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Berlin: Die ehemaligen "Medaillenschmieden" haben ihren Platz im demokratischen Schulsystem gefunden

Die Eingangshalle der Werner-Seelenbinder-Oberschule wirkt wie die einer ganz normalen Schule. Nichts erinnert an den Glanz, den sie im Zentrum der Nachwuchsausbildung im DDR-Sport hatte.

Die Eingangshalle der Werner-Seelenbinder-Oberschule wirkt wie die einer ganz normalen Schule. Nichts erinnert an den Glanz, den sie im Zentrum der Nachwuchsausbildung im DDR-Sport hatte. Keine Ehrentafel, kein Denkmal - nur ganz gewöhnlich aussehende Schüler, die sich in den unübersichtlichen Gängen verlieren. Eine gewisse Magie geht dennoch von dem aus, was von der Kinder-und Jugendsportschule (KJS) "Werner Seelenbinder" übriggeblieben ist, denn noch immer sind viele Schüler alles andere als gewöhnlich. Auf dem Gelände des Sportforums Hohenschönhausen werden Jugendliche unterrichtet, die sich ganz dem Leistungssport verschrieben haben.

Erinnerungen an die alten Zeiten sind nur noch in der Schwimmhalle zu finden. Voller Leben bevölkern die rund 1400 Schüler die anliegenden Trainingshallen und -plätze - das lässt auf einen gelungen Neuanfang nach der politischen Wende schließen. Untersucht wurde die Umwandlung der Kinder- und Jugendsportschulen in allgemeine Oberschule mit sportlichem Schwerpunkt sogar als wissenschaftlicher Modellversuch vom Sportinstitut der FU, der den ersten Eindruck bestätigt. Das Projekt war erfolgreich, wenn auch mit Defiziten in der sportlichen Integration - in jedem Fall aber weiterzuführen und als Modell für andere Bundesländer brauchbar.

Allein in Berlin gab es vier Kinder- und Jugendsportschulen. Neben der Seelenbinder-Schule, die mit der KJS "Heinrich Rau" verschmolzen und heute eine der größten Berliner Schulen überhaupt ist, gab es noch die KJS "Ernst Grube" - heute Coubertin-Gymnasium, und "Paul Gesche" - heute Flatow-Oberschule. Die sogenannten "Medaillenschmieden", in denen die "Diplomaten im Trainingsanzug" ausgebildet wurden, galten Kritikern als perverser Auswuchs der sozialistischen Staatsdoktrin, denn es stand der Kampf um Titel für die DDR im Vordergrund und nicht der Sportler, der hinter der Leistung steht. Andererseits wurde die hohe Effizienz bei der Talentsichtung und -förderung im Sport gelobt, die weltweit Maßstäbe setzte. Kaum ein anderes Land konnte so viele internationale Medaillen pro Kopf auf sich vereinen wie die DDR, und gewiss war nicht immer Doping im Spiel. Viele der Erfolgreichen kamen aus einer der vier Berliner Sportschulen.

Der Senat beschloß 1991 deren Überführung in demokratische Strukturen. Nun stand die Ausbildung der Schüler im Vordergrund, der Sport wurde dem Lernen untergeordnet. So waren es früher eher die Trainer die den Schulablauf bestimmten, solange die schulische Leistung stimmte. Das führte häufig zu Trainer-Lehrer-Konflikten. Doch letzlich sind die Trainer nach der Wende nicht mehr bei der Schule angestellt, und die Lehrer bestimmen den Tagesablauf der Schüler. Trotzdem wird der Leistungssport weiterhin in besonderer Weise in den Schulalltag integriert. Allerdings fallen die Mini-Lerngruppen und die Befreiung vom Unterricht während der Wettkampfsaison weg. Und Schüler, die ihre sportlichen Ziele nicht erreichen, müssen nicht mehr wie früher innerhalb von 14 Tagen die Schule verlassen.

Was aus der Lehrerschaft geworden ist, weiß Gerd Neumes. Er kam zwar erst nach der Wende an die Seelenbinder-Schule, kennt sich aber als Schulleiter mit der Situation seiner Lehrer besonders gut aus. "Der Großteil der Lehrer ist noch da. Wir mussten natürlich den Überhang, der durch den Einzelunterricht entstanden war, abbauen, aber das ging durch natürliche Fluktuation", sagt Neumes und fügt hinzu, "in meiner Zeit habe ich keinen Versetzungsantrag auf dem Tisch gehabt. Das ist für mich ein Zeichen, dass sich alle Lehrer wohl fühlen und mit der neuen Rolle klar kommen." Aber bringt das nicht auch Probleme mit einer überalterten Lehrerschaft? "Das haben alle Schulen. Bei uns hat es den Vorteil, dass halt alles erfahrene Hasen sind. Die wissen, wie man mit Leistungssportlern umgeht."

Eines ist geblieben, wenn auch in deutlich verminderter Form: Es besteht eine Zugangsbeschränkung für Schüler. Nur wer eine Empfehlung von seinem Sportverband vorlegen kann, wird in den Kreis der Geförderten aufgenommen und nimmt in speziell abgestimmten Stundenplänen am Unterricht teil, der sich über den ganzen Tag verteilt. "Das macht wenig Sinn, als Nichtsportler dabei zu sein. Dann sitzt man in den Trainingszeiten ja sinnlos rum", sagt Neumes. Aus den negativen Erfahrungen mit einem freien Zugang nach der Wende hat man gelernt. Raucherecken in einer Sportschule möchte man in Zukunft vermeiden, denn die gehören wohl nicht zu den in der FU-Studie belegten positiven Veränderungen an den sportbetonten Schulen.

Ingo Wolff

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