zum Hauptinhalt
Viel Streit gab es um eine Studie zur Jugendgewalt. Nun liegen die Ergebnisse vor.

© dpa

Kriminalitätsstatistik: Beim Schwänzen und Kiffen liegen Berlins Schüler vorne

Bei den Gewaltdelikten gibt es bei Berliner Jugendlichen nur wenige Unterschiede zum Bundestrend. Im Graffitisprühen, Schuleschwänzen und Cannabisrauchen liegen sie aber über dem Durchschnitt.

Berlins Schüler leben in Bussen und Bahnen gefährlich. Im Nahverkehr werden sie doppelt so häufig Opfer von Gewalt wie ihre Altersgenossen im Bundesgebiet. Insgesamt findet hier jeder fünfte Übergriff statt. Berlins Schüler sind durchschnittlich erst 13 Jahre alt, wenn sie das erste Mal Gewalt erleben oder begehen – und damit ein halbes Jahr jünger als im Bundesschnitt. Dies ergibt sich aus einer Befragung von mehr als 3000 Neuntklässlern durch das Kriminologische Forschungsinstitut Niedersachsen. Am Mittwoch wurden die Ergebnisse vorgestellt.

Etwa jeder sechste Berliner Jugendliche ist in den letzten zwölf Monaten nach einer Befragung Opfer von Kriminalität geworden. 17,9 Prozent der Jugendlichen gaben an, sie seien beraubt, erpresst oder geschlagen worden. Im Bundesdurchschnitt waren es 16,8 Prozent. 12,8 Prozent der Befragten, also etwa jeder achte, wurde im letzten Jahr Opfer von Körperverletzung. Damit liegt Berlin gleichauf mit anderen Großstädten und nur knapp über dem Bundesschnitt. „Aufgrund der polizeilichen Kriminalitätsstatistik hatten wir viel schlimmere Befunde erwartet“, sagte der Leiter der Studie, der Kriminologe und ehemalige niedersächsische Justizminister Christian Pfeiffer. Offenbar seien die Zahlen so hoch, weil die Anzeigebereitschaft in Berlin höher sei als im Bundesgebiet. In diesem Zusammenhang lobte Pfeiffer auch die besonders intensive schulische Präventionsarbeit der Berliner Polizei. Davon zeugten auch die rund 200 Kooperationen.

„Es gibt positive Befunde und nicht primär Kritisches und Negatives zu berichten, etwa, dass Berlin am allerschlimmsten ist“, sagte Christian Pfeiffer. Sinn der Studie sei, die tatsächlichen Zahlen von Kriminalität und Gewalt zu erforschen, so die Wissenschaftler. Die Kriminalstatistiken der Polizei würden ein zu großes Dunkelfeld offen lassen. „Wir als Kriminologen trauen diesen Statistiken nicht. Da taucht nur das auf, was angezeigt wird, etwa nur ein Viertel der Taten. Dreiviertel der Taten bleiben unentdeckt.“

Auch bei Ladendiebstählen, Sachbeschädigungen und Drogenhandel fällt Berlin nicht aus dem Rahmen: Die Berliner Schüler machen hier ähnliche Angaben wie ihre 45 000 Altersgenossen im Bund, die vor drei Jahren befragt worden waren. Zu den Bereichen, in denen Berlin schlechter dasteht, gehört das Graffitisprühen: Zehn Prozent der Berliner gaben zu, schon einmal zur Spraydose gegriffen zu haben, im Bund waren es nur sechs Prozent.

Negative Ausschläge nach oben gibt es hier auch beim Schuleschwänzen und beim Konsum von Gewaltfilmen. In Berlin gaben 43,4 Prozent der Schüler an, häufig Gewaltfilme zu sehen (Bund: 35,5 Prozent). Beim Mehrfachschwänzen lag die Quote bei knapp 60 Prozent (Bund: 50 Prozent). Sowohl große Schuldistanz als auch hoher Gewaltfilmkonsum korrespondieren laut Pfeiffer mit der Gewaltbereitschaft. Einen negativen Spitzenplatz nimmt Berlin auch beim Cannabiskonsum ein: Dass sie mehrfach pro Monat kiffen, gaben in Berlin 6,7 Prozent der Neuntklässler an (Bund: 4,1 Prozent).

Nicht neu ist der Befund, dass Schüler mit Migrationshintergrund überproportional häufig gewalttätig werden. In der Befragung gaben zehn Prozent der deutschstämmigen Jugendlichen an, im vergangenen Jahr eine Gewalttat begangen zu haben. Bei den Schülern, die aus der Ex-Sowjetunion stammen, waren es 17 Prozent, bei den türkischstämmigen 14 Prozent.

Pfeiffer betonte allerdings, dass dies mit den schwierigeren Lebensbedingungen der Migranten zusammenhänge: Bei gleichen familiären Situationen unterscheide sich die Delinquenz nicht. Er lobte zudem, dass in keinem anderen Bundesland die türkischen Schüler schulisch so gut integriert seien wie in Berlin. Die Entscheidung, die Hauptschulen abzuschaffen und auf Ganztagsschulen zu setzen, sei richtig gewesen. Im Vorfeld der Untersuchung hatte es heftige Proteste gegeben: Der Landeselternausschuss nannte die Befragung tendenziös und rief Eltern zum Boykott auf. Der Migrationsrat Berlin und Brandenburg sprach von wissenschaftlich verbrämter rassistischer Denkart.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false