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Die Integrationslotsin Sajedeh Abu Saoud beim Beratungsgespräch mit der syrischen Familie von Kinda Reyan (mit der kleinen Aya auf dem Schoß) und ihrem Mann Wail Abu Qassem

© Raack

Flüchtlinge in Berlin - Portrait einer Integrationslotsin: „Manchmal reicht es, wenn man nur zuhört“

Ohne Sprachkenntnisse ganz allein in einem fremden Land: Sajedeh Abu Saoud kennt die Situation vieler Flüchtlinge aus persönlicher Erfahrung. Heute ist die Jordanierin sprachlich, beruflich und familiär voll integriert - und hilft Flüchtlingen als Integrationslotsin.

Sajedeh Abu Saoud ist eine lebhafte Frau, mit graziler Gestik und munteren, dunklen Augen. Sie trägt ein elegant geknüpftes Kopftuch - und sie weiß, wie es ist in einem fremden Land, ohne Sprache, ohne Freunde und ohne Aufgabe. Sie sagt: „Als ich vor 18 Jahren wegen meines Mannes nach Berlin kam, konnte ich hier mit niemandem sprechen, nichts unternehmen. Ich hatte keine Bekannten, keine Verwandten.“

Dabei hatte sie in ihrer Heimat Jordanien als Lehrerin und als Rechtsanwaltsgehilfin gearbeitet. „Hier war ich eine Null.“ Sechs Jahre führte sie dieses Leben. „In Deutschland war ich nur unglücklich.“ Dann traf sie 2008, vermittelt durch das Jobcenter, auf Claudia Hesse-Kresinszky, Projektkoordinatorin der Integrationslotsinnen beim Diakonischen Werk Steglitz und Teltow-Zehlendorf, die damals noch „Stadtteilmütter“ hießen. Anderthalb Jahre half sie innerhalb einer Maßnahme für Langzeitarbeitslose mit, machte ein halbes Jahr die Ausbildung zur Integrationslotsin. „Ich lernte immer besser deutsch zu sprechen, machte den Führerschein und bekam mehr Selbstvertrauen.“ Seit Anfang 2014 ist sie nun festangestellte Integrationslotsin in Steglitz-Zehlendorf.

Seitdem hat auch die neue Flüchtlingswelle Berlin erreicht. Und Sajedeh Abu Saoud ist im Dauereinsatz. „Das ist eigentlich ein Vollzeitjob. Aber ich wollte nicht, dass es anderen Menschen so geht wie mir damals.“ Und so wie ihr damals geht es heute vielen: Oft fallen Migranten in ein Loch, wenn sie aus ihrer Heimat fliehen müssen und vor dem Nichts stehen.

Gerade ist eine syrische Familie in ihrem Büro eingetroffen. Der Vater, Wail Abu Qassem, ist Ingenieur, vor einem Jahr nach Berlin gekommen. Seine Frau ist Psychologin und kam mit der zweieinhalbjährigen Aya und den beiden älteren Söhnen nach.

Am ganzen Körper ist er gezeichnet vom Bombardement

Ihr Haus in Damaskus wurde bombardiert, der Vater hat davon tiefe Narben am Arm. Am ganzen Körper ist er gezeichnet, müsste operiert werden. Aber erst sollen die Kinder versorgt werden. Die beiden Söhne sind gerade in der Grundschule und die kleine Aya wird bald in den Kindergarten gehen. Ohne die Hilfe von Sajedeh Abu Saoud wäre die Familie nicht so schnell an die Schulplätze und den Kitaplatz gekommen. Einen Gutschein für die Kita zu beantragen und zu verstehen, sei ohne Deutschkenntnisse nicht möglich, sagt Abu Saouds Chefin, Claudia Hesse-Kresinszky. Dabei ist gerade die Betreuung der Kinder von Flüchtlingsfamilien der erste Schritt in das Leben im neuen Land, den die Integrationslotsinnen organisieren. Denn dann sind die Eltern während der betreuten Zeit frei und können Deutschkurse besuchen. Doch ist der Schul- oder Kitaplatz gefunden, treten neue Probleme oder Missverständnisse auf: „Zum Beispiel hat sich eine Lehrerin über eine Schülerin beklagt, weil diese immer den Blick gesenkt hat, wenn sie aufgerufen wurde,“ erzählt Sajedeh Abu Saoud. „Da konnte ich erklären, dass dies in der Heimat des Mädchens großen Respekt bedeutet.“

Die drei Integrationslotsinnen aus Steglitz-Zehlendorf: Sajedeh Abu Saoud, Zeynep Balmun und Hanim Krimmling (von links)
Die drei Integrationslotsinnen aus Steglitz-Zehlendorf: Sajedeh Abu Saoud, Zeynep Balmun und Hanim Krimmling (von links)

© Diakonisches Werk Steglitz und Teltow-Zehlendorf e.V.

Heute übersetzt sie der Familie von Wail Abu Qassem zwei Behördenbriefe. Auch zur Eingewöhnung der kleinen Aya in der neuen Kita wird sie mitgehen. „Ohne Frau Abu Saoud wäre unser Neuanfang hier eine Tragödie“, sagt Wail Abu Qassem auf arabisch und fügt auf englisch hinzu, dass er voller Dankbarkeit sei. In Steglitz-Zehlendorf sei er sehr glücklich, auch weil hier nun seine Familie bei ihm ist. Als besonders belastend, sagt die Jordanierin, empfinden die Menschen die Entfernung zu ihren Familien in der Heimat. Manchmal reiche es daher auch, wenn sie einfach nur zuhört. „Jemand, der dieselbe Sprache spricht und versteht, wird zum Rettungsanker.“ Manche würden am liebsten Tag und Nacht bei ihr anrufen, kämen auch ohne Termine.

Sajedeh Abu Saoud hat gemeinsam mit den anderen Integrationslotsinnen mehr als 320 Familien betreut. Es gebe viel Arbeit, sagt auch Claudia Hesse-Kresinszky, gerade wenn innerhalb dieses Jahres der Bezirk noch 600 bis 800 neue Flüchtlinge aufnehmen soll. Da wären insgesamt schon eher acht Integrationslotsinnen sinnvoll. Ihr Arbeitsalltag besteht darin, Emails zu übersetzen, Termine und Adressen weiter zu geben, die Frauen über Verhütung aufzuklären, gemeinsam mit Claudia Hesse-Kresinszky Bankkonten zu eröffnen, Schufaauskunft und den Nachweis von Mietschuldenfreiheit. Die gesamte behördliche Ankunft von ganzen Familien zu organisieren. „Wir haben sehr gut zu tun. Die vertraglich vorgesehenen vier Stunden am Tag habe ich noch nie geschafft, meistens arbeite ich wesentlich länger“, lächelt Sajedeh Abu Saoud. „Da gucken wir dann, dass Sajedeh die ganzen Überstunden auch rechtzeitig abbaut“, sagt die Chefin.

„Die Leute brauchen jemanden, der ihnen den Weg zeigt. Da sind Ärzte, Psychologen, Lehrer dabei, die ihre Zeugnisse dabei haben, aber nicht wissen, wohin damit. Und ohne Sprache können sie wenig mit Behördenbriefen anfangen. Aber Ärzte zum Beispiel können wir mit der Ärztekammer in Verbindung bringen, dann bekommen sie da weitere Unterstützung.“

Schwieriger sei es da schon mit Analphabeten, für die ein Deutschkurs ohne Lese- und Schreibkenntnisse auch keinen Sinn macht. Oder der Tischler, der in Syrien 20 Jahre lang eine Tischlerei hatte, aber weder Papiere hat, noch nachweisen kann, dass seine Kenntnisse dem deutschen Standard entsprechen. „Da muss ich langsam erklären, wie das hier läuft“, sagt Abu Saoud. „Das System ist eben ein ganz anderes. Zum Beispiel, dass Pünktlichkeit hier so wichtig ist, erkläre ich immer ganz am Anfang, und dass man Kinder hier nicht schlagen darf.“

Sie sprechen außer deutsch auch arabisch, französisch, englisch, türkisch, amharisch, tigrina, oromiffa - die Integrationslotsinnen aus Steglitz und Teltow-Zehlendorf mit einigen ihrer Kolleginnen
Sie sprechen außer deutsch auch arabisch, französisch, englisch, türkisch, amharisch, tigrina, oromiffa - die Integrationslotsinnen aus Steglitz und Teltow-Zehlendorf mit einigen ihrer Kolleginnen

© Diakonisches Werk Steglitz und Teltow-Zehlendorf e.V.

Und letztens waren in einem der Flüchtlingsheime acht Männer aus Eritrea, die waren noch nie geimpft worden. „Die sollten eine Impfung gegen Tetanus und Masern bekommen. Aber alle acht weigerten sich, hatten eine Riesenangst vor der Spritze. Aber einer von ihnen sprach arabisch. Da konnte ich dolmetschen und ihnen erklären, dass das viele Menschen machen, um Krankheiten vorzubeugen und dass es keine Nebenwirkungen gibt.“ Wie schwierig der behördliche Weg ohne Hilfestellung ist, macht auch eine andere Geschichte von Claudia Hesse-Kresinszky deutlich: „Die Behörden sind nach Geburtsmonaten der Immigranten aufgeteilt. Wir haben eine Mutter, die im September geboren ist und ins Jobcenter nach Treptow-Köpenick fahren musste, weil das Amt dort für die September-Geborenen zuständig ist.“ Die Frau war Analphabetin und musste die Stationen zählen.

Jenseits aller Behördengänge und der Lösung von Alltagsproblemen kümmern sich die Integrationslotsinnen auch um das kulturelle Ankommen der Flüchtlinge. Einmal im Monat gibt es eine Veranstaltung nur für die Frauen. Da wird gegessen und getanzt und der Alltag einfach mal vergessen.

Die Autorin schreibt für den Tagesspiegel und für Tagesspiegel Zehlendorf, das digitale Stadtteil- und Debattenportal aus dem Berliner Südwesten, auf dem dieser Text erscheint. Folgen Sie Maike Edda Raack auch auf Twitter.

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