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Allzweckwaffe: Eberhard Diepgen ist seit kurzem im "Berliner Beirat für Zusammenhalt" für den Umgang mit Flüchtlingen zuständig.

© dpa

Eberhard Diepgen im Interview: "Flüchtlinge ins ICC - warum nicht?"

Berlins früherer Regierender Bürgermeister fordert unkonventionelle Lösungen für das Flüchtlingsproblem. Eine vorübergehende Unterkunft könnte das alte Kongressgebäude sein.

Von Sabine Beikler

Am Montag ernannte Sozialsenator Mario Czaja (CDU) den ehemaligen Regierenden Bürgermeister Eberhard Diepgen (CDU) und drei Ex-Senatoren für einen „Berliner Beirat für Zusammenhalt“. Das parteiübergreifende Gremium soll dem Senat helfen, Integrationsprobleme zu lösen und mit besorgten Bürgern zu sprechen. 12 300 Flüchtlinge mit laufendem Asylverfahren sind derzeit in Berlin untergebracht. Am Freitag öffnete die Stadtmission im Auftrag des Landes erstmals die zwei Wärmelufthallen am Postbahnhof als Notunterkünfte für Flüchtlinge. Bund und Länder rechnen angesichts der politischen Krisenherde mit weiteren Flüchtlingen. Über die Herausforderungen sprachen wir mit Eberhard Diepgen.

Herr Diepgen, Sozialsenator Czaja hat Sie in den Beirat für Zusammenhalt berufen. Wie wollen Sie Flüchtlingen helfen?
Wir demonstrieren im Beirat die überparteiliche Aufgabe, die Flüchtlinge angemessen unterzubringen und ihre schnelle Eingliederung in die Berliner Gesellschaft, soweit das rechtlich möglich ist. Wir werden Verwaltungshandeln begleiten, unterstützen und uns darum bemühen, dass Einwände und Sorgen von Bürgern und Nachbarn von Heimen ernst genommen und nach Möglichkeit auch aufgenommen werden. Bei den Demonstrationen besteht für die Bürger, die diese Bedenken äußern wollen, immer die Gefahr, dass sie von rechten Gruppen politisch instrumentalisiert werden.

Werden Sie mit den Bürgern und Nachbarn von Flüchtlingsheimen sprechen?
Die Mitglieder des Beirates werden vor Ort mit Bürgern sprechen, aber ohne Öffentlichkeit.

Wo hat die Verwaltung Fehler gemacht?
Ich will mich nicht mit der Berliner Vergangenheit und dem Flüchtlingsthema Oranienplatz und Gerhart-Hauptmann-Schule auseinandersetzen. Wir haben aktuell das Problem, dass Flüchtlinge vor der Tür stehen, es werden mehr werden. Eine umfassende Beteiligung der Nachbarschaft bei Auswahl von Standorten für Unterkünfte ist da kaum noch möglich. Ob Bezirke oder Land: Ich könnte mir als Nachbar eines solchen Standortes eine bessere Beteiligung vorstellen. In der Zukunft muss einiges verbessert werden. Wir unterstützen die Verwaltungen, sehen uns aber nicht als Feigenblatt für die Verwaltung. Das ist eine Herausforderung für zukünftige Planungen von Unterkünften, um die wir angesichts der politischen Entwicklungen innerhalb und außerhalb von Europa nicht herumkommen werden. Wir müssen dafür werben, dass aktuell weniger das Ob einer neuen Einrichtung für Flüchtlinge, sondern mehr das Wie und die Form der Zusammenarbeit mit den Nachbarn in den Vordergrund gestellt wird.

Was bedeutet Willkommenskultur?
Für mich bedeutet Willkommenskultur eine vernünftige, sachgerechte und angemessene Form der Aufnahme von Flüchtlingen. Und menschliche Zuwendung gehört auch dazu.

Heißt Willkommenskultur, dass man Flüchtlinge nicht zentral, sondern am Stadtrand unterbringt?
Wünschenswert wären kleine, dezentrale Einrichtungen auch in der Innenstadt. Ich persönlich würde auch höhere Kosten in Kauf nehmen, weil die gesellschaftliche Akzeptanz größer und die gesellschaftlichen Gesamtkosten niedriger wären. Die Vermietung von Wohnungen an Flüchtlinge sollten insbesondere städtische und gemeinnützige Wohnungsgesellschaften als eine besondere Aufgabe ansehen. Es ist auch ein Thema bei Neubaumaßnahmen, bei denen nicht nur an Wohnungen für sozial Schwache, sondern auch an Belegungsrechte für Flüchtlinge gedacht werden sollte. Aber wir können uns die Welt nicht malen. In Berlin wird ja schon gegen fast jeden größeren Wohnungsneubau protestiert. Ich weiß beispielsweise nicht, ob ich der Sozialverwaltung empfehlen soll, vorübergehend Container für Flüchtlinge im Randbereich des Tempelhofer Feldes vorzuschlagen. Im Lichte der Volksabstimmung wäre das gleich ein neues emotional belastetes Kampffeld. Abwegig wäre das aber nicht. Ich weiß auch nicht, warum das ICC unbedingt leer stehen muss und nicht wenigstens vorübergehend für Flüchtlinge genutzt werden kann. Der Plattenasbest ist nur eine Gefährdung, wenn er aufgerissen wird.

Sind Containerdörfer am Rande der Stadt geeignete Unterkünfte?
Zunächst ruft der Begriff Schrecken hervor. Aber Container mit entsprechender Ausstattung, also modernen Sanitäranlagen, Küchen, Gemeinschaftsräumen sind oft besser als umgebaute Schulen oder Fabrikgebäude in der Mitte der Stadt. Richtig ist allerdings auch, dass bei der Unterbringung von 400 bis 600 Flüchtlingen an einem Standort das Risiko von internen Problemen wächst. Auch die Herausforderungen an die Integration der Kinder in Schulen und Kindergärten der Umgebung steigen. Containerdörfer sind nicht der Königsweg, sondern die Folge einer aktuellen Notsituation. Sie sollten eine vorübergehende Lösung sein. Ich befürchte allerdings, dass sie einen längeren Bestand haben müssen.

Was halten Sie von den zwei Traglufthallen am Postbahnhof?
Es kommt auf die Ausstattung der Hallen an. Denkbar sind sie für die vorübergehende Unterbringung von Neuankömmlingen. Im Vergleich zur Unterbringung in Turnhallen, die dann nicht mehr für den Sport benutzt werden können, sind die Hallen eine vernünftige Alternative.

Hat sich der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit ausreichend dazu geäußert?
Da blicke ich mehr auf den designierten Nachfolger.

Das Gespräch führte Sabine Beikler

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