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Berlin: Der geteilte Glaube

In zwei Wochen findet der Volksentscheid über die Einführung eines Wahlpflichtfachs Ethik/Religion statt. Wir haben nachgeforscht: Wie christlich ist Berlin? Die Antwort zeigt eine tief gespaltene Stadt

Aus der Vogelperspektive sieht es aus, als sei die Stadt nach wie vor in zwei Hälften aufgeteilt. Wer sich die nebenstehende Grafik anschaut, die die Zugehörigkeit der Berliner zu den großen christlichen Kirchen illustriert, fühlt sich an Stadtpläne von vor 1989 erinnert. 20 Jahre nach dem Mauerfall trennt eine Linie nach wie vor den West- vom Ostteil der Stadt. Allerdings geht es diesmal nicht um unterschiedliche politische Systeme, sondern um Glaubensfragen.

Die stehen in zwei Wochen zur Abstimmung. Am 26. April, beim Volksentscheid über die Einführung eines Wahlpflichtfachs Religion, dürfte sich die historisch bedingte Aufteilung Berlins in weniger und mehr religiös geprägte Stadtteile ein weiteres Mal niederschlagen. Das legen auch Berechnungen des Anteils der Schüler nahe, die schon jetzt am freiwilligen Religionsunterricht teilnehmen, den die großen christlichen Kirchen, die Islamische Föderation sowie andere Religionsgemeinschaften an den Schulen anbieten, vor allem in den Grundschulen: Während in östlichen Bezirken wie Marzahn-Hellersdorf oder Lichtenberg nur 10 bis 15 Prozent aller Schüler den Religionsunterricht besuchen, ist es in westlichen Bezirken wie Charlottenburg-Wilmersdorf oder Spandau jeder zweite Schüler.

Ähnlich verteilt sich der Anteil der kirchensteuerpflichtigen Berliner ab 18 Jahren, den das Amt für Statistik kürzlich berechnet hat. In manchen westlichen Ortsteilen wie Frohnau oder Wannsee beträgt deren Anteil mehr als 50 Prozent, in östlichen Ortsteilen wie Hellersdorf oder Falkenberg liegt er bei weniger als zehn Prozent – Spätfolgen des staatlich verordneten Atheismus der DDR.   Die einzigen östlichen Stadtteile, in denen der Anteil der evangelischen und katholischen Kirchenmitglieder vom allgemeinen Trend abweicht, sind Mitte und Prenzlauer Berg. In Prenzlauer Berg zahlen nach Angaben des Statistikamtes 27 Prozent der Bewohner Kirchensteuer, in Mitte liegt der Anteil ähnlich hoch.

Das entspricht fast dem Gesamtberliner Durchschnitt von 29,2 Prozent: Knapp eine Million der insgesamt rund 3,4 Millionen Berliner gehört einer der großen christlichen Kirchen an. Dass sich der Anteil im Osten nur in Prenzlauer Berg und Mitte dem Durchschnitt annähert, erklären Fachleute mit dem außergewöhnlich hohen Zuzug in diesen Stadtteilen von außerhalb sowie mit der hier einst stärker präsenten DDR-Bürgerrechtsbewegung, die eine höhere Affinität zur Kirche hatte.

Beim Volksentscheid in zwei Wochen ist die in diesem Zusammenhang spannendste Frage, in welchem Umfang es den Befürwortern und Gegnern des Wahlpflichtfachs Religion gelingen wird, das jeweilige Unterstützerpotenzial zu mobilisieren. Der Gesetzentwurf für ein Wahlpflichtfach Ethik/Religion ab der ersten Schulklasse (statt des bisher ausschließlich angebotenen Faches Ethik in den Oberschulen) ist durch Volksentscheid angenommen, wenn die Mehrheit der Teilnehmer und zugleich mindestens ein Viertel der zum Abgeordnetenhaus Wahlberechtigten zustimmt. Das Ergebnis Unterschriftensammlung für das Volksbegehren, das zu diesem Volksentscheid führte, legt nahe, dass die Bezirke mit mehr kirchlich gebundenen Berlinern auch mehr Unterstützer für „Pro Reli“ mobilisieren können. Gerhard Weil vom Bündnis „Pro Ethik“ geht allerdings für die Abstimmung am 26. April davon aus, dass die amtlich ermittelte Religiosität der Berliner nicht automatisch zu entsprechenden Ergebnissen für das Wahlpflichtfach Religion führt. „In den Gemeinden wird derzeit noch kräftig diskutiert“, sagt er und verweist unter anderem auf die Gruppe „Christen pro Ethik“, die gegen ein Wahlpflichtfach Religion ist.

Auch bei „Pro Reli“ ist man skeptisch, was mögliche Rückschlüsse vom Anteil der Kirchenmitglieder und Schüler im Religionsunterricht angeht, wenn auch aus anderen Gründen. „Wir sprechen nicht nur religiöse Menschen an, sondern alle, die sich für Toleranz gegenüber allen Religionen einsetzen“, sagt Christoph Lehmann, Chef der Initiative „Pro Reli“. Zwar habe sich gezeigt, dass es bei der Mobilisierung im Westen mehr Zuspruch und im Osten „mehr Erklärungsbedarf“ gab. Das führt Lehmann aber eher auf unterschiedlich ausgeprägte Gemeindestrukturen in beiden Stadthälften zurück. Am 26. April, so hofft er, werden auch viele Berliner für „Pro Reli“ stimmen, die nicht kirchlich organisiert sind.

Ethik-Befürworter Weil sieht gerade in der unterschiedlichen Verteilung der messbaren Religiosität quer durch die Stadt eines der stärksten Argumente für die Beibehaltung des bisherigen gemeinsamen Ethikunterrichts für alle Oberschüler: Nur so könnten Schüler unterschiedlicher konfessioneller oder nichtkonfessioneller Prägung sich über ihre verschiedenen Sichtweisen austauschen und die der anderen kennenlernen.

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