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Die Bürger und ich. Bundespräsident Joachim Gauck besuchte am Montag neben der Neuköllner Sehitlik-Moschee auch Jugendliche des Stadtteilzentrums „Alte Feuerwache“. Foto: dapd

© dapd

Berlin: Gauck: Toleranz ist nicht Gleichgültigkeit

Bundespräsident fordert Engagement gegen Gewalt Zu Besuch bei Wowereit und in der Moschee.

Vor dem Roten Rathaus brennen weiterhin die Kerzen zum Gedenken an das Opfer, und auch drinnen im Großen Festsaal ist die Gewalttat von vergangener Woche an diesem Montagvormittag eines der bestimmenden Themen beim offiziellen Antrittsbesuch des neuen Bundespräsidenten beim Regierenden Bürgermeister. „Ich wünsche mir mehr bürgerschaftliches Engagement gegen Gewalt“, sagt Joachim Gauck vor rund 200 geladenen Gästen aus Politik, Wirtschaft und Kultur. Bei Fällen wie dem aktuellen, in dem ein 20-jähriger Schüler nur wenige Meter vom Rathaus entfernt totgeschlagen wurde, „geht es um Einschreiten“, sagt Gauck. Die Gesellschaft müsse „Strategien gegen Gewalt“ finden, die Menschen müssten „weiter Entschlossenheit zeigen, Gewalt nicht zu tolerieren“.

Auch Gastgeber Klaus Wowereit (SPD) spricht zur Begrüßung seines Gastes, der sich später ins Goldene Buch der Stadt eintrug, über die brutale Tat. „Bei aller Toleranz müssen wir alle tagtäglich darum kämpfen, dass kein Klima der Gewalt vorherrscht“, sagt der Regierungschef. Er warnt jedoch davor, jetzt pauschal ganze Bevölkerungsgruppen zu stigmatisieren, nur weil die Täter wahrscheinlich türkischen oder arabischen Familienhintergrund haben: „Wir verschließen nicht die Augen vor Problemen“, sagt er. Aber oft hätten diese „einen sozialen Hintergrund, nicht nur einen Migrationshintergrund“.

Nach dem Empfang im Roten Rathaus gibt es für Gauck, der seit 20 Jahren in Berlin lebt, eine Premiere: Mit der Sehitlik-Moschee in Neukölln besucht der einstige Pfarrer und Verwalter der Stasi-Akten am Nachmittag zum ersten Mal in seinem Leben ein muslimisches Gotteshaus, wie er vor dem Besuch eingestand. Später relativiert er das dann ein wenig: Als Tourist habe er sich bereits zuvor mal eine Moschee „aus architektonischen Gründen“ von innen angeschaut.

Gauck nimmt den Moscheebesuch am Columbiadamm zum Anlass, neben einem allgemeinen Appell zur Toleranz auch distanzierende Worte zum Islam zu finden und sich damit von seinem Vorgänger zu distanzieren. Während für Christian Wulff der Islam zu Deutschland gehörte, ist sich sein Nachfolger da offenbar nicht so sicher. Zwar sei er neugierig zu erfahren, „wie in Berlin muslimische Kultur möglich ist“, sagt Gauck vor dem Moscheebesuch. Auch habe Berlin ja eine Tradition des „Nebeneinanders“ verschiedener Religionen und Kulturen. Es könne aber „keine Duldsamkeit gegenüber Ideologien geben, die unser Gemeinwesen ablehnen“, fügt er mit Blick auf extremistische Tendenzen an. Zwar sei „Toleranz wichtig“. Zugleich warnte Gauck aber vor „Gleichgültigkeit“ gegenüber Ideologien, die Freiheit und Demokratie ablehnten. Gauck fordert einen selbstbewussten Umgang der Mehrheitsgesellschaft mit anderen Kulturen: „Wer die eigenen Werte achtet, vermag auch die Werte anderer zu achten“, sagt er. Dabei sei es wichtig, auch Trennendes anzusprechen: „Reibung muss nicht gleich Aggressivität bedeuten.“

Nach dem Moscheebesuch bekräftigt er dann seine Position: Die Sehitlik-Moschee, deren Vorsteher er salopp als „Häuptlinge“ bezeichnet, sei ja in einer „traditionellen, nicht nach Berlin gehörenden Architektur“ erbaut. In der Moschee habe er im Gespräch mit Gemeindevertretern allerdings Berliner muslimischen Glaubens erlebt, „die sich ihre Butter nicht vom Brot nehmen lassen“. Ein Gesprächspartner habe Gauck da zum Beispiel gesagt: „Das ist auch unser Land.“ Als ehemaliger Pastor sieht der 72-Jährige seine Sicht bestätigt, dass es „Verbindendes und Trennendes“ mit Muslimen gebe. Dennoch betont er, dass er „Respekt“ vor anderen Religionen habe und sich ja eigentlich mit seinem Vorgänger einig sei – „wenn auch mit anderen Worten“.

Vor dem Moscheebesuch gestand Gauck, der lange in Schöneberg gelebt hat und jetzt in die Dahlemer Dienstvilla des Bundespräsidenten gezogen ist, dass er es „merkwürdig“ finde, die ihm zur Heimat gewordene Stadt in staatstragender Rolle zu besuchen. Überhaupt bringe das Amt „merkwürdige Dinge“ mit sich. Auch mit seiner neuen Wohngegend fremdelt er noch. Vor allem, weil er den Klang der Freiheitsglocke des Schöneberger Rathauses vermisse, die er in seiner alten Wohnung täglich mit Dankbarkeit gehört habe. „Mal sehen, wie es mir da ergeht“, sagt er über sein neues Domizil. „Wenn’s nicht klappt, gehe ich wieder zurück.“ Lars von Törne

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