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Wie kommt man hier sicher rüber? Nicht nur für die Kinder unseres Autors ist die Argentinische Allee an dieser Stelle eine Herausforderung.

© privat

Argentinische Allee in Berlin-Zehlendorf: Vergeblicher Kampf für eine rettende Ampel

Nach dem Schock über einen schweren Unfall an der Argentinischen Allee gründeten die Kinder des Anwohners Sven Sohr eine Initiative für eine Ampel. Nach langem Hin und Her stimmte die BVV zu – doch der Senat stellt sich quer. Hier schreibt der nunmehr ratlose Vater.

In Berlin leben viele Menschen in der Nähe von großen Straßen. Seit zwei Jahren wohnen meine Kinder und ich in Wurfweite der Argentinischen Allee. Mein Sohn ist zehn und meine Tochter sieben Jahre jung. Wenige Wochen nach unserem Einzug wurden wir Zeugen eines schrecklichen Unfalls. Ein Motorrad raste mit gefühlt hundert Sachen auf die Kreuzung zu, welche zum Fischtal und Waldfriedhof führt. Dann hörten wir einen ohrenbetäubenden Knall. Auf der Straße lag eine junge Frau bewusstlos auf der Straße (der Tagesspiegel berichtete). Wir waren geschockt. Ob die Frau den Unfall überlebt hat, wissen wir nicht.

Weder Ampel noch Zebrastreifen

„Warum gibt's hier eigentlich keine Ampel?“, fragten die Kinder. Überzeugend antworten konnte ich nicht. Die Kreuzung liegt auf einer über ein Kilometer langen Strecke zwischen den U-Bahnhöfen Oskar-Helene-Heim und Onkel Toms Hütte. Autos können hindernisfrei durchstarten. Von Osten läuft die Allee sogar abwärts. Gäbe es Geschwindigkeitskontrollen, wäre die Polizei im Dauereinsatz. Von Westen kommen die Wagen aus einer Kurve geschossen. Von Süden wandernd warten an der Straße unzählige Menschen oft minutenlang auf einen günstigen Moment, wo sie schnell über die breite Allee huschen können.

Vor dem Supermarkt reicht die Sicht auf die Straße nur wenige Meter weit

Es sind diverse Familien, die vom Spielplatz aus dem Fischtal laufen. Ferner auch viele ältere Mitbürger, die im Supermarkt an der Ecke einkaufen. Meistens möchten sie in ihre Wohnviertel auf der anderen Straßenseite. In der Nähe befinden sich eine Kita und eine Schule. Die Sichtweite beträgt nur wenige Meter, wenn sie nicht zusätzlich von einem parkenden SUV behindert wird.

„Dagegen müssen wir etwas tun!“ Gemeinsam mit Klassenkameraden gründeten meine Kinder das Greenteam „Die Umweltengel“. Die Kinder-Bürgerinitiative begann mit Verkehrszählungen. Demnach rauschen jährlich Millionen Autos an unserem Haus vorbei. Jetzt weiß ich, warum die Tischdecke auf unserem Balkon immer so schnell schwarz wird.

Die Kinder-Bürgerinitiative sammelte mehr als 100 Unterschriften

Als nächstes folgten Geschwindigkeitsmessungen mit Stoppuhr. Die Befunde waren so vorhersagbar wie beklemmend. Schließlich stellten sich die Umweltengel vor einem Jahr an die Kreuzung und sammelten in nur einer Stunde über 100 Unterschriften für eine Ampel. So viele Autogramme auf einmal habe ich als alter Greenpeacer noch nie geschafft. Die Bürger schienen darauf zu warten. In der zufälligen Stunde beobachteten wir mehrere Beinahe-Unfälle und Hupkonzerte. Auch sportliche Hundehalter geraten hier unweigerlich ins Schwitzen.

Auch diese Mutter, die mit ihrem Kind vorsichtig die Kreuzung überquerte, sprach sich auf Nachfrage für eine Ampel oder einen Zebrastreifen. aus.
Auch diese Mutter, die mit ihrem Kind vorsichtig die Kreuzung überquerte, sprach sich auf Nachfrage für eine Ampel oder einen Zebrastreifen. aus.

© Cay Dobberke

Eine seltsame Ausschusssitzung

Nun mutierte mein Job vom Zuschauer zum Mediator. Letzten Sommer schrieb ich die vier Vorsitzenden der Fraktionen an, die in Steglitz-Zehlendorf im Rathaus sitzen. Auf Antworten der Grünen und Piraten warten wir bis heute. Von den Vertretern der beiden sogenannten Volksparteien erhielten wir zustimmende Briefe. SPD und CDU konkurrierten um den besten Antrag. Uns war das egal. Hauptsache, es passierte etwas. Im Herbst nahmen wir erst an der BVV und dann an der Verkehrsausschuss-Sitzung teil, wohin der Antrag verwiesen wurde.

Die Sitzung war ein Erlebnis: Die SPD, die sich im Briefwechsel federführend als der Anwalt der Kinder präsentierte, argumentierte gegen die Ressourcenverschwendung einer kompletten Lichtzeichenanlage. Die CDU, die per Mail für eine umfangreiche Ampellösung votierte, war am Ende die einzige Partei, die mit einer Enthaltung glänzte. Der Piratenpolitiker sah keinerlei Bedarf für mehr Verkehrssicherheit. Der grüne Sitzungsleiter gab keine Stellungnahme ab. Das Kuriositätenkabinett vollendete der Verkehrsstadtrat, der zu allen Anliegen der Bürger diffuse Widerstände in endlosen Monologen inszenierte. Nach fast zwei Stunden wurden meine Kinder unruhig. Obwohl wir die einzigen Gäste waren, die unübersehbar im Zuschauerraum saßen, bekamen wir kein Rederecht.

Überraschung: Der Antrag wird angenommen

Die Politiker erwähnten nicht einmal, dass der Antrag auf eine Kinder-Bürgerinitiative zurückging. Umso überraschender war für uns die Annahme des Antrags ohne Gegenstimme. Die Kinder waren begeistert – in Kürze könnten sie angstfrei über eine Ampel gehen, die auch ihre ist. So geht Demokratie, dachte ich über dieses zivilgesellschaftliche Lehrstück. Denkste!

In Richtung Oskar-Helene-Heim ist die Sicht auf die Straße zwar besser, doch auf Lücken im Verkehrsfluss müssen Passanten oft lang warten.
In Richtung Oskar-Helene-Heim ist die Sicht auf die Straße zwar besser, doch auf Lücken im Verkehrsfluss müssen Passanten oft lang warten.

© Cay Dobberke

Wir warteten. Tage, Wochen und Monate vergingen. Von einer Nachbarin hörte ich, dass es vor fast zehn Jahren schon einmal einen gescheiterten Versuch gab. BVV-Beschlüsse landen nämlich bei der VLB, der Verkehrslenkung Berlin.

Die Verkehrslenkung sieht keinen Bedarf

So rief ich den voraussichtlichen lokalen Entscheider der Polizei an, der mir erklärte, dass der „Verkehr fließen“ müsse – er sehe keine Bedarf für Ampeln. Auch meine Einwände, dass die Argentinische Allee zu den häufigsten Unfallstraßen unseres Bezirks gehört, und dass es Ampeln gibt, die ein einsames Dasein in der Pampa fristen, ließen ihn kalt. Er lehrte mich, dass Unfallstatistiken nicht für Bürger gemacht werden. Da können noch so viele Rettungshubschrauber in Sichtweite der Kreuzung landen. Meinen Kindern versuchte ich zu vermitteln, dass Beamte keine Bullen, sondern unsere Freunde und Helfer sind. Und Politiker unsere Diener, die wir beauftragen.

Politische Phrasen

So kontaktierte ich nach einem halben Jahr des Wartens vor Ostern die Fraktionsassistentin der SPD – als einzige Politikerin, die uns noch antwortete. „Wir haben uns erneut dem Thema angenommen und uns auch bereits mit der VLB in Verbindung gesetzt und werden umgehend mit Ihnen in Verbindung treten...“. Mitte Juni, ein Vierteljahr später, fragte ich abermals nach. Wieder eine Antwort im perfekten Politsprech: „Wir werden uns weiterhin für die Umsetzung des Beschlusses einsetzen. Wir melden uns wieder, wenn wir neue Informationen haben.“

Der nächste Unfall – aber der Senat will die Ampel noch immer nicht

Was kann man als Bürger in einer solchen Situation tun - vor allem, wenn man als Vater mit den ungeduldigen Fragen der eigenen Kinder konfrontiert ist? Im Internet wurde ich fündig. Zunächst stieß ich auf einen erneuten Unfall an genau dieser Kreuzung im April, wieder mit einem Schwerverletzten – diesmal ein Rentner.

Dann entdeckte ich eine Meldung vom 4. Mai: „Senat lehnt Bedarfsampeln ab!“ Ein Pressesprecher der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Umwelt, von Hause aus Ornithologe und Wildtierschützer, dozierte, dass eine Ampel nur dort angeordnet werde, wo es Fußgängern nicht möglich ist, die Straße sicher zu überqueren. Die Sicht sei „sehr gut“. Zugleich lehnte er ein ähnliches Anliegen zahlreicher Bürger einige Meter weiter ab, wo eine Ampel vor einem Seniorenhaus und einer Grundschule ebenfalls schon demokratisch beschlossen war.

Meinen Kindern kann ich das nicht erklären

Wie soll ich das meinen Kindern erklären? Ich habe Probleme, meinen Kindern eine Antwort zu geben, wenn mein Sohn „Papa, wie viele Nullen haben eigentlich unsere Schulden?“ oder meine Tochter „Papa, warum fahren die Menschen weiter Auto, wenn die Pole schmelzen?“ wissen will. Ich konnte ihnen auch nicht sagen, warum zwei Jahre nach einem Horror-Unfall und ein Jahr nach ihrer an sich doch erfolgreichen Initiative nichts passiert ist.

Was hinterlassen diese Erfahrungen bei Kindern als den schwächsten Mitgliedern im Straßenverkehr, die als Bürger keine Stimme haben und in der Demokratie quasi nicht existent sind? Werden sie am Geisteszustand der Erwachsenen zweifeln? Werde ich ruhig schlafen können, wenn sie schon bald allein über diese Kreuzung müssen? Unser Berliner Senat hat die nächsten Opfer auf seinem Gewissen.

Der Autor ist Diplom-Psychologe, Familienvater und Anwohner aus der Nachbarschaft der Kreuzung. Der Text erscheint auf dem Tagesspiegel-Zehlendorf, dem digitalen Stadtteil- und Debattenportal aus dem Berliner Südwesten.

Sven Sohr

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