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Neonazis in Spremberg: Das Schweigen der Mehrheit

In Spremberg sind die Redaktionsräume der „Lausitzer Rundschau“ angegriffen worden. Die hatte über ein Neonazi-Treffen berichtet. Spurensuche in einem Ort, der die Augen zumacht.

Von Frank Jansen

Stark und mächtig ragt er in den Himmel, der Bismarckturm auf dem Georgenberg im Lausitzstädtchen Spremberg. Unter der ersten Plattform prangt rundherum ein 60 Zentimeter hohes, goldschimmerndes Steinmosaik mit einer Inschrift in schwarzen Großbuchstaben: „Wir Deutsche fürchten Gott sonst nichts auf der Welt“. Das markige Zitat stammt aus einer Rede, die Otto von Bismarck 1888 vor dem Reichstag hielt. Über dem Spruch mündet die Spitze des Turms in eine ausladende Krone, von der aus Besucher auf das idyllische Spremberg blicken und auf das nahe, gewaltige Braunkohle-Kraftwerk Schwarze Pumpe mit seinen Kühltürmen. Ein Blick in zwei Gesichter der Lausitz.

Der 1902 gebaute, mit dicken Feldsteinen gemauerte Brocken auf dem Georgenberg ist frisch restauriert. Der Turm glänzt. Die Natursteinverblendung sei „komplett gestrahlt/gereinigt“ und die Fugen in Handarbeit „mit dem Pinsel farblich nachgezogen“ worden, verkündet die Kommune auf ihrer Homepage stolz. Wohl ohne zu ahnen, dass ein runderneuerter Bismarckbrocken auch stolze Fanatiker anzieht.

Irgendwann im Januar oder Februar haben sich Neonazis vor der historischen Kulisse versammelt. Der Trupp, etwa 30 junge Männer, vermummt wie militante Linksextremisten, stellte sich vor dem Eingang des Turms für ein Gruppenbild auf. Mit schwarzer Fahne, einem Transparent und zwei bengalischen Feuern. Auf dem Transparent nennt sich die Gang „Nationalisten Spremberg“. Das Foto des martialischen Auftritts wurde dann auf einer rechtsextremen Website präsentiert. Doch das Echo in der Öffentlichkeit, in diesem Fall der Regionalzeitung „Lausitzer Rundschau“, die den Süden Brandenburgs und Teile Sachsens abdeckt, passte den Neonazis nicht. Sie rächten sich.

„Schauen Sie mal hier auf den Boden“, sagt René Wappler. Der Redakteur des Spremberger Büros der „Lausitzer Rundschau“ tippt mit dem Fuß auf eine schwarze Stelle im Bürgersteig. „Das ist noch was vom Fleisch.“ In der Nacht zu Dienstag haben unbekannte Täter die Glasfassade der Redaktion mit den blutigen Resten eines Tieres, vermutlich war es ein Schwein, beschmiert. An den Briefkasten wurden Innereien aus dem Kadaver gehängt. Als hätten die Täter versucht, Drohgebärden der Mafia zu imitieren. Und es war nicht der erste Angriff. Bereits in der Nacht zuvor wurde die Fassade des Büros mit einer Parole gegen die „Lügenpresse“ beschmiert und das Bild vom Treffen der Neonazis am Bismarckturm zehnfach ans Glas geklebt.

Der Autor Frank Jansen im Gespräch zum Thema Rechtsextremismus

Die Empörung ist gewaltig. In Brandenburg und darüber hinaus wird die Doppelattacke als Anschlag auf Presse- und Meinungsfreiheit verurteilt. „Die Methode und die Feigheit“ sprächen „die deutliche Sprache der Rechtsextremisten“, sagte die Bildungsministerin des Landes, Martina Münch (SPD), der „Lausitzer Rundschau“. Weitere Politiker äußerten Abscheu. Außerdem sind bei dem Blatt zahllose Mails eingegangen, sogar aus Schweden und den USA, in denen Solidarität bekundet und die Redaktion aufgefordert wird, keineswegs in der Berichterstattung über rechtsextreme Umtriebe nachzulassen. Chefredakteur Johannes Fischer lässt da auch keine Zweifel zu, „wir machen bei dem Thema weiter, jetzt erst recht“. Mit vielen Autoren, um zu demonstrieren: Wappler steht nicht allein.

Die „Lausitzer Rundschau“, ein alteingesessenes Blatt mit Stammhaus in Cottbus, fühlt sich herausgefordert. Freie Presse gegen Neonazis. Aber wie fühlt sich das in Spremberg an?

René Wappler, Anfang 40, ist ein lockerer, sportlicher Typ, das graue T-Shirt hängt über der Jeans. Dass der Mann Feinde hat, ist nur schwer vorstellbar. Vor einer Woche schrieb Wappler einen Artikel über das Neonazi-Treffen am Turm. In dem Text erwähnt er auch Hinweise auf Verbindungen der rechtsextremen Szene zu Rockern des „Gremium MC“. Der Lokalredakteur hat sich schon mehrfach mit braunen Aktionen in der Region Spremberg befasst. Dennoch hat ihn die massive Reaktion Anfang der Woche überrascht. „Ich hätte nicht gedacht, dass die Berichterstattung über die Neonazis so einschlägt“, sagt Wappler. Er schaue sich jetzt öfter um, wenn er das Büro verlasse. Mit einem „merkwürdigen Gefühl“. Das noch stärker wurde, als er am Mittwoch in der Nähe des Büros auf zwei Gremium-Rocker traf, von denen einer „Wappler, du Vogel“ rief.

Der Frage nach dem Umgang mit Angst weicht er aus. Er stehe in engem Kontakt mit der Polizei, die ihm versichert hat, dass sie intensiv ermittelt. Dann sagt Wappler einen Satz, der verdeutlicht, wie er mit sich ringt: „Ich bin ein Fan des Verdrängens.“ Er möchte einfach weiterarbeiten wie bisher. „Wenn ich panisch alles stehen und liegen lassen würde, täte ich mir keinen Gefallen“, Wappler verschränkt die Arme.

Was ihm und seiner Kollegin im Spremberger Büro widerfuhr, ist ein Beispiel für die Gefahren, denen sich Menschen aussetzen, die in ländlichen Gegenden über Rechtsextreme recherchieren. „In einer größeren Stadt, selbst in Cottbus, gibt es zu den Rechten immer ein Korrektiv“, sagt Wappler. In Spremberg, mit seinen 20 000 Einwohnern eher ein großes Dorf, ist die Gegenwehr begrenzt.

Auf die Frage nach der Solidarität der Spremberger zögert Wappler. Eine Antwort fällt schwer. Bis Donnerstagnachmittag kamen nur zwei Leser ins Büro, um sich zu erkundigen, wie es den Redakteuren gehe. Der Bürgermeister oder ein anderer Politiker aus der Stadt hatten bis dahin Wappler nicht aufgesucht. Das Rathaus liegt von der Gasse mit dem Büro und kleinen Geschäften nur ein paar Schritte entfernt.

Sofort geht der Chef dazwischen: "Wir sagen nichts dazu"

„Das ist sicher eine Nachlässigkeit“, sagt am Donnerstag der Sprecher der Stadtverwaltung, Alexander Adam, „aber keine Böswilligkeit“. Bürgermeister Klaus-Peter Schulze (CDU) will sich nicht äußern. Er hat Termine, außerdem ist der Tagesspiegel unangemeldet aufgekreuzt. Am Freitag schickt Adam eine Mail, in der er betont, Schulze und ein „Fachbereichsleiter“ hätten sich am Montag das beschmierte Redaktionsbüro angeschaut. Es sei jedoch nicht besetzt gewesen. Der Fachbereichsleiter habe später mit Wappler telefoniert.

Schulze ist keiner, der das Problem des Rechtsextremismus verdrängt. Erst im April hat er im Stadtparlament seine Sorgen geäußert. Doch der Mangel an kleinen Gesten, der fehlende Händedruck für einen massiv attackierten Lokalredakteur, ist offenbar kein Zufall. Empathie für Opfer rechter Gewalt scheint in Spremberg unterentwickelt zu sein, auch wenn Wappler inzwischen einige aufmunternde Mails aus der Stadt bekommen hat. Der Redakteur versucht, um Verständnis für verstockte Mitbürger zu werben. „Es steckt die Angst dahinter, ebenfalls Ziel so einer Attacke zu werden.“

Vor dem Juwelier gegenüber dem Büro der „Lausitzer Rundschau“ steht eine Verkäuferin und raucht. Was denkt sie über die Attacken auf den Nachbarn? „Ich kann mir nicht vorstellen, wer das war.“ Nebenan im Sportgeschäft sagt eine Verkäuferin, „das waren die Rechten“. Sofort geht der Chef dazwischen, „wir sagen nichts dazu, bevor die Ursache nicht geklärt ist.“ Im Friseursalon neben dem Redaktionsbüro sagt eine Angestellte, „ich habe gesehen, dass da sauber gemacht wurde. Ansonsten weiß ich nichts.“

Bildergalerie "Die Spur der Neonazi-Mörder"

Auch zum Treffen von Neonazis auf dem Georgenberg will niemand etwas sagen. Die Frau vom Kulturamt, die im Bismarckturm arbeitet, sagt nur, „bitte wenden Sie sich an die Pressestelle der Stadt.“ Was denkt sie als Bürgerin Sprembergs über die braunen Aktivitäten? „Ich gebe auch als Bürgerin keine Antwort.“ Die Turmtür wird kräftig zugezogen.

Ist das nur Angst? Vor 30 Neonazis? Oder sind die verstockten Antworten Ausdruck einer zementierten Stimmung, die den Mentalitätswandel in anderen Regionen Brandenburgs, hin zu mehr Widerstand gegen Rechtsextremismus, ignoriert? Dafür spricht, dass in der Stadt ein Mann immer noch populär ist, der derb provoziert hat. Egon Wochatz, Mitte 70, Christdemokrat, war Ende der 1990er Jahre Bürgermeister von Spremberg und machte ein Todesopfer rechter Gewalt für die Tat mitverantwortlich. Nach der Hetzjagd von Guben, bei der 1999 Rechtsextremisten den algerischen Asylbewerber Farid Guendoul in den Tod trieben, fragte Wochatz, „was hatte der nachts um diese Zeit auf der Straße zu suchen?“ 2004, Wochatz war nun Chef der CDU-Fraktion im Kreistag von Spree-Neiße, traf er sich in Spremberg mit ehemaligen Soldaten der Waffen-SS-Division „Frundsberg“ und jungen Rechtsextremisten. Beide Affären haben Wochatz kaum geschadet. Er sitzt weiter in Stadtparlament und Kreistag. Im Juli 2011 berichtete die „Lausitzer Rundschau“, Wochatz habe im Kreistag für einen NPD-Antrag gestimmt.

Dass es Spremberg schwerfällt, eine unmissverständliche Grenze zwischen Demokratie und Grauzonen zum Rechtsextremismus zu ziehen, zeigt auch der Georgenberg. Er ist gespickt mit Mahnmalen neben dem rausgeputzten Bismarckturm. Eine Gedenkstätte für die Opfer des Nationalsozialismus ist mit einem Bauzaun verriegelt, ein Schild warnt vor einem „Erdrutsch“. Das Mahnmal für Soldaten der Sowjetarmee, die hier 1945 gefallen sind, ist auch in Teilen gesperrt. Frei zugänglich ist hingegen ein Rondell mit vier Stelen. Hier gedenkt die Stadt „aller Opfer von Krieg und Gewaltherrschaft“. Und dann gibt es noch die Erklärtafel am Bismarckturm. Historische Fotos sind zu sehen, ein Text erläutert Details. Am unteren Ende ziehen sich dünne, schwarz-weiß-rote Streifen entlang. Schwarz-Weiß-Rot waren die Farben des Kaiserreichs, die Weimarer Republik schwenkte zu Schwarz-Rot-Gold. 1935 bestimmten die Nazis im „Reichsflaggengesetz“, die „Reichsfarben“ seien Schwarz-Weiß-Rot.

Die Farben auf der Tafel dürften Neonazis gefallen. Vielleicht kommen sie auch an diesem Sonnabend. Der renovierte Turm wird feierlich wiedereröffnet.

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