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Die Stimmung zwischen Polizei und Demonstranten ist aufgeladen.

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Update

Nach Abzugsbescheid: Betroffene Flüchtlinge müssen heute Unterkünfte in Berlin verlassen

An diesem Dienstagmorgen müssen mehr als 100 Flüchtlinge ihre Wohnheimplätze räumen. Am Montagabend protestierten deshalb am Oranienplatz etwa 500 Menschen. In der Nacht und am frühen Morgen blieb es relativ ruhig.

Das Landesamt für Gesundheit und Soziales (Lageso) hat die ersten 108 Flüchtlinge vom Oranienplatz aufgefordert, ihre Wohnheimplätze zu räumen. Spätestens am Dienstagmorgen müssten die betroffenen Flüchtlinge ausziehen, sagte Regina Kneiding, Sprecherin von Sozialsenator Mario Czaja (CDU). "Die frei gewordenen Plätze werden dann sofort wieder mit anderen Flüchtlingen belegt." Auch die Sozialhilfe nach dem Asylbewerberleistungsgesetz, 362 Euro im Monat, wird ab September nicht mehr gezahlt. Diese Gelder wurden als "freiwillige Leistung" vom Senat gewährt.

Die Nachricht hatte am Montagnachmittag und -abend zu Unruhen am Oranienplatz geführt: Nach Polizeiangaben wurden Beamte dort zunächst mit Gegenständen beworfen, daraufhin wurde Verstärkung angefordert. Zwischenzeitlich waren 150 Beamte vor Ort. Die Zahl der Demonstranten erhöhte sich zeitweise auf 500: Flüchtlinge und Unterstützer hatten eine Demonstration angekündigt und zogen ab 22 Uhr durch Kreuzberg. Unterwegs stoppte der Zug vor dem SO36 in der Oranienstraße - dort flogen Flaschen und Steine, die Polizei setzte Pfefferspray ein, wie unsere Reporterin berichtete. Die Lage beruhigte sich aber allmählich wieder. Gegen Mitternacht löste sich die Demonstration am Oranienplatz wieder auf - nur einige Demonstranten fassten den Plan, dort zu übernachten. Das wollten die Beamten, von denen gut 60 vor Ort bleiben sollen, nicht unterbinden - es sei denn, die Demonstranten würden erneut Zelte errichten.

Flüchtlinge und Unterstützer diskutieren am Oranienplatz mit der Polizei und bieten mit Gesten an, sich verhaften zu lassen.
Flüchtlinge und Unterstützer diskutieren am Oranienplatz mit der Polizei und bieten mit Gesten an, sich verhaften zu lassen.

© dpa

Das war am Montagnachmittag passiert und galt als Grund für die Zusammenstöße zwischen Polizisten und Protestierenden: Flüchtlinge versuchten, auf dem Oranienplatz aus Planen und Holzstäben bestehende Zelte aufbauen - das Material wurde jedoch von Beamten beschlagnahmt. Daraufhin setzten Sprechchöre ein, die Lage spitzte sich zu. Bislang gab es mehrere Festnahmen, unter anderem wegen Beleidigung sowie wegen gefährlicher Körperverletzung: Es war ein Sandsack durch die Luft geflogen. Auch in der Nacht könnte es noch zu Festnahmen kommen. Für den Dienstagmorgen waren Proteste am Flüchtlingsheim in Marienfelde angekündigt, in der Früh blieb es jedoch zunächst ruhig.

Noch mehr Flüchtlinge müssen Berlin verlassen

Czajas Sprecherin Kneiding sagte, dass bei einem Teil der betroffenen Flüchtlinge vom Oranienplatz die Prüfung ihrer Asylverfahren ergeben habe, dass sie bereits in einem anderen Bundesland oder einem anderen europäischen Land, in der Regel Italien, als Asylsuchende registriert sind und dort auch Leistungen erhalten. Eine andere Gruppe der Flüchtlinge sei der Aufforderung der Ausländerbehörde zu einer Klärung ihrer Verfahren mehrfach nicht nachgekommen.

Grüne und Piraten im Abgeordnetenhaus werfen dem Senat unterdessen Wortbruch vor. Innensenator Henkel (CDU) habe es nicht geschafft, die Asylverfahren nach Berlin zu holen, sagte die migrationspolitische Sprecherin der Grünen, Canan Bayram. „Der Umgang des Senats mit den protestierenden Flüchtlingen ist schäbig und verlogen“, sagte Fabio Reinhardt, flüchtlingspolitischer Sprecher der Piratenfraktion.

Dieses Archivbild aus dem November 2013 zeigt Flüchtlinge im Camp auf dem Oranienplatz.
Dieses Archivbild aus dem November 2013 zeigt Flüchtlinge im Camp auf dem Oranienplatz.

© Maurizio Gambarini/dpa

Bislang kein einziger Antrag positiv beschieden

Auch innerhalb des Senats gab es Kritik. „Mir ist unverständlich, dass bisher kein einziger Antrag positiv beschieden wurde“, sagte Integrationssenatorin Dilek Kolat (SPD). Die Bürgermeisterin von Friedrichshain-Kreuzberg, Monika Herrmann (Grüne), kritisierte das Vorgehen des Senats scharf. „Bezirk, Heimbetreiber und Kirchen sind überrumpelt worden.“ Man habe erst am Freitagnachmittag von der Aufforderung an die Flüchtlinge erfahren. Das bestätigte die Berliner Caritas, die neben der Diakonie mit der Beratung der Flüchtlinge betraut ist. „Es gab viel zu wenig Zeit, sich in die Einzelschicksale einzuarbeiten“, sagte Caritas-Sprecher Thomas Gleißner. In einem Fall habe selbst die Vorlage eines ärztlichen Attests die Aufforderung zum Verlassen der Stadt nicht abgewendet.

Herrmann: "Polizei wird eine Menge zu tun haben"

Monika Herrmann geht davon aus, dass viele Flüchtlinge ihren Protest jetzt wiederaufnehmen werden. „Die Polizei wird in den nächsten Wochen eine Menge zu tun haben.“ In Friedrichshain-Kreuzberg werde es aber keine erneuten Besetzungen durch Flüchtlinge geben. „Das Amtshilfeersuchen an die Polizei gilt weiterhin.“ Der Oranienplatz stehe für Übernachtungen nicht mehr zur Verfügung, wohl aber für den Protest gegen die deutschen Asylgesetze.

In den nächsten Wochen würden weitere Flüchtlinge vom Oranienplatz ähnliche Aufforderungen erhalten, sagte Czaja-Sprecherin Kneiding. Insgesamt haben 553 Flüchtlinge dem Senatskompromiss mit den protestierenden Flüchtlingen vom Oranienplatz aus dem Frühjahr zugestimmt. Die rund 40 Flüchtlinge, die noch immer in der Gerhart-Hauptmann-Schule in Kreuzberg ausharren, seien nicht darunter, sagte Kneiding. Weil sie sich weigerten auszuziehen, würden ihre Verfahren nicht gesondert geprüft. Gegenwärtig sind in Berlin mehr als 18 000 Flüchtlinge untergebracht.

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