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Berlin: Bonns bestes Stück zieht heute um

Manche Berliner glauben, mit dem Umzug des Bonner Barkeepers Ossi in die Kneipe der Parlamentarischen Gesellschaft im ehemaligen Palais des Reichtagspräsidenten sei auch der Regierungsumzug vollendet. Weit gefehlt.

Manche Berliner glauben, mit dem Umzug des Bonner Barkeepers Ossi in die Kneipe der Parlamentarischen Gesellschaft im ehemaligen Palais des Reichtagspräsidenten sei auch der Regierungsumzug vollendet. Weit gefehlt.

Es wird noch mehr an die Spree kommen. Und einiges auch zum Ausgleich an den Rhein, wo "Ossi" von 1975 bis 1999 zuerst in der braun-plüschigen Bar des alten Bundeshauses und später in der Keller-Cafeteria des Wasserwerkes einem Parlamentsgremium besonderer Art vorstand. In der Cafeteria wurde übrigens vorwiegend weder Wasser noch Kaffee getrunken. Aber nicht einmal das würde dieser diskrete Kellner und Beichtvater vieler Abgeordneten bestätigen.

Ossi ist kein Ossi im Sinn von Wessi und Wende. Er heißt Osvaldo Cempellin, geboren 1944 in Cordenons, in dem stets von Erdbeben bedrohten Friaul. Er hat das Fachabitur in Chemie, ist zwar italienischer Staatsbürger, aber kein Italiener. Er gehört zum kleinen Alpenvolk der Ladiner, das von Tal zu Tal anders spricht. Und das, vor allem nach Erdbeben, noch immer von den angeblich guten alten Zeiten bei Österreich träumt. Englisch lernte er als Steward auf Schiffen und in Amerika, Deutsch und Italienisch in der Schule. An Erdbeben gewohnt und vielsprachig, wen wundert es, dass die Chemie dieses Chemikers für seinen Beruf stimmt.

Dazu passt die Frau, mit der er seit 1975 in der Bar des Bonner Bundeshauses und ab heute in der Kneipe der Parlamentarischen Gesellschaft zusammenarbeitet, der Kroatin Ika Wienands. Eine Kroatin und ein Ladiner - da hatte sich in Bonn etwas vom altösterreichischen "Kakanien" zusammengefunden. Die beiden werden sich auch durch den etwas raueren Berliner Ortsgeist nicht mehr verändern. Tu felix Austria.

Es ist schon der zweite Umzug für Ossi und Ika in Berlin. Zunächst waren sie neben dem Clubraum der Abgeordneten in einem hohen Tempel des Reichstagsgebäudes gelandet, das alles andere als gastlich wirkte. An dessen Wand hatte ein Künstler die "ruhmreiche Sowjetunion" verewigt. Wobei nicht jeder von Ossis Gästen die angebliche Ironie dieser Kunst bemerkt hatte, vor allem nicht die politischen "Ossis" aus der DDR. Dieser Raum war nicht geeignet für vertraulich-vertrauensvolle Gespräche, wie sie bei Ossi üblich sind, zwischen Journalisten und Abgeordneten oder von Abgeordnetenkreisen und -kränzchen. Oder in endlosen Nächten bis zum Morgengrauen, wenn Ossi mit einsamen Männern und Frauen über Gott und die Welt, Glück und Unglück spricht. Er zitiert nie aus den Gesprächen, lässt auch keine Fotografen oder Filmaufnahmen zu.

Einer der Motoren der Umzugswagen vom Rhein an die Spree war der frühere Bundestagsabgeordnete Detlef Kleinert aus Hannover, Stammgast bei Ossi oder auch "Chef des Großraumbüros Kleinert", ein Meister der freien Rede, selbst nach längeren Sitzungen bei Ossi. Der FDP-Mann hatte sich für das Wiederaufleben der gastronomischen und gesellschaftlichen Bonner Verhältnisse eingesetzt: Verbündet mit dem Bundestag, der Brauerei Hasseröder aus dem Harz und der Gilde-Brauerei in Hannover, gefördert durch die Präsidentin der Parlamentarischen Gesellschaft, Elke Leonhard, und deren Geschäftsführerin Ingrid von Hagen sowie den Chef des Vereins ehemaliger Abgeordneter, Helmut Becker. Vielleicht entsteht so ein bisschen Bonn in Berlin.

Schon bei der Einweihung der Kneipe Anfang Dezember, damals noch ohne Ossi, war es wie einst im Wasserwerk: Detlef Kleinert als Redner vor einem interfraktionellen Club und sein Fraktionskollege Ulrich Irmer als Meister des improvisierten Limericks. Leider war der verstorbene Fraktionsdichter der FDP nicht mehr dabei, Friedrich Neuhausen. Er hatte Ossis Bar im Bundeshaus ein Lied gewidmet, das an manchen Abenden dort zu hören war, gelegentlich von Manfred Richter, dem späteren Bremerhavener Oberbürgermeister und Kabarettisten, mit der Gitarre begleitet: "In Ossis Bar im Bundeshaus geht man gern rein, doch ungern raus. Ob Liberaler oder Christ, dazu der rote Sozialist. Die Republik mag ruhig sein, solange Ossi uns schenkt ein; sogar die Revolution ertränkt man hier im Keime schon."

Da soll einer sagen, die farbigen Persönlichkeiten habe es nur in den ersten Wahlperioden des Bundestages gegeben. Vermutlich werden auch in Ossis neuer Kneipe Fraktionsgrenzen gelegentlich überflüssig, wird aber auch ernsthaft mancher Kompromiss im Gesetzgebungsverfahren vorbereitet. So war es in Bonn. Vielleicht wird es wieder so, wenigstens im bisher kommunikationsfreundlichsten Ort des Bundestages in Berlin, in Ossis Kneipe.Helmut Herles ist Chefkorrespondent des Bonner "General-Anzeiger"

Helmut Herles

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