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So sehen die Pläne des Senats für das Tempelhofer Feld aus.

© dpa

Gastbeitrag zum Tempelhofer Feld in Berlin: Betonpolitik von gestern oder Käseglocke von morgen

Überdimensionierter Wohnungsbau oder keinerlei Veränderung des Tempelhofer Feldes? Vor diese Wahl stellen Senat und Volksbegehren die Berliner Bürger. Warum sie beides falsch finden, schreiben die Chefs der Berliner Grünen in einem Gastbeitrag.

Der Senat und die Initiative „100% Tempelhofer Feld“ stellen Berlins Bevölkerung vor die falsche Wahl. Rot-Schwarz plant auf der Freifläche eine überdimensionierte Bebauung und – allen gegenteiligen Versprechungen zum Trotz – Luxus-Wohnen. Das Volksbegehren sperrt sich gegen diese Pläne, lehnt aber auch jede andere Veränderung des Areals kategorisch ab. Beide Seiten blockieren mit ihren Maximalforderungen die Debatte über kluge Entscheidungen für das Tempelhofer Feld und die ganze Stadt.

Wie beim Wasser und den Stromnetzen ist auch dieses Volksbegehren ein Misstrauensantrag gegen den Senat. Der hat auf dem Tempelhofer Feld viel Vertrauen verspielt. Niemand kann nachvollziehen, warum der kostspielige Bau einer Wowereit-Gedenkbibliothek auf dem Feld sein muss, während das denkmalgeschützte Flughafengebäude vor sich hingammelt. Niemand glaubt, dass auf dem Feld bezahlbarer Wohnraum entsteht. Schon eine simple betriebswirtschaftliche Rechnung zeigt: Wenn die Verkaufserlöse für die Bauflächen die Sanierung des Flughafengebäudes decken sollen, muss der Senat auf private Investoren und Luxus-Wohnungen setzen. Deshalb sehen die rot-schwarzen Pläne auch Appartements mit einer Durchschnittsgröße von bis zu 120 Quadratmetern vor und viel zu wenig kleinere und bezahlbare Wohnungen, die Berlin so dringend braucht. Für die ist im Landeshaushalt gar kein Geld eingeplant.

Der Senat macht beim Tempelhofer Feld Stadtplanung von oben

Gefragt wurden die Berlinerinnen und Berliner ohnehin nicht. Mit seiner Stadtplanung von oben hat der Senat nur den Protest von unten entfacht. Die Antwort des Volksbegehrens auf diese Pläne ist einfach. Zu einfach. Die Forderung lautet: Alles soll so bleiben, wie es ist. Eine Maxime, die das Ende von Stadtentwicklung bedeutet. Die Initiative leugnet nicht Berlins Wohnungsnot, aber Neubau will man dann lieber doch „not in my backyard“. Soll das am Ende wirklich die Wahl sein, vor der Berlin steht: Betonpolitik von gestern oder die Käseglocke von morgen? Was für eine Bankrotterklärung! Welche Metropole, wenn nicht Berlin, müsste in der Lage sein, auf dem

Tempelhofer Feld zu zeigen, wie innovative Stadtentwicklung im 21. Jahrhundert aussieht? Dafür müssten Senat und Bürgerinitiative lediglich von ihren Maximalforderungen abrücken, sich auf ein zweijähriges Moratorium einigen und die Zeit für eine echte Beteiligung der Bürgerinnen und Bürger nutzen. Wird die Stadt gefragt, können am Ende gemeinsame Ergebnisse stehen.

Man stelle sich zum Beispiel vor: Der Norden und Süden des Feldes bleibt unbebaut, um möglichst viel Parkfläche und die wichtige Kaltluftschneise zu sichern. Der geplante Gewerberaum entlang der Autobahn wird wegen des Berliner Überangebots zurückgestellt. Die Landesbibliothek zieht in das sanierte Flughafengebäude, Grundlage ist ein Nutzungskonzept, das den Bau zum „Kulturhafen“ und Standort für Kreative macht. Die gewonnene Fläche kommt dem sozialen Wohnungsbau zugute. In Kooperation mit Genossenschaften und Wohnungsgesellschaften entstehen am Tempelhofer Damm kleine und mittlere Wohneinheiten, deren Quadratmeterpreis 5,50 Euro nicht

übersteigt. Am östlichen Rand in Neukölln hat die soziale Infrastruktur Vorrang. Der benachbarte Kiez kann endlich seinen Bedarf an Schul- und Kitaplätzen sowie Sportflächen decken. Ergänzend entwickeln Stiftungen und Initiativen zusammen mit den Anwohnern neue, gemeinnützige Formen des Wohnungsbaus.

Wohnungsbau oder Freifläche auf dem Tempelhof - das ist nicht die Alternative

Vielleicht gibt es auch weitere Ideen. Noch ist es nicht zu spät für das Tempelhofer Feld. Bleibt der Senat stur, punktet das Volksbegehren bei all denen, die den drohenden Ausverkauf des Feldes verhindern wollen. Bleibt die Bürgerinitiative stur, rückt die Lösung der Berliner Wohnungsfrage in noch weitere Ferne. Beide Seiten sind klug beraten, die Stadt nicht länger vor die falsche Wahl zu stellen.

Bettina Jarasch, 44, und Daniel Wesener, 37, sind Chefs der Berliner Partei Bündnis 90/Die Grünen.

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