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Heinz Buschkowsky

© Claudia Keller

Jugendgewalt: Wer sich nicht an Regeln hält, wird umgesiedelt

"Razzien einfach so?" - Neuköllns Bürgermeister Buschkowsky holte sich in Rotterdam Anregungen, wie man gegen Jugendgewalt und Verwahrlosung vorgeht - und staunte nicht schlecht.

Das sollte sich die Polizei in Berlin mal erlauben: eine Wohnung durchsuchen ohne richterlichen Beschluss. In Rotterdam passiert das jeden Tag. Einfach weil die Bezirksverwaltung das Gefühl hat, in einem Haus stimme was nicht. Die Polizei kommt nicht alleine, sie bringt einen Sozialarbeiter mit, einen Vertreter des Stromkonzerns und manchmal den Vermieter. So kann auf einen Schlag kontrolliert werden, ob zu viele und untergetauchte Personen unter der Adresse leben, ob Waffen versteckt sind oder die Stromrechnung bezahlt ist. „Razzien, einfach so?“ Heinz Buschkowsky staunt.

Es ist Tag zwei einer ungewöhnlichen Reise. Neuköllns Bürgermeister hat sich mit einer kleinen Delegation auf den Weg gemacht, um zu schauen, wie die Niederländer verhindern, dass sich Einwanderer oder die eigene Unterschicht in Parallelwelten zurückziehen. Wie sie Familien dazu bringen, ihre Kinder zur Schule zu schicken, die Sprache zu lernen und gute Bürger zu werden, die weder ihre Nachbarn terrorisieren noch sich in der Sozialhilfe einrichten. Denn Buschkowsky, der mit Leidenschaft und gegen alle Political Correctness für seinen Bezirk streitet, will sich nicht damit abfinden, dass immer größere Gruppen der 300 000 Neuköllner „entgleiten“, wie er sagt, dass Nord-Neukölln immer mehr verwahrlost und sich frustrierte Jugendliche radikalisieren.

Rotterdam mit seinen 600 000 Einwohnern ist ein Labor, in dem man sehen kann, wie es bald in ganz Europa sein könnte. Hier stammt bereits heute jeder zweite aus einer Einwandererfamilie, viele kommen aus Marokko, der Türkei oder aus den ehemaligen Kolonialländern, den Antillen oder von den Kapverdischen Inseln. In etlichen Stadtteilen gibt es keine Mehrheitsgesellschaft mehr, hier gehört jeder zu einer Minderheit, auch die alteingesessenen Niederländer. Dass Rotterdamer mit türkischem Namen und geschlitzten Augen selbstverständlich in allen Berufssparten vertreten sind, fällt Buschkowsky und seinen Mitreisenden – Jugendrichterin Kirsten Heisig, Jugendstadträtin Gabriele Vonnekold und Neuköllns Migrationsbeauftragter Arnold Mengelkoch – überall auf. Das Zusammenleben der Minderheiten funktioniert aber nur, wenn sich alle an Regeln halten. Das hat der rechtskonservative Politiker Pim Fortuyn 2002 den Niederländern eingebläut. Damals empörten sich viele. Heute sind die meisten damit einverstanden, dass diese Regeln selbst mit so drastischen Mitteln durchgesetzt werden, dass die Neuköllner Gäste am niederländischen Rechtsstaat zweifeln.

So steht dem Rotterdamer Oberbürgermeister eine eigene Eingreiftruppe zur Verfügung, eine Art private GSG 9. Die „Stadsmariniers“ können jederzeit an Behörden, Parlament und Justiz vorbei „Missstände beheben“, wenn ihnen irgendwo in der Stadt etwas auffällt. Sie können gewalttätige Jugendliche festsetzen, Kinder aus verwahrlosten Wohnungen holen oder aber für die Polizei Sichtachsen ins Laub schlagen, Umweltschutz hin oder her. „Das ist ja Wahnsinn, was die hier machen“, sagt Richterin Kirsten Heisig, die sich in Berlin für die schnellere Bestrafung von jugendlichen Kriminellen stark macht. „So eine Eingreiftruppe und Hausdurchsuchungen ohne richterlichen Beschluss würden in Deutschland gar nicht gehen, sowas verstößt gegen die Gewaltenteilung und öffnet der Willkür Tür und Tor.“

Der Rotterdamer Oberbürgermeister bestimmt außerdem Überwachungszonen, in denen rund um die Uhr jeder kontrolliert wird. Wer seinen Ausweis nicht dabei hat, zahlt 50 Euro Strafe.

Wenn alles nichts hilft, wird der Zuzug in bestimmte Stadtteile gestoppt. Um das weitere Abrutschen von Kiezen zu verhindern, erlaubt das „Gesetz zu Sondermaßnahmen der Großstadtproblematik“ seit 2006, Viertel festzulegen, in die nur Menschen mit Arbeit ziehen dürfen. Die Einschränkung des auch von der EU garantierten Rechts auf freie Wohnungswahl sei nur „minimal eingeschränkt“, steht im Gesetz. Der Schutz der öffentlichen Ordnung rechtfertige dies. Als Heinz Buschkowsky vor drei Jahren ein führen wollte, dass man in Neukölln keinen Wohnberechtigungsschein (WBS) mehr braucht, brach ein Sturm der Entrüstung los. Buschkowsky wollte erreichen, dass die wenigen bürgerlichen Familien, die es nach Neukölln zieht, nicht eine höhere Miete zahlen müssen, weil sie keinen WBS haben. Er wollte dazu beitragen, dass sich der Bezirk sozial mischt. Aber die Stadtentwicklungsverwaltung kassierte seine Maßnahme wieder ein, weil sie die „Einheitlichkeit der Wohnungsbewirtschaftung“ gefährde.

„Die soziale Mischung der Kieze ist in Berlin politisch doch gar nicht gewollt“, sagt Buschkowsky. Er fühle sich oft alleine gelassen, auch von der SPD, seiner eigenen Partei. In Rotterdam würden Integrationsprobleme, aber auch allgemeine Verwahrlosungstendenzen „ganz anders Ernst genommen und angegangen“. Das fängt bei kleinen Dingen an, etwa beim Zebrastreifen. Wer nicht hält, zahlt 50 Euro. Und im Gegensatz zu Berlin, wo es auch viele Verordnungen gibt, werden sie hier auch durchgesetzt.

Weil mehr Personal eingestellt wird und weil die Rotterdamer Behörden, von der obersten Spitze bis zum Mitarbeiter auf der Straße an einem Strang ziehen, wenn es darum geht, Probleme schonungslos zu analysieren und sie schnell und effektiv zu lösen. Zum Beispiel im Umgang mit jugendlichen Kriminellen. Zum Beispiel in Charlois, einem sozialen Brennpunkt im Süden Rotterdams. Vor zehn Jahren war die alte Hafengegend eine No-Go-Area, in der auf einer Fläche wie dem Neuköllner Rollbergkiez zehn Jugendbanden mit bis zu 50 Mitgliedern Straßen und Plätze vermüllten, plünderten und mordeten. Dass es heute nur noch zwei minder gefährliche Banden sind, dass wieder bürgerliche Familien hierherziehen, ist vor allem dem Stadtteilbüro „TIP“ zu verdanken. Der Name „Transfer Informations Punkt“ sagt schon alles: Hier arbeiten der Polizist des Abschnitts mit Vertretern von Schul-, Jugend- und Gesundheitsamt Schreibtisch an Schreibtisch. Informationen über kriminelle Schüler werden direkt ausgetauscht, was in Berlin schon aus Datenschutzgründen nicht möglich wäre, hier aber äußerst effektiv ist.

Fälllt eine Familie auf, zum Beispiel weil sie mit ihrem Baby nicht zu den monatlichen Untersuchungen erscheint, weil ein Sohn Motorräder klaut oder die Tochter mit blauen Flecken zur Schule kommt, wird die Familie besucht und aufdie zentrale Liste der „Risikopersonen“ gesetzt. Die Liste wird von allen eingesehen und gepflegt, die im TIP arbeiten. Nach wenigen Tagen steht der Familie ein Sozialarbeiter zur Seite, der sie bis zu dreimal die Woche besucht. „Ein Traum“, sagt Richterin Heisig, „wenn ich einen Jungkriminellen vor mir habe, fällt es mir schon schwer herauszufinden, auf welche Schule er geht.“

Verweigert eine Familie die Zusammenarbeit, wird die Sozialhilfe gestrichen. Hilft auch das nichts, wird sie in einen anderen Bezirk umgesiedelt – auch wenn nur ein Familienmitglied sich etwas hat zu Schulden kommen lassen. Oft braucht es solch drastische Maßnahmen aber gar nicht. Weil zum Beispiel die Brennpunkt-Schule Zeugnisse nur an die Eltern ausgibt und sie so zwingt, dreimal im Jahr zum Gespräch vorbeizukommen. „Ein dolles Ding“, sagt Buschkowsky beim Besuch in der Kiez-Schule mit 100 Prozent Migrantenanteil. So eine Regelung kann er sich auch für Neukölln vorstellen. Und auch das gefällt ihm: Wenn ein Polizist in Rotterdam einen Schüler morgens auf der Straße trifft und es stellt sich heraus, dass er die Schule schwänzt, bekommt er ein Bußgeld. Als Buschkowsky so etwas in Neukölln einführte, bekam er politisch Prügel. Wo ist das Problem? Die Rotterdamer verstehen das nicht. Hier bekommt nicht nur der Schulschwänzer ein Bußgeld, sondern auch seine Eltern.

„Wir haben in der Stadt wieder eine Norm gesetzt“, sagt der Rotterdamer Oberbürgermeister Ivo Opstelten. „Wir haben Viertel für Viertel wieder in Besitz genommen“. Es klingt martialisch, hat aber gewirkt. In Rotterdam stehe eben die Gesellschaft im Vordergrund, die ihre Regeln systematisch durchsetze. In Berlin werde der einzelne mit seinen Rechten wichtiger genommen, vielleicht zu wichtig, findet Buschkowsky. „Die Rotterdamer zeigen, dass sich ein Kiez umdrehen, dass sich Verwahrlosung verhindern lässt .“ Dazu müssten aber alle, vom Oberbürgermeister bis zum Sozialarbeiter an einem Strang ziehen. „Davon sind wir in Berlin weit entfernt.“ Durch die Erfahrungen der Nachbarn fühlen sich Buschkowsky und Richterin Heisig bestärkt. Sie wollen weiter kämpfen für ein besseres Neukölln, sie werden ihre Kollegen weiter nerven, auf dem kleinen oder großen Dienstweg.

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