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Die Aussicht auf Containerbauten statt richtiger Schulen beunruhigt Eltern und Lehrer - vor allem im schnell wachsenden Pankow.

© Jörg Carstensen/dpa

Flüchtlinge in Berlin: Zu Besuch in Berlins Containerdörfern

Sechs Containerviertel sind in Berlin entstanden, das erste vor einem Jahr. Wie geht es Anwohnern? Helfern? Flüchtlingen? Ein Stadtrundfahrt, Heim für Heim.

Wie Legotürmchen sind seit einem Jahr die Wohncontaineranlagen entstanden. Unter der Leitung der „Task Force Notunterbringung“ des Lageso und deren Leiter Detlef Cwojdzinski wurden an sechs Standorten sogenannte Modulbauten aufgezogen. Fast 43 Millionen Euro wurden investiert. „Wir wollten eine eindeutige Wende bei der Unterbringung der Flüchtlinge herbeiführen. Selber bauen war das Ziel. Dadurch konnten wir auch die Betreiber selbst auswählen“, sagt Cwojdzinski. „Mit diesem Projekt ist das Lageso selbst zur Immobilienverwaltung geworden. Und ich glaube, bis jetzt ist uns das ganz gut gelungen“.

Dabei war die Empörung groß, als Sozialsenator Mario Czaja, CDU, vor einem Jahr die sechs Standorte bekannt gab. Überrumpelt und unvorbereitet fühlten sich Bezirke und Anwohner. Bürger – auch Rechtsradikale – zogen gegen Überfremdung und Asybewerberheime auf die Straße, während Helfer vor eben diesen warnten und schlechte öffentliche Anbindungen für die Flüchtlinge und fehlende Kommunikationsbereitschaft des Senats kritisierten. Der Flüchtlingsrat warnte vor sozialer Segregation.

Zeit für eine erste Zwischenbilanz. Sechs Menschen aus den Unterkünften erzählen aus sechs verschiedenen Perspektiven von ihren Erfahrungen.

KÖPENICK

Wo? Alfred-Randt-Straße, Allende II

Wer? Internationale Bund

Wie viele? 386

Der Heimleiter

Es ist ein kleines Idyll, das Peter Hermanns geschaffen hat zwischen all den hohen Plattenbauten, den kaum niedrigeren Kiefern. Er sitzt auf einer Holzbank neben dem Container. In der herbstlichen Nachmittagssonne sitzen Männer, trinken Kaffee, spielen Karten. Ein paar Kinder fetzen mit ihren Fahrrädern im Slalom um die Bäume. „Ey, Chef, wo ist die X-Box“, ruft ihm einer der Jungs vom Fahrrad aus zu. „Ey, Osama, eingesperrt ist die, in meinem Büro!“, antwortet Herrmanns. Der Leiter der ersten Unterkunft, die Ende Dezember eröffnet hat, ist weniger Heimleiter, denn mehr Papa für die 386 Menschen. „Bei so vielen Leuten muss man sich tatsächlich erst mal Gedanken machen, wer die X-Box bekommt“, sagt er. Es sind die ganz kleinen Probleme, um die er sich kümmern muss. Und sei es um eine Spielkonsole.

Wo ist die X-Box? Die Truppe um Heimleiter Hermanns (rechts am Bildrand) ist rund um die Uhr im Einsatz.
Wo ist die X-Box? Die Truppe um Heimleiter Hermanns (rechts am Bildrand) ist rund um die Uhr im Einsatz.

© Laffert

Es gibt auch die größeren. Die Neonazis und die besorgten Bürger, die immer noch dienstags und mittwochs ihre Kundgebungen vor der Unterkunft abhalten. Weniger sind es zwar, als bei den Protesten vor der Heimeröffnung auf die Straße gingen. Aber der Bodensatz bleibt. „Klar habe ich Angst. Gerade ist alles am köcheln. Überall kommt es zu Übergriffen – und man sieht nur die wenigen, nicht die vielen, die in ihren Wohnzimmern sitzen und heimlich Beifall klatschen“, sagt Hermanns. An rassistische Hass-Mails, an Drohanrufe hat er sich längst gewöhnt. Die kann er ignorieren. Nicht aber, dass die Polizei regelmäßig auf der Matte steht, weil sich schon wieder ein Anwohner über Ruhestörung beschwert hat. „Die Anwohner nutzen das als Vorwand, um die Polizei zu rufen. Die können dann ihr Foto auf Facebook posten und sagen: Schaut her, die Asylanten haben schon wieder etwas verbrochen!“. Nein, Hermanns’ Job ist keiner, der auf acht Stunden begrenzt ist, keiner, bei dem man an Wochenenden guten Gewissens die Füße hochlegen darf. „Aber es lohnt sich jede Sekunde, wenn ich den Erfolg sehe: Die Kinder, die in die Schule kommen. Die Menschen, denen wir Wohnungen vermitteln. Das Miteinander!“ Ein Fenster im zweiten Stock geht auf: „Chef, wir haben Kaffee gekocht, kommst du rauf?“ – Der Chef schaut auf die Uhr, kurz vor sieben. Sein Arbeitstag ist eigentlich längst vorbei. „O.k., aber nur kurz. Dann muss ich mit den Jungs noch Fußball spielen …“

PANKOW

Wo? Karower Chaussee, Buch

Wer? Arbeiterwohlfahrt Berlin (AWO)

Wie viele? 480

Der Bewohner

Buch ist so ein bisschen eine eigene Welt. Doch hinter Kleinstadtflair lauert die Platte und hinter der Platte lauern die Container. Dort wohnt Imad. Imad mit 479 anderen Menschen, in der größten der sechs Containerunterkünfte. Der 28-jährige Syrer mit palästinensischen Wurzeln schlurft über den Vorplatz, einen Kopfhörer im Ohr, rümpft die Nase. Mitten auf dem Hof steht ein großer orange-farbener Müllcontainer, aus dem es stinkt.

Glücklich ist er in der Anlage in Buch nicht. Nicht wegen der Betreiber, nicht wegen der Helfer. Die geben ihr Bestes, beteuert er. „Aber die Unterbringung ist nicht gut. Nicht für mich. In Syrien hatten wir ein großes Haus, ein Auto, Geld – wir hatten einen Lebensstandard wie ihr Deutschen“, erzählt der 28-Jährige, der in Damaskus bis zuletzt Englische Literatur studiert hatte. Sein Traum: Ankommen. Das schafft er hier nicht: Nicht, wenn sich der Container im Sommer auf gefühlt 50 Grad aufheizt. Nicht, wenn er nachts aufwacht, weil zwei Räume weiter Stühle verrückt werden. Und dann immer der Dreck – nicht so schlimm, wie in seiner vorherigen Unterbringung in der Mozartstraße, aber in der Küche stehen doch immer die unabgespülten Bleche, schimmelnde Essensreste. Heute riecht es unappetitlich, nicht nur in der Küche. „Das sind Dinge, die passieren, wenn sich 60 Menschen ein Bad und eine Küche teilen müssen“, sagt Imad. „Es wäre einfacher, würden sich alle Menschen verantwortungsbewusst verhalten. Denn eigentlich sind wir im Heim wie eine große Familie. Viele sind aber verzweifelt und apathisch von der Langeweile.“ Er erzählt von Männern, die sich abends betrinken, dann oft streiten und raufen. Imad geht deshalb lieber raus. Spricht mit den Menschen auf der Straße, denn er mag die Leute in Buch. Ja, ja, ein paar Nazis gebe es hier schon auch. Reden will er darüber nicht. Lieber erzählt er von den Jugendlichen aus dem Park: „Ich bin vorbeigelaufen, sie haben mich gefragt: Wohnst du in den Containern? Setz, dich zu uns, du bist willkommen.“

Das erste von sechs Containerdörfern. Sonnenblumen wachsen im Innenhof der Flüchtlingsunterkunft in der Alfred-Randt-Straße.
Das erste von sechs Containerdörfern. Sonnenblumen wachsen im Innenhof der Flüchtlingsunterkunft in der Alfred-Randt-Straße.

© dpa

STEGLITZ-ZEHLENDORF

Wo? Potsdamer Chaussee

Wer? Arbeiter-Samariter-Bund

Wie viele? 340

Die Anwohnerin

Probleme mit Neonazis, Rassismus, Übergriffen – kennt man in Zehlendorf höchstens aus der Zeitung. Das ist weit weg von Zehlendorf, wo Eichhörnchen von Baum zu Baum hüpfen, wo sich Reihenhaus an Reihenhaus schmiegt.

„Herzlich Willkommen“ – begrüßt ein Banner die Geflüchteten am Eingang. Ahla wa Sahla, steht die arabische Übersetzung daneben. Im Minutentakt kommen Menschen mit Kisten voll mit Kleidern, mit Fußbällen, mit Schulmaterialien vorbei. Ingrid Schöne, 75, ist eine von ihnen. Sie wohnt vier Straßen weiter, hatte in der Zeitung von dem neuen Heim gelesen. Spontan ist die Rentnerin aufs Fahrrad gestiegen. „Die Probleme der geflüchteten Menschen machen mich schlaflos“, erzählt sie. Deshalb hat sie sich gerade in die Listen eingetragen, die ausliegen. Nachhilfeunterricht kann sie künftig geben. Deutsch, Englisch, Französisch. Kinderklamotten will sie jetzt gleich kaufen fahren, die werden dringend gebraucht. „Wir haben viel zu viel, wir können alle etwas abgeben. Wenigstens einen Bruchteil können wir dazu beitragen, dass diese Menschen ordentlich leben können“, sagt Schöne und streicht sich eine graue Strähne aus dem Gesicht.

STEGLITZ-ZEHLENDORF

Wo? Ostpreußendamm

Wer? MILaa GmbH (Miteinander leben, aber anders), Tochter des Evangelischen Diakonievereins Zehlendorf

Wie viele? 300 Schutzbedürftige

Der Psychologe

„Gemeinschaftsunterkünfte sind das Schlechteste überhaupt.“ Der Diplom-Psychologe Dietrich Koch macht keinen Hehl daraus, was er von den Containerunterkünften hält. „In den Heimen besteht immer die Gefahr, die Privatsphäre zu verlieren“, warnt Koch. „Spätestens nach einem halben Jahr wirken sich solche Unterkünfte auf die Gesundheit negativ aus, schon bei gesunden Menschen.“ Bei Traumatisierten ist das Risiko noch deutlich höher. Gewaltattacken und Auffälligkeiten einzelner Personen können das ganze Wohnheim elektrisieren. „Die Gefahr besteht auch am Ostpreußendamm.“ In der Vorzeigeunterkunft. Dem Prestigeprojekt des Senats, mit geräumigeren Zimmern, abschließbaren Duschkabinen, Betreuung für besonders schutzbedürftige Menschen. Traumatisierte, Behinderte, Mütter mit Kindern. In diesem Heim sollen sie wieder zurück ins Leben finden. Und Dietrich Koch wird dabei mithelfen – trotz aller Skepsis. Er ist Vorsitzender des Vereins Xenion e.V., der sich um psychologische Betreuung Geflüchteter kümmert. „Jetzt steht und fällt das Heim mit dem Personal, mit den Unterstützern“, erklärt er. Traumatisierte brauchen keine Experten, Traumatisierte brauchen Zuhörer. Menschen die ihnen ein Gefühl von Sicherheit geben, sie in den Alltag zurückholen.

LICHTENBERG

Wo? Hausvaterweg, Falkenberg

Wer? Evangelische Jugend- und Fürsorgewerk (EJF)

Wie viele? 280

Die Helferin

Meike Nandico wird langsam schon ungeduldig. Sie schaut auf die Uhr: 14.10 Uhr – und keiner da. Dabei steht für 14 Uhr am Schwarzen Brett. 14 Uhr Deutschunterricht.

Meike Nandico ist Lehrerin für Deutsch und Englisch am Victor-Klemperer-Kolleg – normalerweise. Seit letzter Woche unterrichtet sie auch in der Unterbringung in Falkenberg, ehrenamtlich, klar: „Sprache ist das Allerwichtigste für Menschen, die hierherkommen. Wer die Sprache nicht beherrscht, der kann nicht an der Gesellschaft teilhaben.“ Und umso weiter draußen auf dem Land, umso schwerer wird es, sich mit Arabisch und ein paar Brocken Englisch durchzuschlagen. Und Falkenberg ist ziemlich weit draußen. Eigentlich nicht Berlin, mehr so ein Dorf mit 700 Einwohnern, die aus allen Wolken gefallen sind, als der Senat ankündigte, 480 Geflüchtete hier unterbringen zu wollen. Heute sind es – nach einigen Protesten – 280, die in den Containern wohnen. Die schwarz-rot-gelben Flaggen, die im Hausvaterweg von den Fenstersimsen wehen, zeigen wie hier gesprochen wird. Und wieso kommt dann keiner zum Unterricht?

„Wir bräuchten täglich einen festen Termin. Dazu brauchen wir noch mehr Leute. Ich kann nur einmal die Woche. Ja und 14 Uhr ist auch ein bisschen schwierig, da holen die Eltern ihre Kinder von der Schule ab …“ Da klopft es am Türrahmen, etwas schüchtern steckt ein kleiner Mann seinen Kopf herein. „Deutschkurs?“ – Muhammad aus Afghanistan will lernen. Meike Nandico huscht ein Lächeln übers Gesicht.

Alles hört auf sie. Meike Nandico im Lichtenberger Ortsteil Falkenberg beim Nachhilfeunterricht. 
Alles hört auf sie. Meike Nandico im Lichtenberger Ortsteil Falkenberg beim Nachhilfeunterricht. 

© Laffert

MARZAHN

Wo? Blumberger Damm

Wer? Prisod Wohnheimbetriebs GmbH

Wie viele? 400

Die Politikerin

Langsam schwindet die Angst bei Petra Pau. Langsam wird es ruhig um die Containerunterkunft in Marzahn. Der letzte Anschlag auf die Unterbringung ist jetzt schon einige Wochen her. Als Unbekannte brennende Latten über den Zaun geworfen hatten. Oder das mit den Holzkreuzen, die rings ums Heim platziert wurden. Oder die Übergriffe auf Bewohner nach dem Einkaufen.

„Am Anfang war ich schockiert, wie viel Hass die Nazis hier provozieren konnten“, erinnert sich Petra Pau, die Vizepräsidentin der Bundestags und direkt gewählte Abgeordnete von Marzahn-Hellersdorf, die nur wenige Straßen weiter wohnt. Über 1000 Menschen zogen vor einem Jahr gegen das Heim auf die Straße. Bekennende Neonazis neben besorgten Bürgern. Und heute? „Der Rückhalt der Nazis in der Bevölkerung ist völlig zusammengebrochen. Heute stören sich die Leute an den Nazis, nicht an den Flüchtlingen“, sagt Pau. Dass die Stimmung gekippt ist, dazu hat die Vizepräsidentin auch selbst beigetragen. Einmal im Monat veranstaltet sie für ihre Bürger einen Wahlkreistag, in immer einem anderen Stadtteilzentrum hat sie da Bürgersprechstunde – auch in der Nähe des Heims. „Viele, die zugaben, am Anfang selbst mitgezogen zu sein, trugen mir ihre Ängste und Sorgen vor – so konnte ich schon ein bisschen etwas auffangen allein mit Fakten“, erinnert sich Petra Pau.

Einige „Skeptiker“, wie Pau sie nennt, sind Anfang Juli auch zum Tag der offenen Tür gekommen – ein Aha-Erlebnis. Eine Lossagung von den leeren Phrasen, mit denen sie vorher auf die „Asylanten“ eingedroschen hatten. „Die Leute konnten sich der Realität nicht verwehren und viele gingen da raus und sagten: So ein Luxus ist das ja gar nicht. Wer das auf sich nimmt, der kommt nicht, um uns was wegzunehmen, sondern aus Not.“

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