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Mit einer modernene Verkehrspolitik könnte die neue Koalition Akzente setzen. .

© Jens Kalaene/dpa

Berliner Koalition: Rot-Rot-Grün muss sich auf das Wesentliche konzentrieren

Schule, Verwaltung, Wohnraum – der neue Senat hat genug zu tun. Für Experimente ist keine Zeit und kein Geld da. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Ulrich Zawatka-Gerlach

Es sieht so aus, als würde Berlin bald wieder regiert. Die Koalitionsverhandlungen gehen in die letzte Woche und das rot-rot-grüne Programm gewinnt an Konturen. Wer es im zweiten Senat des Regierenden Bürgermeisters Michael Müller umsetzen soll, werden die Berliner voraussichtlich am Mittwoch erfahren. Hinter vielen Ressortbesetzungen stehen noch dicke Fragezeichen. Klar ist nur: Es werden keine Titanen sein, die Berlin leichthändig umkrempeln. Im neuen Kabinett werden, mit etwas Glück, fleißige und fachkompetente Arbeiter sitzen, die mit großem Respekt vor den noch größeren Problemen der Stadt ans Werk gehen.

Eigene Duftmarken

Dabei stehen SPD, Linke und Grüne unter Druck. Sie müssen schnell Erfolge vorweisen. Die Bürger werden den neuen Senat daran messen, ob er Schulen und Kitas sanieren, die öffentliche Verwaltung modernisieren und bezahlbaren Wohnraum schaffen kann. Alles andere ist Beigabe, vorerst jedenfalls. Rot-Rot-Grün wird keine Zeit und Kraft darauf verschwenden dürfen, sich als links-ökologisches Experiment zu profilieren, mit Bus und Bahn zum Nulltarif oder dem bedingungslosen Grundeinkommen für alle. Es ist eine Notgemeinschaft, die reparieren muss, was in der Vergangenheit falsch gelaufen ist. Nicht nur unter Rot-Schwarz, sondern auch in den Jahren von Rot-Rot.

Die finanziellen Ressourcen, die dem Dreierbündnis zur Verfügung stehen, sind allerdings begrenzt. Berlin darf nicht wieder in die Schuldenfalle laufen, das akzeptieren zähneknirschend auch die Linken. Die Stadt muss mit dem auskommen, was der Landeshaushalt und die öffentlichen Unternehmen hergeben, ohne in die roten Zahlen getrieben zu werden. Rot-Rot-Grün muss Prioritäten setzen, die realistisch finanzierbar sind. Die Kiste mit dem Wünsch-dir-was sollte verschlossen bleiben.

Was nicht heißt, dass die neue Koalition keine Chance hat, eigene Duftmarken zu setzen. Mit einer modernen Verkehrspolitik, die den innerstädtischen Autoverkehr auf das notwendige Maß zurückdrängt. Mit einer Politik, die die städtischen Kultureinrichtungen den sozial schwachen und bildungsfernen Schichten öffnet. Mit der Zurückdrängung prekärer Beschäftigungsverhältnisse oder einer offensiven Fortsetzung der Willkommenskultur. Der sozialen und kulturellen Spaltung der Stadt entgegenzuwirken – das wäre ein großes Verdienst. Eine massive Förderung der Digitalisierung von Wirtschaft und Verwaltung könnte ebenfalls profilgebend wirken.

Berliner sind sehr skeptisch

Leider zeichnet sich auch schon ab, wo SPD, Linke und Grüne vermutlich scheitern werden oder ihre Kräfte verschwenden. Die verabredete Wohnungsbauförderung wird weder die Mieten noch die Immobilienpreise wirksam dämpfen. Die Rekommunalisierung von Strom, Gas und Fernwärme ist ein teures Luxusprojekt, das den Schutz des Weltklimas nicht voranbringt und den Bürgern auch keine preiswertere Energie zur Verfügung stellen wird. Die innere Sicherheit kann Rot-Rot-Grün mit ihren vagen Konzepten und einem naiven Verständnis von Datenschutz ebenfalls nicht stärken. Und der künftigen Berliner Wirtschaftspolitik fehlt eine klare Kontur. Innovativ sein zu wollen ist noch kein Programm.

Aber – jedem seine Chance! Am 8. Dezember wird der Regierende Bürgermeister vom Parlament gewählt. Danach dürfen Müller und seine Crew zeigen, was sie tatsächlich können. Aufbruchstimmung wird der neue Senat aber selbst erzeugen müssen, zu viele Berliner sind enttäuscht von dem, was ihnen in den vergangenen Jahren im Roten Rathaus geboten wurde. Die Bürger warten ab. Einige wohlwollend, aber die meisten skeptisch oder gleichgültig. Diesem Wechselbad der Gefühle wird Rot-Rot-Grün aktiv entgegenregieren müssen.

Ein erheblicher Risikofaktor sind noch die Bezirke, die laut Verfassung in großer Eigenständigkeit die meisten kommunalen Dienstleistungen erbringen. Wenn es dem neuen Senat nicht gelingt, mit dieser politisch bunten Truppe eine gute Zusammenarbeit zu organisieren, kann er gleich einpacken.

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