zum Hauptinhalt

Kriminalität: Fall Sürücü kommt zu den Akten

Der Mord an der 23-jährigen Deutschtürkin Hatun Sürücü wird wohl nicht mehr neu verhandelt, weil die Türkei die älteren Brüder nicht ausliefern will.

Von Sabine Beikler

Der Mord an der 23-jährigen Deutschtürkin Hatun Sürücü wird voraussichtlich nicht mehr neu verhandelt. Das erfuhr der Tagesspiegel aus Justizkreisen. Hatun Sürücü wurde am 7. Februar vor vier Jahren wegen ihres westlichen Lebensstils von ihrem jüngsten Bruder Ayhan erschossen. Dieser verbüßt seit 2006 eine mehrjährige Haftstrafe wegen Mordes. Im Sommer 2007 hatte der Bundesgerichtshof im Revisionsverfahren die Freisprüche gegen zwei mitangeklagte Brüder von Hatun Sürücü aufgehoben. Die Berliner Staatsanwaltschaft hat daraufhin gegen Alpaslan und Mutlu Sürücü, die sich in der Türkei aufhalten, internationale Haftbefehle über Interpol beantragt. Die Türkei wird die Brüder dem Vernehmen nach jedoch nicht ausliefern. Alpaslan Sürücü ist türkischer Staatsbürger – die Türkei kann die Auslieferung eigener Staatsangehöriger ohne nähere Angaben ablehnen. Mutlu Sürücü soll nach Tagesspiegel-Informationen einen deutschen und einen türkischen Pass haben: Er gilt für die Türkei damit ebenfalls als eigener Staatsbürger. Die Staatsanwaltschaft lehnte eine Stellungnahme auf Anfrage dazu ab.

Die in Berlin aufgewachsene Hatun Sürücü war mit einem Cousin zwangsverheiratet worden, später versuchte sie gegen den Willen ihrer Familie, mit ihrem Sohn Can ein unabhängiges Leben zu führen. Die Berliner Anwältin Regina Kalthegener kennt viele solcher Fälle. „Das sind schwerste Menschenrechtsverletzungen“, sagt sie – und fordert dafür einen eigenen Straftatbestand (siehe Kasten). Besonders wichtig seien präventive Angebote und eine gute Vernetzung der Behörden. „Bedrohten Frauen muss auf kurzem Weg geholfen werden“, sagt die Anwältin.

In Berlin gibt es vielfältige Ansätze, Fällen wie dem Sürücü-„Ehrenmord“ vorzubeugen. Zehn solcher versuchten oder begangenen Delikte sind in Berlin seit dem Jahr 2004 bekannt geworden. Vielfach wollten die zwangsverheirateten Frauen aus ihren Beziehungen ausbrechen – und sollten dann „bestraft“ werden. Nach Auskunft von Frauensenator Harald Wolf (Linke) wurden 2002 noch 220 drohende oder vollzogene Zwangsehen in Berlin bekannt. 2005 waren es 330, 2007 dann 378 Fälle, dabei waren auch zwölf junge Männer betroffen.

„Die Fälle nehmen statistisch zu, weil das Thema aus der Tabuzone geholt wurde und es mehr junge Frauen wagen, sich an Beratungsstellen zu wenden“, sagt Sozialsenatorin Heidi Knake-Werner (Linke). Auch bei nichtmuslimischen Migranten aus patriarchalisch geprägten Herkunftsländern würden zunehmend Fälle bekannt. So gibt es dem Bürgermeister von Friedrichshain-Kreuzberg, Franz Schulz (Grüne), zufolge Zwangsehen auch bei Berlinern, die aus dem streng katholischen Süden Italiens kommen, oder bei thailändischen Berlinern katholischen Glaubens. In seinem Bezirk hat der Arbeitskreis Zwangsehe bereits Unterrichtsmaterialien für Schulen erarbeitet.

Die Gründe, warum Eltern ihre Mädchen gegen deren Willen in die Hände eines Ehemannes geben, sind laut Irina Leichsenring vom Mädchennotdienst vielfältig: „Sie wollen die Tochter bei schlechten Schulnoten gut versorgt wissen, oder sie denken: Wenn der Mann ,einer von uns‘ ist, gibt es keine Probleme.“

Dringend nachgebessert werden muss laut Irina Leichsenring und Harald Wolf bei der Unterbringung von jungen Frauen über 18 Jahren, hier laufe die Finanzierung über die Jugendhilfe viel zu schleppend und bürokratisch.

Zur Startseite