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Mit roter Sauce. Gesine Loetsch verteilt Currywurst.

© Kai-Uwe Heinrich

Die Linke in Ost-Berlin: Wahl ohne Kampf

Auf ihre drei Ost-Berliner Direktmandate kann sich die Linke verlassen. Hier wohnen die Stammwähler. Doch wie hoch sind die roten Hochburgen tatsächlich? Eine Spurensuche zwischen Plattenbau und Currywurst.

Bratwurst, ganz viel Currytunke, Chilipulver nach Bedarf: drei gute Gründe, Gesine Lötzsch zu wählen. „Das sind sogar richtig originale Ostprodukte“, freut sich eine junge Frau, sticht den Spießer noch resoluter ins Wurstfleisch, lächelt. Originales Ostproduktefett spritzt auf den weißen Stehtisch. Gute Wurst, guter Tag, gute Gesine. Auch Lötzsch lächelt. Sie empfängt ihre Wähler am Imbissstand der Linkspartei.

Ein Heimspiel für die direktmandatierte Abgeordnete, hier vor dem Lindencenter im Lichtenberger Stadtteil Hohenschönhausen, kurz nach halb zwei. Der verkaufsoffene Sonntag in der Shoppingmall spült Laufpublikum zum Currywurstwagen, schnell bildet sich eine Schlange, Lötzsch schüttelt Hände und klopft Schultern. „Hatten Sie schon eine Currywurst?“ Die Linke bezahlt.

Lötzsch kennt die Lichtenberger und die Lichtenberger kennen Lötzsch. 1961 wurde sie im Bezirk geboren, ging hier zur Schule, wohnt heute noch in einem sanierten Plattenbau. Ihre Kinder gehen in Lichtenberg zur Schule. 2002 gewann die Lehrerin zum ersten Mal den Wahlkreis, 2009 holte sie 47,5 Prozent der Erststimmen. Lichtenberg ist Lötzschland, ihre Beliebtheitswerte sind so hoch wie die Plattenbauten. Ihr flyerverteilender Wahlkampfmanager Sebastian Schlüsselburg munkelt vor dem Lindencenter: „Ich habe so eine Ahnung, dass Gesine diesmal ein historisches Ergebnis einfährt und die meisten Erststimmen der Linkspartei in Deutschland holt.“

Mehr als 100 Infostände der Linken

Man habe großartigen Wahlkampf gemacht, intensiv wie nie, mehr als 100 Infostände. 20 000 Euro gab es dafür aus der Bezirkstopf der Linken, 10 000 Euro Sonderzulage nochmal von der Bundespartei. 15 000 Euro hat Lötzsch aus eigener Tasche beigesteuert. Gefühlt hängt an jedem Laternenpfahl ein Lötzsch-Plakat, an manchen sogar zwei, dazu die fest installierten Konterfeis unter den drehenden Uhren im Stadtteil. Lötzsch ist präsent. Erik Gührs, ihr Kontrahent von der SPD, fand diese Präsenz „ziemlich unheimlich“.

Gührs tritt oft mit Hut auf, sein Bart ist akkurat gestutzt, er war vor dem Mauerfall Jungpionier, aber vielen Lichtenbergern reicht das nicht als Ostpatina. Gührs verkauft am Wahlsonntag keine Currywurst am Lindencenter. „Wo is’ der Junge denn, na?“, pampt ein Senior mit Lederjacke. „Also ich sehe ihn nicht.“ Wen er sieht: Lötzsch, die Kümmerin, mit Lederjacke, Sonnenbrille im blonden Haar, schwarzem Kleid über der Jeans. Lötzsch, die zuhört, auch mal nachfragt, nickt, die Stirn in Falten. Problemverstehermimik. Volksnähegestik.

Im Wahllokal in der Spinne nahe der Frankfurter Allee sagt eine Frau, die als Krankenschwester auch nachts arbeitet: „Die Gesine ist nicht blind für unsere Probleme.“ Vor der Tür bringt ein Mann in Picaldihose einen Underberg-Toast aus: „Auf links! Auf uns! Auf Mindestlohn!“ Sein Begleiter, Gelfrisur, Oberlippenbart, grinst: „Du bist arbeitslos, da bringt dir der Mindestlohn auch nichts.“ Ein Rentner, der sich die Strähnen über die Halbglatze kämmt, erklärt: „Der Gysi und die Lötzsch sind doch die einzigen, die sich überhaupt für den Osten interessieren.

Wähler zwischen Nostalgie und Überzeugung

Es ist diese Wählerschaft, diese Gefühlsmischung aus Nostalgie und Überzeugung , die der Linken ihre Berliner Direktmandate sichert: Gysi in Treptow-Köpenick, Petra Pau in Marzahn-Hellersdorf - und Gesine Lötzsch in Lichtenberg. Sozialistische Treue, basisnahe Kiezpolitik. Der entspannte Currywurst-Wahlkampf verfängt nicht mehr überall, wie sich am späten Abend zeigt.

Lichtenberg ist mittlerweile mehr als nur Kiezspinne und Linden-Center. Das beweist das Ergebnis: Knapp über 40 Prozent für Lötzsch, sicheres Direktmandat, ja. Aber zugleich auch deutliche Verluste gegenüber 2009. Die entscheidende Frage an diesem Sonntag lautete sowieso nicht, ob Lötzsch gewinnt. Die entscheidende Frage war eine andere, banaler, aber sie brachte die hungrigen Lichtenberger dann doch ins Grübeln: Mit oder ohne Darm?

Moritz Herrmann

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