zum Hauptinhalt
Schon als Kind lebte die Schauspielerin Jenny Schily in Grunewald, als Erwachsene ist sie in den Stadtteil zurückgekehrt, schon der nahen Bäume wegen. 

©  Mike Wolff

Kiezspaziergang mit Schauspielerin Jenny Schily: Zwischen Witwen und Proletariat in Grunewald

Jenny Schily liebt den Kiez um den S-Bahnhof Grunewald. In einer anderen Ecke Deutschlands wohnen? Ausgeschlossen.

Jenny Schily, Schauspielerin, in warmem Mantel, mit kleiner Tasche, mit breitem Lächeln: „Hallo!“ Pünktlich steht sie neben dem Blumenladen im S-Bahnhof Grunewald. Sie ist ausnahmsweise mit dem Auto gekommen, obwohl sie ja in der Nähe wohnt, aber sie „muss noch was einkaufen, dahinten im Supermarkt“. Dahinten im Supermarkt sieht der Stadtteil unprätentiös aus, nicht so, wie er klingt: Nach Wald. Nach Geld. Nach Witwen mit Capes. Nach Schlosshotel, nach Palais, nach „Millionärskolonie Grunewald“, so wurde er um 1890 herum genannt, als ein Bankenkonsortium dort ein neues Nobelviertel errichtet hatte.

Schily ist hier aufgewachsen, in einer Mietwohnung übrigens, viele der Gründerzeitvillen waren damals aufgeteilt. Man muss kurz anfügen (es ist eh bekannt und soll hier weiter kein Thema sein), dass Schilys Vater der Rechtsanwalt und Politiker Otto Schily ist. Seine 1967 geborene Tochter hat noch in anderen Stadtteilen Berlins gewohnt (immer City-West), hat die Ernst-Busch-Schauspielschule absolviert, war lange Ensemblemitglied an verschiedenen Theatern in Dresden und in Frankfurt, drehte.

Doch sie kam vor ein paar Jahren zurück, gemeinsam mit ihrem Mann, dem Musiker und Komponisten Thomas Kürstner, und zwei Töchtern. Und lebt jetzt wieder in Grunewald, aber „auf der anderen Seite, im proletarischen Teil“. Sie lacht, so habe das ein Freund immer genannt, „das finde ich ganz gut beschrieben!“ Wieso wieder Grunewald? „Ich mag das Disparate, das Unhippe. Und ich mag natürlich den Wald.“

Das Disparate zeigt sich ein kleines bisschen schon da, wo sie Kaffee trinken gehen möchte: „Ein ganz nettes Oma-Café, aber mit moderner Einrichtung.“ Es ist eher eine kleine Bäckerei direkt an der S-Bahn-Trasse, von der Zeit vergessen. Ab und an kommen, wie sich das gehört, Omas herein, eine gelesene Zeitung liegt auf dem Tresen. Schily isst Croissant, trinkt Kaffee, erzählt. Davon, dass sie froh ist, in Charlottenburg zur Schule gegangen zu sein, in einem etwas weniger homogenen Viertel, Schillergymnasium. Davon, dass sie gern hier wohnt, sich zu Hause fühlt, und wenn sie woanders leben würde, „dann aber nicht mehr in Deutschland“.

"Ich werde selten als Schauspielerin erkannt"

Durch den Kiez bewegt sie sich inkognito, oder der Grunewäldler als solcher ist zu höflich, um zu starren. Sogar das kleine Fotoshooting verläuft unauffällig. „Ich werde selten als Schauspielerin erkannt. Es ist eher so ein Zwischenzustand, den ich eigentlich ganz gerne mag. Obwohl die Leute manchmal meinen, mich irgendwoher persönlich zu kennen. Da weiß ich dann oft nicht, was ich sagen soll – und lass es eben ungeklärt ...“ Schily spielt neben vielen Theaterrollen und in Kinofilmen wie Volker Schlöndorffs „Die Stille nach dem Schuss“ oder Uli Köhlers „Schlafkrankheit“ zwar auch oft für Fernsehproduktionen, war aber nie eine wiederkehrende Ermittlerin. Und ihre Filmauswahl ist oft nicht Mainstream, sondern großartiges europäisches Kino, das zu selten gezeigt/geguckt wird: In Stina Werenfels’ sensibler Schweizer Theateradaption „Dora oder die Sexuellen Neurosen unserer Eltern“ mit Lars Eidinger und Victoria Schulz spielte sie 2015 die Mutter einer geistig gehandicapten jungen Frau, die vom sexuellen Erwachen der Tochter überrascht wird. Und zwei Jahre vorher arbeitete sie mit dem Regisseur Bastian Günther und Ulrich Tukur für Günthers außergewöhnliches Isolationsdrama „Houston“.

Der Kaffee ist ausgetrunken, Schily, den Tabakbeutel schon in der Hand, geht vor die Tür und den kleinen Weg wieder hinunter. Die von ihr favorisierte Pizzeria, nächste Station, hat zwar schon geöffnet, aber es ist zu früh am Tag für Teigfladen. Also nur Espresso, Mineralwasser und eine Selbstgedrehte am hohen Holztisch vor der Tür, mit Blick auf einen kopfsteingepflasterten Platz, über den ab und an Menschen mit Tannenzweigen gehen. Oder schlendern. Jedenfalls nicht hasten. Schily, die eine hohe Grundenergie hat und schnell denkt, spricht und versteht, entspannt sich unter ein paar Grunewalder Wintersonnenstrahlen. Das Gespräch mäandert zu Serien, darüber redet sie gern, sie ist just zum ersten Mal als Zuschauerin von einer Serie angefixt worden, deren Dramaturgie sich über einen längeren Zeitraum erstreckt – die Actionserie „Banshee“. Sie gibt zu, dass sie plötzlich ganz gut verstehen kann, wie man süchtig herumtigert, sogar davon träumt. Die Intensität des Schauspiels begeisterte sie, sie fühlte sich angezogen – „obwohl dieser testosterongesteuerte Plot eigentlich gar nicht mein Ding ist“. Aber immer und jede Serie gucken: „Da gibt es zu viel anderes, was mich interessiert.“

Das Konzept des "Mahnmals Gleis 17" gefällt ihr

Es geht weiter zum „Mahnmal Gleis 17“. Vor fast 20 Jahren wurde an den Gleisen des Bahnhofs ein Denkmal eingeweiht – direkt an der Bahnsteigkante sind die Daten, die Anzahl der Deportierten, der Bestimmungsort jedes Transports eingelassen worden, der zwischen 1941 und 1945 von Berliner Bahnhöfen aus in den Tod führte. Die Verantwortung, die die Deutsche Reichsbahn am Tod Unschuldiger trug, soll damit vergegenwärtigt werden. Es ist ruhig am Bahnsteig, die Vegetation wächst ungerührt. Schily mag das Konzept, hat auch schon bei einer Gedächtnisveranstaltung mitgewirkt. Sie denkt politisch, sowieso.

Immer noch ist es sonnig, Schily will zum Abschluss eine kleine Runde im Wald drehen. Durch eine Horde Schulkinder mit Warnwesten geht es auf einen Waldweg, Schily trägt flache Schuhe, Matsch kann ihr nix. Sie redet über das Spiel, für sie Leidenschaft und Beruf, darüber, dass eine lange Vorbereitungszeit es ermöglicht, selbstverständlicher mit den anderen zu agieren. Dass man oft von Take zu Take immer mehr und mehr gibt. „Und dann“, sagt sie, während ein riesiger Hund mit Spaziergänger dran sie streift, „weiß man irgendwann nicht mehr, was man noch tun soll, und lässt alles sein. Das kann unter Umständen richtig gut sein, weil man nichts mehr ‚will‘ oder ‚macht‘, sondern einfach ‚ist‘.“

Man hätte weiterreden können und wollen, allein die Zeit macht nicht mit. Selbst in Grunewald, wo die Uhren anders gehen. Schily bedankt und verabschiedet sich, geht zum Auto auf dem Supermarktparkplatz. Und lässt die Villen links liegen.

In unserer Reihe "Eine Runde Berlin - Streifzüge durch die Kieze" bereits erschienen: Mit Autorin Jana Hensel in Prenzlauer Berg und am Fernsehturm. Mit Sängerin Inga Humpe am Spree-Ufer in Mitte. Mit Weltenbummlerin Heidi Hetzer im Opern-Viertel. Mit DJ Alfred Heinrichs durch Lichtenberg. Mit Lüül durch Eichkamp in Westend. Mit dem Hauptmann-Darsteller Jürgen Hilbrecht durch Köpenick. Mit Sängerin Elif durch Moabit. Mit Autorin Emilia Smechowski durch Kreuzberg. Mit dem Botschafter des Vatikans an der Hasenheide entlang. Mit dem SPD-Abgeordneten Joschka Langenbrinck durch das südliche Neukölln. Mit Berlinale-Chef Dieter Kosslick zwischen Hansaviertel und Moabit. Mit Prenzlschwäbin Bärbel Stolz durch, na klar, Prenzlauer Berg. Mit Autor und Kurator Dmitrij Belkin durch das Bayerische Viertel. Mit Gayle Tufts durch Schöneberg. Mit Violinist Daniel Hope durch die City West. Mit dem Fotografen Andreas Mühe durch Niederschönhausen.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false