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Entspannter Papa. Mit Freunden Kinder zu haben, kann einfacher sein als in einer Beziehung, meint der Autor Jochen König.

© Sven Darmer

Co-Eltern-Familien in Berlin: Kinder mit Freunden - ohne Sex und Beziehung

Jochen König ist Vater geworden – ohne Sex und ohne Beziehung zur Mutter. Die Erziehung des Kindes teilen sie sich. Sie bezeichnen sich als Co-Eltern-Familie.

Ein Nachmittag in Friedrichshain. Jochen König, Nasenpiercing, auf einer Seite abrasiertes Haar, schiebt sein Fahrrad über nasses Laub. Es ist nicht mehr weit bis zur Kita seiner jüngeren Tochter Lynn. Danach wird er die Ältere, die 7-jährige Fritzi, von der Schule abholen. Heute ist einer jener Tage, an denen beide Kinder bei ihm leben.

König, Lynn und Fritzi sind Teil einer eher ungewöhnlichen Familienkonstellation: Vier Eltern, drei Haushalte – eine Co-Eltern-Familie. Denn König hat Lynn mit einer Freundin bekommen. Ohne Beziehung. Ohne Sex.

Damit der Alltag funktioniert, müssen sie gut organisiert sein. "Wir haben einen Plan für 14 Tage, der sich wiederholt", erklärt der Pädagoge und Autor. Fünf Tage wohnen beide Kinder bei ihm, einen Tag nur Lynn, drei Tage nur Fritzi und fünf Tage hat er für sich allein. Dann lebt Lynn bei ihren zwei Müttern, Fritzi bei ihrer einen Mutter.

"Ich wollte noch ein Kind, und für Fritzi habe ich mir Geschwister gewünscht", sagt König, 35. Fritzis Mutter und er hatten sich schon länger getrennt, er lebte in keiner festen Beziehung. Die Zeit verging. "Ich wollte nicht warten, bis Fritzi erwachsen ist."

Er wollte kein Samenspender sein, sondern ein vollwertiger Vater

Er erzählte Freunden von seiner Idee, ein Kind nicht mit einem Liebespartner, sondern in einer Co-Eltern-Familie großzuziehen. "Am Anfang war das eher scherzhaft", sagt er. Eine Bekannte fragte: "Willst du mich verarschen?" Eine andere sagte: "Wenn ich in fünf Jahren keinen Partner habe, komme ich auf dich zurück."

Freunde, die gemeinsam Eltern wurden, kannte er damals nicht. Nur lesbische Elternpaare, die mit einem Samenspender ein Kind bekommen hatten. König wollte kein Samenspender sein, sondern ein vollwertiger Vater. "Ich habe jemanden gesucht, mit dem ich mir das Elternsein fünzig-fünfzig aufteile."

An einem Abend, an dem König in größerer Runde von seinem Plan erzählt, sitzt eine Frau mit am Tisch, die er aus dem Studium kennt. König nennt sie Marie. An diesem Tag sagt sie nichts, ein paar Wochen später schickt sie eine Mail. Sie treffen sich, wieder und wieder. Schauen zusammen Tatort, spielen mit Fritzi. Manchmal bringt Marie ihre Partnerin Cora mit. Sie sprechen darüber, wie sie ihre Kinder großziehen wollen. Nach drei Monaten beschließen sie: Wir versuchen es. "Ich glaube, wir hatten damals schon mehr über unsere Vorstellungen gesprochen als viele, die als Paar ein Kind bekommen", sagt König.

Im Internet findet Marie eine einfache Methode, wie sie ohne Sex schwanger werden kann: Mit Hilfe eines Menstruationscups, einer Plastiktasse, die sonst als Tampon-Alternative benutzt wird. Sie versuchen es einmal, zweimal, nach dem dritten Mal ruft Marie an: "Ich bin schwanger". Ihre Tochter Lynn ist mittlerweile fast zwei Jahre alt.

König schiebt das Gartentor der Kita auf. Kleine Kinder buddeln im Matsch, zwei rutschen auf Bobbycars durch den Garten. Lynn kommt angerannt, in Regenhose und Schalmütze, springt ihrem Vater in die Arme und lacht. Richtig sprechen kann sie noch nicht. König packt sie in den Kindersitz auf dem Gepäckträger, weiter geht es in Richtung von Fritzis Schule. An einer Straßenecke murmelt Lynn: Wauwau. "Hier haben wir gestern einen Hund gesehen, oder Lynn?", sagt König und lacht.

Der Familienalltag will organisiert sein

Wie funktioniert so eine Co-Eltern-Familie? Wichtiges entscheidet König zusammen mit den jeweiligen Müttern. "Viel muss man für ein kleines Kind nicht festlegen", sagt er. Bei Lynn war das: Ihr Name. Die Kita. Und wer nimmt Elternzeit? Bisher haben sie sich schnell geeinigt. "Lynn war der erste Name, bei dem niemand widersprochen hat", erzählt König. Wer einen Anorak für Lynn kauft, zum Beispiel, klären sie über WhatsApp.

"Mir war es wichtig, locker zu werden und zu akzeptieren, dass die Mütter auch mal anders entscheiden als ich", sagt König. Bei ihm gelten strengere Regeln, damit der Alltag mit zwei Kindern funktioniert. Während des Essens sollen die Kinder am Tisch sitzen bleiben, bei den Müttern laufe das entspannter. König, Marie und Cora teilen große Anschaffungen, meistens übernimmt König eine Hälfte und die Mütter die andere. "Sonst bezahlt, wer mit Lynn unterwegs ist."

König schließt sein Fahrrad an einem Ständer vor Fritzis Schule an und läuft mit Lynn an der Hand in den Flur. Zweitklässlerin Fritzi kommt aus dem Klassenzimmer, schmeißt ihren roten Rucksack auf den Boden. "Darf ich Ihnen in den Mantel helfen?", scherzt ihr Vater. Nee, murrt Fritzi, schlüpft in die Jacke und bindet ihren Schal um.

Kompliziert für die Familie sei die rechtliche Situation, erzählt König: Das Sorgerecht gilt nur für zwei Eltern. Damit auch Cora, die Partnerin von Lynns leiblicher Mutter, vollberechtigtes Elternteil sein kann, umgehen sie diese Regel. "Im Kindergarten haben wir eine Vollmacht hinterlegt", erzählt König. Und manchmal hoffen sie einfach darauf, dass keiner nachfragt: "Beim Kinderarzt denken einfach alle, wenn nur Cora mitkommt, dass sie die Mutter ist", sagt König. Nur einmal habe es wegen des Sorgerechts ein Problem gegeben. Lynn war im Krankenhaus, musste zur Magnetresonanztomografie. Cora sollte sie begleiten, durfte der Untersuchung aber nicht zustimmen.

König schiebt sein Fahrrad über den Comeniusplatz Richtung Spielplatz, Fritzi auf dem Sattel, Lynn im Kindersitz. Die Ältere springt vom Rad und rennt zur Schaukel. "Schau mal, ich kann im Stehen freihändig", ruft sie. König setzt sich auf eine Bank mit Blick auf seine Töchter.

Einem Erzieher war das zu viel Vielfalt, er beschwerte sich

Wie reagieren andere auf ihre Familie? Mit einem Erzieher habe es Probleme gegeben, beim Elternabend habe er gesagt: "Irgendwann geht es mit der Vielfalt auch zu weit!" König hat sich beschwert, mittlerweile arbeitet der Erzieher nicht mehr in der Kita. Das ist ein Einzelfall, sagt er. Viele seien irritiert, wenn er von "den Müttern" erzähle, die meisten reagierten aber interessiert. Manche hat er sogar inspiriert, selbst mit Freunden eine Familie zu gründen. "Ich bekomme viele Mails von Leuten, die auch Co-Eltern werden wollen", erzählt er. Neulich hat ihn ein Mannheimer besucht, auch er bekommt mit einer Freundin ein Kind. Sieben andere Co-Eltern trifft König regelmäßig in Berlin. "Viele ähnliche Familien kenne ich aber nicht. Auch in Berlin sind wir außergewöhnlich", sagt König.

Zur Zeit plant die Familie Weihnachten. Dieses Jahr bleiben alle in Berlin, vielleicht wollen sie zusammen feiern. Mit Lynns Müttern ist König eng befreundet. "Das ist schon ein anderes Gefühl als sonst mit Freunden. Ich weiß, sie werden auch in 20 Jahren Teil meines Lebens sein", sagt er. König ist überzeugt: Mit Freunden Kinder zu haben, kann entspannter sein als in einer Beziehung. Mit Lynns Müttern kann er sich darauf konzentrieren, ihre Tochter zu erziehen, und muss nicht gleichzeitig eine Liebesbeziehung pflegen. Und sie können sich nicht trennen, zumindest nicht wie ein Paar. "Mit Fritzis Mutter musste ich am Tag nach unserer Trennung besprechen, wer Fritzi wann nimmt", erzählt er.

"Ich würde das immer wieder so machen", sagt König. "Ich würde aber nie sagen, meine Familie ist besser oder schlechter als andere. Es gibt bestimmt auch viele, die in einer klassischen Familie glücklich sind." Wichtig sei ihm, dass auch andere Familien beachtet werden. Bei der Gesetzgebung, in Kinderbüchern, im Schulunterricht. Deshalb bloggt er über seine und andere Familien, und hat ein Buch geschrieben: "Mama, Papa, Kind? Von Singles, Co-Eltern und anderen Familien."

Fritzi hat genug vom Schaukeln, sie läuft zur Bank und klettert auf den Schoß ihres Vaters. Kann er sich vorstellen, weitere Kinder zu bekommen? König sagt: "Meine Familienplanung ist abgeschlossen. Aber wenn eine der Mütter Kinder mit einem anderen Vater bekommen möchte, fände ich das cool." Fritzi fragt: "Wäre meine Schwester dann auch Lynns Schwester?" Er überlegt, Fritzi wird ungeduldig: "Ein Viertel, oder?" "Das kann man bestimmt so sagen", antwortet König.

Den Blog von Jochen König finden Sie unter jochenkoenig.net

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