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Brandenburg: Peiniger des kleinen Pascal muss elf Jahre ins Gefängnis

Haftstrafe auch für Mutter des misshandelten Jungen. Richter findet harte Worte für Behörden und Verwandte: „Moralisch sind sie mitschuldig“

Von Sandra Dassler

Frankfurt (Oder). „Wir können hier nur die Angeklagten verurteilen“, sagte Ulrich Gräbert. „Aber sehr viele Menschen trifft eine moralische Schuld daran, dass ein kleiner Junge über lange Zeit furchtbar gequält wurde. Im Fall von Pascal aus Strausberg haben alle Schutz-und Kontrollinstanzen versagt. Das ist sehr, sehr bitter.“

Ulrich Gräbert, der Vorsitzender Richter am Landgericht in Frankfurt, hat gestern ein konsequentes Urteil gefällt. Nicht nur gegen den 25-jährigen Marcel O., der wegen Misshandlung des heute zweieinhalbjährigen Pascal für elf Jahre ins Gefängnis muss. Auch nicht nur gegen Pascals Mutter Melanie J. (22), die wegen Verletzung der Fürsorgepflicht zu drei Jahren Haft verurteilt wurde. Der Richter fand ebenso so harte Worte für Freunde, Verwandte, Ärzte, Polizisten und Jugendamtsmitarbeiter, die aus Angst, Ignoranz oder Bequemlichkeit wegschauten und nicht einschritten. Nur der leibliche Vater von Pascal habe immer wieder versucht, auf die Verletzungen seines Sohnes aufmerksam zu machen. „Es ist ungeheuerlich, dass man ihm nicht glaubte“, sagte der Richter. „Vielleicht, weil er Schausteller war? Oder weil er um das Sorgerecht für Pascal kämpfte? Solange er mit der Mutter des Jungen zusammenlebte, ging es diesem jedenfalls gut.“

Als sich die Mutter von Pascal jedoch dem gestern verurteilten Marcel O. zuwandte, begann das Martyrium ihres damals gerade einjährigen Sohnes. Warum Marcel O. den Jungen schlug, trat oder mit Zigaretten verbrannte, konnte während des Prozesses nicht geklärt werden. Der Angeklagte schwieg hartnäckig und zeigte auch gestern keinerlei menschliche Regung. Pascals Mutter habe man es zu verdanken, dass ein Großteil der Taten aufgedeckt werden konnte, sagte Richter Gräbert: „Diese kooperative Haltung vor Gericht hat ihr einige Jahre Gefängnis erspart.“

Die 22-jährige hatte mit einer Bewährungsstrafe gerechnet, sie sank nach dem Urteil weinend zusammen. Das Gericht war aber der Ansicht, dass sie angesichts der schweren und häufigen Verletzungen, die ihr Sohn immer dann aufwies, wenn er mit Marcel O. allein war, viel früher hätte einschreiten müssen. Am Abend, als Pascal von seinem Stiefvater so misshandelt wurde, dass er nach mehreren Rippenbrüchen, Darm- und Mageneinrissen nur noch durch eine Notoperation gerettet werden konnte, war Melanie J. eine Flasche Milch kaufen gegangen und hatte den Jungen deshalb bei Marcel O. zurückgelassen. Das Kind ist auch heute noch in stationärer Behandlung, es wird zeitlebens geistig und körperlich schwerstbehindert bleiben – nur ein Teil seines Gehirns funktioniert noch.

Der Vorsitzende Richter hielt mit seiner Kritik am „familiären und institutionellen Umfeld, das die vielen Taten erst ermöglichte“, nicht hinterm Berg. Er nannte die Namen der Ärzte, die nicht einschritten, als sie die massiven Verletzungen am Körper des Kleinkindes beziehungsweise auf den Röntgenbildern bemerkten. Er kritisierte, dass die Kita-Leitung nicht reagierte, als Erzieherinnen die Misshandlungen auffielen. Er nannte es ungeheuerlich, dass eine Mitarbeiterin des Strausberger Jugendamtes eine Ärztin, die an einem Freitagmittag die offensichtliche Kindesmisshandlung anzeigte, fragte: „Wissen Sie, wie spät es jetzt ist?“ Unfassbar sei auch, dass eine Anzeige, die der leibliche Vater von Pascal bei der Strausberger Polizei aufgab, verschwand und bis heute nicht gefunden wurde. Dass letztlich das Landratsamt Märkisch-Oderland auch noch als Nebenkläger auftrat, bezeichnete der Vorsitzende Richter nicht nur als Verschleuderung öffentlicher Gelder, sondern als blanken Hohn angesichts der moralischen Mitschuld der Behörden.

Unverständlich bleibe freilich auch das Verhalten der Verwandten und Freunde. Sie erlebten, wie Pascal zitterte, wenn O. die Wohnung betrat. Sie sahen, wie er stundenlang auf dem Bett sitzen oder in der Ecke stehen musste. „Man kann nur ahnen, welche seelische Ängste dieser kleine Junge hatte“, sagte Gräbert. „Und jene, die ihm hätten helfen können und müssen, waren einfach nur feige.“

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