zum Hauptinhalt
Die 19-jährige June Tomiak steht auf Platz 15 der Grünen-Landesliste und hat daher den Sitz im Abgeordnetenhaus so gut wie sicher.

© Mike Wolff

Junge Kandidaten bei Berlin-Wahl: Nach dem Abitur geht's ins Parlament

Bei der Berlin-Wahl am Sonntag setzen die Parteien große Hoffnungen auf junge Kandidaten. Wie es zwei von ihnen kurz vor der großen Entscheidung geht.

Onur Bayar ist zufrieden. „Die Beutel gehen gut weg, oder?“, fragt er seine Kumpels und grinst. Der 19-jährige Politiker steht mit vier Freunden schräg gegenüber vom Rathaus Neukölln und verteilt unter strahlend blauem Himmel Beutel mit Flyern, Stift und Parteiprogramm darin. Man kennt ihn hier, Bayar begrüßt einige Passanten mit Handschlag oder Küsschen auf die Wange. Wahlkampf ganz familiär. Doch dann hält eine Frau an und nimmt sich einen Beutel. Als sie die Aufschrift liest, schüttelt sie den Kopf und gibt ihn Bayar zurück. „Mit der CDU stehen Sie auf der falschen Seite.“

Das hört Bayar nicht zum ersten Mal. Mit seinen 19 Jahren ist er einer der jüngsten Kandidaten in diesem Wahlkampf und in der CDU als Neuköllner mit kurdischen Eltern eher die Ausnahme. Beirren lässt er sich trotzdem nicht. Bayar, aufgewachsen im schwierigen Rollbergviertel, glaubt, dass er seiner Partei viel bringen kann. „Ich habe einige Ideen, wie man zum Beispiel die Probleme mit der Jugendkriminalität angehen kann“, sagt er selbstbewusst, kurz bevor es zum Infostand geht. Bayar will in Neukölln für die CDU ein Direktmandat holen.

Onur Bayar (19) aus Neukölln kandidiert bei den Wahlen am Sonntag für die CDU.
Onur Bayar (19) aus Neukölln kandidiert bei den Wahlen am Sonntag für die CDU.

© Maria Fiedler

"Jung" ist Definitionssache

Junge Kandidaten – damit wollen viele Parteien im Wahlkampf punkten. Doch „jung“ ist Definitionssache. Für die SPD beispielsweise sind das alle bis 39 Jahre. Kürzlich gab es ein Pressegespräch, bei dem sich einige der 21 „jungen“ Kandidaten vorstellten – der jüngste war hier der 29-jährige Alexander Ewers, der sich in Reinickendorf um ein Direktmandat bewirbt. Bei den Linken ist es die 30-jährige Anne Helm, die auf Listenplatz 19 ins Abgeordnetenhaus will.

So jung wie Bayar ist aber nur eine: die 19-jährige June Tomiak von den Grünen. Und die ist eigentlich sogar noch ein bisschen jünger – dreieinhalb Monate, um genau zu sein. Tomiak – braune Haare, dunkle Augenbrauen – sitzt einige Zeit vor der Wahl in einem Café in der Birkenstraße. Das ist ihr Kiez, um die Ecke wohnt sie in einer WG. Und bald wird sie vermutlich von hier ins Abgeordnetenhaus pendeln – denn Tomiak hat mit Platz 15 auf der Landesliste der Grünen ihren Sitz dort so gut wie sicher. „Die Verantwortung, dann die ganze Stadt zu vertreten, das ist schon krass“, sagt sie, wirkt dabei aber ganz gelassen.

"Ich wusste: Wenn ich Sachen verändern will, sollte ich Mitglied werden"

Wie kommt man mit 19, kurz nach dem Abitur, ins Abgeordnetenhaus? Tomiak, deren Eltern Lehrer sind, engagierte sich erst als Schülersprecherin, später im Landesschülerausschuss, 2012 fand sie zur Politik. Bei einer Demonstration angestellter Lehrer hörte sie eine Grüne, die über ein ganz anderes Thema referierte. „Das hat mich geärgert.“ Tomiak spazierte also in die Kreisgeschäftsstelle der Grünen und beschwerte sich. Dort riet man ihr, sich in der Grünen Jugend zu engagieren. Und das tat Tomiak, die sich für Umweltpolitik und soziale Gerechtigkeit interessiert. 2015 tritt sie schließlich den Grünen bei. „Ich wusste: Wenn ich Sachen verändern will, sollte ich Mitglied werden“, erzählt sie. Als die Grüne Jugend ihre Wahlempfehlung für die Landesliste abgibt, bekommt Tomiak das Votum. Bei der Landesmitgliederversammlung hält sie eine Rede vor mehr als 800 Leuten. „Ich war superaufgeregt“, sagt sie. Es wird Listenplatz 15.

Respekt hat Tomiak nun vor der organisatorischen Herausforderung. Ein Büro aufbauen, Mitarbeiter einstellen – und nebenbei noch studieren: Kultur und Technik mit Schwerpunkt Philosophie. „Aber das wird supercool.“ Als Abgeordnete will sie sich um Jugendpolitik kümmern. Auch auf andere Themen habe sie als junger Mensch einen eigenen Blick. „Zum Beispiel was das W-Lan in Berlin, die Clubkultur oder die Schulen betrifft.“

Sich engagieren, auch wenn es nichts wird mit dem Direktmandat

Onur Bayar hat im Gegensatz zu ihr keinen sicheren Listenplatz. Er muss am Infostand um jede Stimme kämpfen. Auf Türkisch erklärt er einer Frau, dass er für das Abgeordnetenhaus kandidiert. Die stellt begeistert fest, dass sie ja eine Wahlbenachrichtigung zu Hause hat. „Ich verstehe den Kiez und die Menschen hier“, sagt Bayar später über sich.

Im Gegensatz zu anderen, die auch im Rollbergviertel aufgewachsen sind, ist Bayar nicht auf die schiefe Bahn geraten. Er hat sein Abitur mit 1,4 gemacht, will Medizin studieren. Freunde von früher haben Drogen verkauft, Einbrüche verübt, manche sitzen heute im Gefängnis. Das von der Jugendrichterin Kirsten Heisig eingeführte Neuköllner Modell, nach dem Jugendliche direkt nach der Tat bestraft werden, findet Bayar richtig. „Die Leute nehmen sonst den Staat nicht mehr ernst – und begehen noch mehr Straftaten, bis sie irgendwann mal verurteilt werden.“ Kürzlich wurde Bayar selbst Opfer einer Straftat – man hatte ihm an seinem Auto die Reifen zerstochen. Drinnen lagen seine Wahlplakate. Fast hätte es einen Unfall gegeben. Einschüchtern lassen will sich Bayar davon nicht.

Doch bei allem Engagement: Wahrscheinlich wird es für Bayar nichts mit dem Direktmandat. Bayar möchte trotzdem ein Bürgerbüro aufmachen, Anträge für die BVV schreiben – und vielleicht, so hofft er, klappt es bei der nächsten Wahl mit der Landesliste. Dann ist Bayar ja auch erst 24.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false