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Berlin: Kreuzberger Blumengroßmarkt ist bald Geschichte

Der Senat hat den Umzug zum Großmarkt an der Beusselstraße beschlossen. Der Bezirk reagiert überrascht und verärgert

Im Sommer 1984 schien die Sache so gut wie sicher: Der Blumengroßmarkt in der Kreuzberger Friedrichstraße, West-Berlins munter sprudelnder Born floraler Freude, wird auf den Großmarkt in der Moabiter Beusselstraße umziehen. Fast ein Jahrzehnt währte die Diskussion um einen neuen Standort da schon, eine für Berliner Verhältnisse vergleichsweise kurze Zeitspanne, die nunmehr, angesichts des offenbar nahenden Beschlusses, zu Ende zu gehen schien.

Ein Irrtum. Berlins Blumenpracht kommt noch immer aus der Friedrichstraße, aber auch der jahrzehntealte Beussel-Plan wurde wieder und wieder recycelt, mündete zu guter Letzt kürzlich in einen Senatsbeschluss: Der Blumengroßmarkt wandert 2009 in die Beusselstraße. Zwar hat es danach absehbaren Protest aus dem Bezirksamt, auch Widerspruch von Händlerseite gegeben, alles andere wäre erstaunlich. Aber man muss sich dennoch mit dem Gedanken vertraut machen, auf eine weitere Berliner Tradition bald zu verzichten.

Das fällt Baustadtrat Franz Schulz (Grüne) schwer: „Mit uns hat niemand über die Schließung gesprochen. Wir sind vom Senatsbeschluss überrascht.“ Schulz fordert, dass man zumindest das Abgeordnetenhaus zum Umzug befragen muss: „Es handelt sich schließlich nicht um irgendein kleines Unternehmen.“ Der Standort Friedrichstraße sei wegen der zentralen Lage und der kurzen Wege für Händler und Lieferanten ideal.

Die Zahl der Beschwerden über zu viel Lärm durch die an- und abfahrenden Lieferfahrzeuge in den frühen Morgenstunden tendiere mittlerweile gegen null, weil man ein Parkhaus gebaut habe, das sich wie ein schützender Mantel um den Markt lege und den Schall schlucke. Schulz befürchtet nun, dass der Liegenschaftsfonds das Gelände verkaufen soll.

Die Großmarkt-Tradition ist fast 120 Jahre alt. Am 3. Mai 1886 eröffnete nahe dem damaligen Belle-Alliance-Platz, zwischen Friedrich- und Lindenstraße, die Markthalle II, bald Lindenhalle genannt. 120 Meter lang, 50 Meter breit – der Bau, Teil eines Programms, war eine der größten Markthallen der Stadt, entworfen von Stadtbaurat Hermann Blankenstein. Die Stadt verdankte ihm etwa auch die Eisenbahnhalle, die Marheinekehalle, die Villa Kreuzberg und über ein Dutzend Schulen.

Schon in dieser Urhalle handelten 34 der 550 Standinhaber mit Blumen, wegen der guten Heizung kamen bald auch die ersten Großhändler. Eigens für die Blumen wurde 1922 eine weitere Halle angebaut, von der lockeren Berliner Schnauze bald „Schafstall“ genannt und bereits 1934 durch die „Blaue Halle“ ersetzt. Bei Kriegsbeginn hatte sich die Lindenhalle zum bedeutendsten Blumengroßmarkt Deutschlands entwickelt, kurz vor Kriegsende wurde sie zerbombt.

Es folgten zwei Jahrzehnte der Provisorien, in Gebäuden, die mehr Gewächshäusern glichen, bedroht durch die Konkurrenz der Zentralmarkthalle am Alexanderplatz, was sich mit dem 13. August 1961 erledigte. Erst zwei Jahre später, nach längerem Hin und Her, wurde mit dem Bau einer neuen Halle begonnen. Die Feier der Grundsteinlegung am 25. November 1963 war weit mehr als der Beginn einer Baumaßnahme. Es war die Zentralfeier für gleich sieben Grundsteinlegungen öffentlicher Projekte – und sie fand am selben Tag statt, an dem Kennedy begraben wurde. „Trotzdem und gerade“, wie Bausenator Rolf Schwedler in seiner Ansprache betonte, nicht ohne auf den von Kennedy vermittelten Mut hinzuweisen, „mit noch größerem Optimismus unsere Arbeit fortzusetzen.“ Auch der Glaube an die baldige Wiedervereinigung wurde beschworen.

14 Monate später, am Vorabend der Grünen Woche 1965, konnte der Neubau bezogen werden, erfüllte ein Jahrzehnt den ihm zugewiesenen Zweck, bis der ganze Standort zur Disposition gestellt wurde – Beginn einer Diskussion, in der sogar die Idee auftauchte, die damals noch am Halleschen Ufer untergebrachte Schaubühne in den Blumengroßmarkt zu verlegen. Alle Windungen der Marathondebatte hat der Blumengroßmarkt überstanden, wurde sogar 1998 noch einmal umgebaut, bietet derzeit 30 Großhändlern Raum, die täglich bis zu 700 Kunden haben. Nun aber naht das Ende.

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