölln braucht einen Wohnungsbau in gemeinschaftlicher Eigeninitiative und mit Selbsthilfe.

Nachhaltige Stadterneuerung heißt nicht nur Klimaschutz und Ökologie. Nachhaltig ist auch die Stärkung von Nachbarschaften, von Eigentümervielfalt, Gewerbevielfalt, Nutzungsvielfalt. Darum bilden alle Bausteine dieser IBA einen Prozess der Bürgeraktivierung und der soziokulturellen Integration. Das bestehende Netzwerk aus engagierten Akteuren und die Bevölkerung müssen mit Planungsbeteiligung und baulicher Selbsthilfe, mit Ausbildung und Beschäftigung für die Jugend, mit Stärkung der vorhandenen Wirtschaft aktiv in die Entwicklung des Stadtteils einbezogen sein. Es gilt, diese IBA als lernendes Projekt zu verstehen.

Lesen Sie auf Seite 3, welche Lehren Eichstädt-Bohlig aus der IBA 1987 ziehen will.

Nun sagen einige, Bewohnerorientierung, Bürgerbeteiligung und Selbsthilfe haben wir doch schon bei der behutsamen Stadterneuerung und der IBA 1984/87 gemacht. Das spricht aber nicht gegen, sondern gerade für eine neue Initiative. Es wird Zeit, die vor 25 Jahren gemachten Erfahrungen für die Aufgaben von heute und morgen weiterzuentwickeln und selbstbewusst positiv herauszustellen. Gutes Bauen und behutsame Stadtentwicklung auf der Basis klarer sozialer Leitbilder sind weltweit anerkannte Markenzeichen der letzten Internationalen Bauausstellungen Berlins.

Die Interbau 1957 im Hansaviertel hat sich auf die Behebung der Wohnungsnot der Nachkriegszeit durch neues urbanes und soziales Wohnen mit Licht, Luft und Grün konzentriert. Die IBA 1987 hat die bewohnerorientierte behutsame Stadterneuerung gegen die innerstädtischen Abrisspläne gestellt. Eine neue Berliner IBA verbindet ökologische Nachhaltigkeit mit Bildung und Integration, mit aktivem Bürgerengagement und sozialem Zusammenhalt. Gerade hier liegt die Zukunftsaufgabe.

Die Bundesregierung strebt für Deutschland bis 2050 einen nahezu klimaneutralen Gebäudebestand an, sie hat aber noch keine Strategie für die Umsetzung. Es gibt inzwischen eine Vielzahl von energetisch optimierten privaten und öffentlichen Einzelgebäuden. Es gibt erste Neubauquartiere und auf Niedrigenergiestandard sanierte Siedlungen. Es gibt aber kein Bestandsquartier, bei dem innovative Energiekonzepte für private und öffentliche Gebäude, neue Mobilität, klimagerechte Begrünung und soziale Stärkung konsequent miteinander verknüpft wurden. In der Städtebaudebatte ist das Thema Klimaschutz noch nicht richtig angekommen. Die Konsequenzen von Klimaschutzinvestitionen für bezahlbare Wohnkosten werden wenig problematisiert. Die Beispiele für energetische Gebäudesanierungen mit markanter Architektur und guter Bauqualität sind rar. Und die Sorge, dass unsere Städte bald nur noch aus Styroporfassaden bestehen, wächst. Der Erfahrungsaustausch zu all diesen Fragen steht europa- und weltweit noch am Anfang. Es gibt also viel zu experimentieren und modellhaft zu erproben – und zwar endlich im Zusammenhang bestehender Stadtquartiere.

Berlin muss zu Beginn der nächsten Legislaturperiode entscheiden, ob es hier Vorreiter werden will. Angesichts der knappen Finanzen ist ein solches Vorhaben nur machbar, wenn die Bereitschaft besteht, in den kommenden Jahren Mittel der EU und der Städtebauförderung dafür zu bündeln. Deshalb brauchen wir einen offenen Diskussionsprozess über die Prioritäten der Berliner Stadtentwicklung.

Gefordert ist aber auch der Bund, der die Konsequenzen aus seinen Beschlüssen zum Atomausstieg und zur neuen Energiestrategie ziehen muss. Es macht bundespolitisch durchaus Sinn, die Hauptstadt als internationales Vorbild für die „Soziale Stadt im Klimawandel“ zu unterstützen.

Lassen sich die planerischen und städtebaulichen Herausforderungen, vor denen Berlin steht, am besten mit einer neuen Internationalen Bauausstellung lösen? Architekten und Stadtplaner diskutierten darüber, jetzt haben auch Politiker das Wort.

Franziska Eichstädt-Bohlig ist Expertin für Stadtentwicklung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen im Berliner Abgeordnetenhaus.

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