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Elisabeth Schmitz, die an dem heutigen Beethoven-Gymnasium in Lichterfelde bis zum 9. November 1938 arbeitete, war nicht nur in der Unterstützung und Beherbergung Verfolgter aktiv, sondern hatte schon 1935 mit ihrer aufrüttelnden Denkschrift "Zur Lage der deutschen Nichtarier" versucht, die Bekennende Kirche zu einem klaren Wort zur „Judenfrage“ zu bewegen, was ihr leider nicht gelang.

© Hanauer Geschichtsverein 1844 e.V./ Stadtarchiv Hanau, aus dem Nachlass von Elisabeth Schmitz

Eine Heldinnengeschichte: Die mutigen Protestantinnen von Zehlendorf

Den protestantischen Widerstand im Nationalsozialismus in Steglitz-Zehlendorf organisierten vor allem Frauen. Die Kirche hat das sehr lange nicht gewürdigt. Unser Autor erinnert anhand eines Buches an diese Heldinnen.

Wenn heute vom „protestantischen Widerstand“ die Rede ist, dann ist mittlerweile klar, dass vor allem von Frauen geschrieben und gesprochen werden muss. Noch vor 20 Jahren war das nicht so klar. Als Hans-Rainer Sandvoß 1986 sein Standardwerk zum „Widerstand in Steglitz und Zehlendorf“ veröffentlichte, nutzte er als Titelbild ein Foto von Martin Niemöller und Otto Dibelius und betonte damit die Bedeutung des protestantischen Widerstands im Bezirk, der in der Gemeinde Dahlem sein organisatorisches wie geistliches Zentrum hatte, vor allem in der von Helmut Gollwitzer gegründeten „dogmatischen Arbeitsgemeinschaft“.

Ohne die Bedeutung von Martin Niemöller gering schätzen zu wollen, die Rolle von Otto Dibelius ist wohl kritischer zu sehen, war die frühere Betonung der „großen Männer“ für die Bekennende Kirche nicht angemessen. Das hat noch einmal die verdienstvolle Sammlung von elf Lebensbildern protestantischer Frauen im Widerstand gegen die NS-Rassenpolitik, die unter dem Titel: Mit Herz und Verstand von Manfred Gailus und Clemens Vollnhals (ISBN: 978-3-8471-0173-4) im vorigen Jahr herausgegeben wurde, gezeigt. Dies Buch will ich als Beitrag zum 8. März kurz vorstellen, die folgenden Zitate stammen aus ihm.

Der Sammelband beginnt mit einer Auseinandersetzung mit der von Otto Dibelius und Marin Niemöller 1937 herausgegebenen Denkschrift: "Wir rufen Deutschland zu Gott": "Die beiden Führungsmänner der Kirchenopposition hatten in ihrem Büchlein geschrieben, die Frauenbewegung der Weimarer Republikzeit habe die Frauen bedauerlicherweise dazu verleitet, sich für die Politik zu interessieren, sich in weltlichen Vereinen zu betätigen und über Gebühr am öffentlichen Leben teilzunehmen. Darüber hinaus machten die Theologen die Frauenbewegung für den Geburtenrückgang verantwortlich. Den so zahlreich gewordenen "Fräulein Doktors" und den "großen Vereinsdamen" stellten die Bekenntnismänner die gute deutsche Mutter gegenüber, die - auch wenn sie weniger gebildet sei - Kinder gebäre und diese dann auch ordentlich erziehen würde. Letztere sei, so meinten die beiden Geistlichen, die Frau nach dem Willen Gottes.“ (S. 7)

Bücher zum Widerstand.
Bücher zum Widerstand.

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Das rief heftigen Widerstand gerade der Frauen hervor, die sich kritisch mit der eher ausweichenden oder sogar offen „anti-judaistischen“ Position ihrer Bekennenden Kirche auseinandersetzten und in der Hilfe für die verfolgten Juden aktiv wurden. Zu ihnen gehörte auch Agnes von Zahn-Harnack, Tochter des bekannten Theologen Adolf von Harnack und eine der widerständigen Frauen, die mit der Dahlemer Bekenntnisgemeinde in engem Kontakt stand und einen eigenen Kreis um sich hatte. Sie hielt den Autoren vor, dass ihre Ausführungen „nur die minderwertige Schicht der Spießbürger erfreuen wird.“(S.8)

Ebenfalls kritisierte die frühe Frauenrechtlerin und Mitbegründerin der bürgerlichen Frauenbewegung Gertrud Bäumer diese Passage. Den Antwortbrief von Dibelius an sie, den auch Agnes von Zahn-Harnack erhielt, kommentierte von Zahn-Harnack mit den Worten: „ein schäbiger und ganz unwahrhaftiger Brief; dazu die falsche pastörliche Herzlichkeit.“ (S.9)

Die Haltung dieser „großen Männer“ der Bekennenden Kirche ist umso erstaunlicher als die BK im Wesentlichen eine „Frauenkirche“ war, nur nicht in ihrer Leitung. „Der Frauenanteil in der Bekenntnisgruppen Berlins betrug beispielsweise zwischen 70 und 80 Prozent. Die Bekenntnisgottesdienste in der Reichshauptstadt waren weitgehend Frauenversammlungen. Das gilt in gesteigertem Maß für die legendären Dahlemer Fürbittgottesdienste, die seit der Inhaftierung Martin Niemöllers Anfang Juli 1937 täglich bis Kriegsende abgehalten wurden.

Marga Meusel, die in Zehlendorf das evangelische „Bezirkswohlfahrtsamt“ leitete und sich vor allem mit praktischer Hilfe für „evangelische Nichtarier“ und mit der Verschärfung der Verfolgung zunehmend für alle von der Deportation bedrohten Juden einsetzte.
Marga Meusel, die in Zehlendorf das evangelische „Bezirkswohlfahrtsamt“ leitete und sich vor allem mit praktischer Hilfe für „evangelische Nichtarier“ und mit der Verschärfung der Verfolgung zunehmend für alle von der Deportation bedrohten Juden einsetzte.

© DJ

Die neuartigen Bibelkreise in den hauptstädtischen Bekenntnishochburgen waren ganz überwiegend Vernetzungen kirchlich aktiver Frauen. Nur in den Leitungsorganen und Synoden dominierten die Männer. Im Berliner Bruderrat beispielsweise, der örtlichen Leitung der Kirchenopposition, saßen 20 Männer und nicht eine Frau. Unter den 139 Synodalen, die Ende Mai 1934 in Barmen die Theologische Erklärung, das maßgebliche Gründungsdokument der BK, verabschiedeten, befand sich mit Stephanie von Mackensen (Pommern) nur eine einzige Frau.“ (S.11/12)

Die Bekennende Kirche schwieg

Die Kritik an dem patriarchalischen Frauenbild, auch in der Bekennenden Kirche, verband vermutlich alle Frauen, die in dem Band vorgestellt werden. Fünf von ihnen haben direkt in Zehlendorf gelebt oder gewirkt, die meisten anderen waren in das Netz um die Bekenntnisgemeinde in Dahlem eingebunden und kannten sich alle mehr oder minder untereinander, nur bei zwei der vorgestellten Frauen scheint das nicht der Fall gewesen zu sein.

In dem Sammelband, der als Studie des Hannah-Arendt-Institut Dresden herausgegeben wurde, werden die Lebensleistungen vorgestellt von:

Elisabeth Schmitz (S. 81ff), die an dem heutigen Beethoven-Gymnasium in Lichterfelde bis zum 9. November 1938 arbeitete, zeitweise zusammen mit Elisabeth Abegg (s.u.), war nicht nur in der Unterstützung und Beherbergung Verfolgter aktiv, sondern hatte schon 1935 mit ihrer aufrüttelnden Denkschrift "Zur Lage der deutschen Nichtarier" versucht, die Bekennende Kirche zu einem klaren Wort zur „Judenfrage“ zu bewegen, was ihr leider nicht gelang. Im Jahr 2011 wurde an der Beethoven-Schule eine Gedenktafel für sie angebracht.

Elisabeth Schieman (S. 101ff), die in Dahlem wohnte und als habilitierte Biologin auch aus ihrer naturwissenschaftlichen Haltung heraus den Nationalsozialismus „von Anfang an auf das schärfste abgelehnt“ (S.105) und mit ihren profunden Kenntnissen der genetischen Forschung den rassistischen Antisemitismus der Nazis in Briefen an Niemöller u.a. widerlegt hat, sie hat als die Verfolgungen der Juden immer schärfer wurden, nicht nur Lise Meitner bei der Emigration geholfen, sondern auch vielen anderen, unterzutauchen und zu überleben.

Marga Meusel (S. 129ff), die in Zehlendorf das evangelische „Bezirkswohlfahrtsamt“ leitete und sich vor allem mit praktischer Hilfe für „evangelische Nichtarier“ und mit der Verschärfung der Verfolgung zunehmend für alle von der Deportation bedrohten Juden einsetzte.

Im Jahr 2011 wurde an der Beethoven-Schule eine Gedenktafel für Elisabeth Schmitz angebracht
Im Jahr 2011 wurde an der Beethoven-Schule eine Gedenktafel für Elisabeth Schmitz angebracht

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Für sie wurde am Gemeindehaus Zehlendorf eine Gedenktafel angebracht und im August 2011 der Platz an der Sven-Hedin-Straße in Höhe der Blumentahlstraße benannt.

Ruth Wendland (S. 163ff), die schon in ihrer Jugend ihren Eltern half, in der Pfarrwohnung in der Gethsemanestraße 9 in Prenzlauer Berg Juden zu verstecken und weiterzuschleusen. Ruth Wendland war eine der wenigen ordinierte Pfarrerinnen der Bekennenden Kirche und ab 1940 in der Paulus-Gemeinde in Zehlendorf tätig. Sie wohnte ab 1944 in der Dubrowstraße 14 (damals: Schemannzeile) und setzte auch dort ihre Hilfe fort. Nach der NS-Zeit war sie u.a. als Vikarin in der Gemeinde Wannsee tätig.

Helene Jacobs (S. 191ff), die jahrelang bei dem in Nikolassee wohnenden und unter den Nazis als Jude geltenden Patentanwalt Dr. Hermann Barschall gearbeitet hat und ihm bei seiner Emigration tatkräftig half und als eine der aktivsten Helferinnen des Dahlemer Kreises auch vor „illegalen“ Mitteln wie der Beschaffung von gefälschten Pässen nicht zurückschreckte.

In Verbindung zu dem Dahlem Kreis und in ein höchst wirksames Netzwerk miteingebunden waren auch:

Agnes von Zahn-Harnack (s.o.) und Elisabet von Harnack (S. 21ff), und Elisabeth Abegg (S. 49ff), die nach dem Krieg auch zu den Gründungsmitgliedern des Zehlendorfer Nachbarschaftsheim Mittelhof e.V. in der Königstraße gehörte, das als eine Quäker-Einrichtung 1947 eröffnet wurde.

Zu diesen bekannteren Zehlendorfer „(Links)Protestantinnen“ gehören auch Gertrud Staewen, Hildegard Jacoby und Hildegard Schaeder, die in diesem Sammelband nicht berücksichtigt werden konnten.

Damit erschöpft sich aber der Kreis, der aktiven und widerständigen Frauen im Umfeld der Dahlemer Bekenntnisgemeinde nicht. Zu nennen wären sicher auch Melanie Steinmetz, Etta von Oertzen (S.204) und Susanne Dreß, geb. Bonhoeffer, die Frau des in Dahlem seit 1938 tätigen Gemeindepfarrers, Walter Dreß. Kaum bekannt und (auch in der Gemeinde) weitgehend vergessen ist dagegen Maria Gerhard, die Tochter des von 1913 bis 1931 in Dahlem tätigen „Hilfspredigers“ Wilhelm Gerhard, die von 1933 bis 1976 in der Ihnestraße 51 ein eigenes Haus bewohnte.

In diesem Haus residierte nicht nur zeitweise das Büro der Vorläufigen Kirchenleitung (VKL) der Bekennenden Kirche unter Superintendent Martin Albertz, hier versteckte Maria Gerhard auch verfolgte Juden, insbesondere auch Charlotte Friedenthal, die eine enge Freundin von Marga Meusel war und für die VKL der Bekennenden Kirche zentrale Büro- und Vertretungsfunktionen übernahm. Weil sie unter den Nazis trotz ihres evangelischen Bekenntnisses als Jüdin galt, musste sie emigrieren, was ihr auch mit Hilfe von Hans von Dohnany gelang.

Maria Gerhard ist vom Berliner Senat 1965 im Rahmen der Würdigung der „Unbesungenen Helden“ geehrt worden. Leider ist über Maria Gerhard bisher (zu) wenig bekannt, daher  suche ich nach Menschen, die sie noch gekannt haben oder etwas über sie wissen. Bitte melden!

Diesen protestantischen Frauen ist weitgehend gemeinsam, dass Sie nicht nur in der „Judenfrage“ deutlich aktiver und widerständiger waren als die Mehrheit in der Bekennenden Kirche -auch in Dahlem-, sondern dass sie auch mit dem patriarchalischen Gehabe in ihrer Kirche nicht einverstanden waren. Sie waren sehr eigenständige Frauen, selbstbewusst und selbständig, auch weil sie alle sich durch eine eigene berufliche Tätigkeit auswiesen und ihren Lebensunterhalt selber sichern mussten.

Insofern ist an die „Zehlendorfer Protestantinnen“ am 8. März nicht nur wegen ihres großen Engagements in der „Judenfrage“, sondern auch in der „Frauenfrage“ zu erinnern und ihnen zu danken.

Der Autor Dirk Jordan (69) war lange Jahre Volksbildungsstadtrat in Kreuzberg und lebt in Schlachtensee. Sie erreichen ihn über seine Homepage oder den Zehlendorf Blog, dem Online-Magazin des Tagesspiegels.

Dirk Jordan

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