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Klaus Wowereit mit seinem Koalitionspartner Frank Henkel.

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Update

Künftige Koalition: Was Rot und Schwarz beschlossen haben

SPD und CDU haben die letzten Knackpunkte auf dem Weg zu einem Regierungsbündnis aus dem Weg geräumt. Auch für ein NPD-Verbot will man sich einsetzen.

„Das Werk ist vollbracht", sagte Berlins Regierender Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) nach einem nächtlichen Verhandlungsmarathon am Mittwoch in Berlin. Das Regierungsbündnis werde sich besonders um die Sozialpolitik kümmern, das habe auch die CDU mit ihrem Landeschef Frank Henkel zugesagt. "Wir wollen, dass Berlin reicher wird und sexy bleibt", sagte Wowereit. Henkel sprach von einem "guten Ergebnis für beide Parteien".

Bereits am Dienstagnachmittag waren SPD und CDU mit einer mehr als einstündigen Verspätung zur Schlussberatung im Roten Rathaus zusammengekommen. Neben inhaltlichen Streitfragen stand auch die Vergabe der acht Senatorenämter an. Als Regierender Bürgermeister gilt Klaus Wowereit (SPD) als gesetzt.

Die SPD wird die vier Ressorts Finanzen, Bildung/Jugend/Wissenschaft, Stadtentwicklung/Umwelt und Arbeit/Integration/Frauen bekommen. Die CDU wiederum wird die vier Ressorts Inneres/Sport, Wirtschaft/Technologie/Forschung, Gesundheit/Soziales sowie Justiz/Verbraucherschutz besetzen. Namen nannten die künftigen Koalitionäre aber noch nicht.

Zöllner, Körting und auch von der Aue gehen

Es gibt Indizien, wonach die bisherige Justizsenatorin Gisela von der Aue (SPD) der neuen Landesregierung nicht mehr angehören wird. Die 62-Jährige habe sich bereits von engen Mitarbeitern verabschiedet, berichtete die "Bild"-Zeitung.

Definitiv nicht mehr dem Kabinett angehören werden Bildungssenator Jürgen Zöllner und Innensenator Ehrhart Körting (beide SPD). Zöllner hatte bereits vor den Wahlen am 18. September seinen Rückzug aus der aktiven Politik erklärt. Nach der Aufnahme der Koalitionsgespräche zwischen SPD und CDU verriet dann auch der 69-jährige Körting, dass er nach zehn Jahren im Amt seinen Posten räumen werde.

Neben den Personalien mussten die Unterhändler auch noch eine Liste mit inhaltlichen Streitfragen abarbeiten. Was sie beschlossen haben - im Überblick:

A 100

Bei jenem Projekt, an dem vor wenigen Wochen die Koalitionsgespräche zwischen SPD und Grünen gescheitert waren, zeigen sich die künftigen Koalitionspartner demonstrativ einig. Man werde Vorhaben wie den Ausbau der Stadtautobahn A 100 „mutig angehen“, sagte CDU-Chef Frank Henkel am Mittwoch. Die Grünen hatten das Projekt zuvor kategorisch abgelehnt, der Streit darüber war der zentrale Grund, wieso sich die SPD für Koalitionsverhandlungen mit der CDU entschlossen hatte. Bereits vor der abschließenden Verhandlung in der Nacht zu Mittwoch hatten sich die beiden Partner in spe auf die Grundlinien in Sachen A 100 geeinigt. Demnach wird die Autobahn vom Dreieck Neukölln bis zum Treptower Park verlängert (Bauabschnitt 16). Darüber hinaus wird vor allem auf Wunsch der CDU der Bauabschnitt 17, der eine Verlängerung der Stadtautobahn bis zur Frankfurter Allee vorsieht, ebenfalls geprüft und im Bundesverkehrswegeplan sichergestellt. Der Ausbau des 16. Teilabschnitts soll voraussichtlich im kommenden Jahr beginnen, die Kosten, die derzeit mit 420 Millionen Euro veranschlagt sind, übernimmt größtenteils der Bund. Sowohl SPD als auch CDU sehen in dem Ausbau der Stadtautobahn eine der wichtigen Grundlagen für die wirtschaftliche Entwicklung der Stadt, die Wowereit und Henkel gestern als eines ihrer zentralen Ziele beschrieben. „Berlin soll wirtschaftlich wieder auf eigenen Füßen stehen“, sagte Henkel. Auch für die Nachnutzung des ehemaligen Flughafens Tempelhof und des bald ebenfalls vom Flugverkehr abgeschnittenen Flughafens Tegel will die neue Landesregierung zügig gemeinsame Konzepte erarbeiten.

City Tax und Steuern

CDU und SPD wollen den von der rot-roten Koalition begonnenen Konsolidierungskurs fortsetzen und eine Neuverschuldung ab 2016 ausschließen. Damit wollen sie der so genannten Schuldenbremse entsprechen. Um die Einnahmen des hoch verschuldeten Landes zu verbessern, wollen die künftigen Koalitionspartner vor allem auf zwei Wegen mehr Geld einnehmen: Die Grunderwerbssteuer, die beim Kauf von Immobilien fällig wird, erhöht sich von derzeit 4,5 auf 5 Prozent. Und es wird eine „City Tax“ eingeführt, also eine Touristenabgabe. Die soll fünf Prozent der Kosten von Hotelübernachtungen betragen. Die neue Abgabe soll nach jetziger Planung ab dem 1. Januar 2013 gelten. Bis dahin wollen die Koalitionäre die noch offenen rechtlichen Fragen klären. Die „City Tax“ soll einerseits allgemein dem Haushalt zugute kommen, andererseits soll mit dem Geld die „touristische Infrastruktur“ der Stadt ausgebaut werden, was wiederum zu höheren Besucherzahlen und so zu mehr Einnahmen führen soll. Auf eine andere Einnahmequelle verzichtet die künftige Landesregierung hingegen: Das seit langem umstrittene Straßenausbaubeitragsgesetz wird auf Drängen der CDU abgeschafft. Und zwar „schnellstens“, wie CDU-Chef Henkel am Mittwoch sagte. Dann können künftig Anwohner nicht mehr zur Kasse gebeten werden, wenn vor ihrem Haus Straßen ausgebaut werden. Die bisherige Regelung hatte vor allem am Stadtrand viel Widerspruch provoziert.

Lesen Sie auf Seite 2, welche Einigung es bei S-Bahn, Landesbibliothek, Mindestlohn, Neuen Wohnungen, NPD-Verbot und in der Schulpolitik gab.

Regierender Bürgermeister Klaus Wowereit, der Berliner SPD-Chef Michael Müller und CDU-Verhandlungsführer Frank Henkel bei der letzten Runde der Koalitionsverhandlung.
Regierender Bürgermeister Klaus Wowereit, der Berliner SPD-Chef Michael Müller und CDU-Verhandlungsführer Frank Henkel bei der letzten Runde der Koalitionsverhandlung.

© dpa

S-Bahn

Kaum ein Thema hat die Berliner in den vergangenen Jahren so sehr verärgert wie die Zustände bei der S-Bahn. Ständige Verspätungen, Ausfälle und ausgedünnte Fahrpläne machten die S-Bahn, die täglich rund eine Million Fahrgäste befördert, zu einem unzuverlässigen Verkehrsmittel. CDU und SPD wollen deswegen erreichen, dass schnellstmöglich neue Fahrzeuge angeschafft werden können und Klarheit über den Betreiber nach dem Auslaufen des S-Bahnvertrags 2017 herrscht. Einig sind sich die Koalitionäre in dem Punkt, dass der Betrieb in einer Hand bleiben soll. Aus diesem Grund wollen sie zuerst ausloten, ob Verhandlungen mit der Deutschen Bahn über eine Übernahme der S-Bahn durch das Land Berlin möglich sind. Das hat die Bahn bislang stets abgelehnt. Dann will die Koalition prüfen, ob das gesamte S-Bahn-Netz ausgeschrieben werden kann. Auch diese Option ist nach höchstrichterlicher Rechtsprechung nicht wahrscheinlich. Deswegen plant Rot-Schwarz, ab dem kommenden Jahr einen Teil des Streckennetzes auszuschreiben. Die Koalitionäre sind dabei der Auffassung, dass die Bahn gute Chancen hat, bei der Ausschreibung erneut zum Zug zu kommen.

Landesbibliothek

Dieses Projekt ist dem Regierenden Bürgermeister Klaus Wowereit schon seit Jahren eine Herzensangelegenheit. Jetzt hat er es endlich durchgesetzt: Berlin bekommt eine neue Zentral- und Landesbibliothek. Gebaut werden soll sie am Rande des Tempelhofer Felds. Die Bibliothek ist zudem das größte Bauprojekt, das Berlin aus seinem eigenen Haushalt bestreitet. 250 Millionen Euro sind veranschlagt; die Koalitionäre sind sich einig, dass ein Ausbau der alten Standorte Amerika-Gedenkbibliothek und Breite Straße deutlich teurer wäre. Ein Zeitplan ist noch nicht verabredet; Wowereit möchte die Realisierung aber noch in dieser Legislaturperiode umsetzen. Gleichzeitig befürworten SPD und CDU den Bau einer Kunsthalle, wenn sich denn ein privater Investor findet. Deswegen sind die Verabredungen im Koalitionspapier entsprechend vage. Ein möglicher Standort wäre am Humboldthafen. Wowereit wollte die Kunsthalle schon bei Rot-Rot durchsetzen. Die bisherige Koalition strich ihm aber das Projekt aus Kostengründen.

Mindestlohn

Beim Thema Mindestlohn konnte Rot-Schwarz nur einen kleinen gemeinsamen Nenner finden. Man einigte sich darauf, die Vergabe öffentlicher Aufträge daran zu knüpfen, dass die Unternehmen einen Mindestlohn von 8,50 Euro zahlen. Bisher lag die Grenze bei 7,50 Euro. In diesem Punkt konnte sich die SPD durchsetzen. Aber einen weiteren Vorstoß, sich auch auf Bundesebene bei diesem Thema zu engagieren, wird es nicht geben. Da derzeit dort viel im Fluss ist, wollte man sich jetzt nicht verkämpfen, nur um eine Bundesratsinitiative ankündigen zu können. Bei der Arbeitsmarktpolitik setzt der künftige Senat ganz klar die Schwerpunkte darauf, Beschäftigung auf dem ersten Arbeitsmarkt zu fördern. Zu diesem Zweck sollen Vermittlungsoffensiven gestartet werden; die Jobcenter werden mehr Vermittler erhalten. Der sogenannte öffentliche Beschäftigungssektor, in dem sozialversicherungspflichtige Jobs subventioniert werden, wird zum Auslaufmodell.

Neue Wohnungen

In den vergangenen Monaten haben Klagen und öffentliche Proteste wegen der geringen Zahl bezahlbarer Wohnungen vor allem in der Innenstadt deutlich zugenommen. Dies wurde vor allem dadurch verschärft, dass viele ehemalige Sozialwohnungen durch den Wegfall der Fördergelder zu Marktpreisen vermietet werden. Diesem Problem will die künftige Landesregierung auf zwei Wegen begegnen. Zum einen sollen die landeseigenen Wohnungsbaugesellschaften angehalten werden, ihren Bestand von derzeit 270 000 auf 300 000 Wohnungen zu erhöhen, um so vor allem Mietern mit geringen Einkommen mehr Angebote machen zu können. Das kann durch Zukauf oder Neubau geschehen. „Die Wohnungsbaugesellschaften sind aufgefordert, kreativ zu werden“, sagte Wowereit. Zum anderen soll es Investoren – öffentlichen wie privaten – erleichtert werden, Grundstücke vom Land zu erwerben, um darauf Wohngebäude zu bauen. Bei diesem Punkt waren SPD und CDU bis vor kurzem allerdings unterschiedlicher Meinung. Die SPD hatte Zweifel daran, wieweit man von Privatinvestoren verbindliche Verpflichtungen erwarten kann, wenn man ihnen beim Grundstückskauf entgegenkommt. Nun hat man sich offenbar auf eine Liegenschaftspolitik geeinigt, die privaten Unternehmern entgegenkommt, wenn die im Gegenzug den Bau auch von günstigen Mietwohnungen garantieren. Konkrete Programm habe man dazu aber noch nicht erarbeitet, sagte Wowereit.

NPD-Verbot

Schon bevor in der vergangenen Woche die Ausmaße des rechtsextremen Terrors in der Bundesrepublik bekannt wurden, hatten sich CDU und SPD bereits Ende Oktober darauf verständigt, im Bund auf ein NPD-Verbot hinzuwirken. Diese Linie vertritt Wowereit gemeinsam mit dem scheidenden Innensenator Ehrhart Körting (SPD) seit Jahren. Wowereit hält es für inakzeptabel, „dass eine Partei mit menschenverachtender Ideologie an Wahlen teilnimmt und mit der Wahlkampfkostenerstattung noch finanziell belohnt wird“. In den Koalitionsvereinbarungen heißt es jetzt, dass man ein „rechtssicheres Verbot der verfassungsfeindlichen NPD“ anstrebe. Gleichzeitig will Rot-Schwarz auch an Projekte gegen Rechtsextremismus festhalten und diese weiter fördern – beispielsweise über das Landesprogramm gegen Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus. Aber in der Vereinbarung wird auch dem Linksextremismus der Kampf angesagt und ein „aktives Eintreten“ dagegen angekündigt. Das ist ein Punkt, der gerade den Christdemokraten besonders wichtig ist. Ihr Spitzenkandidat Frank Henkel, der voraussichtlich neuer Innensenator wird, hatte ja immer wieder linksextremistische Aktivitäten wie Autobrandstiftungen und Anschläge auf Bahneinrichtungen in den Mittelpunkt des Wahlkampfes gestellt.

Schulen

Wer als neuer Lehrer auf eine Beamtenstelle spekuliert, muss dies auch künftig in anderen Bundesländern versuchen. Im Streit um die Verbeamtung von Pädagogen setzte sich die SPD gegen die CDU durch, die das gefordert hatte, um die Arbeit an Berlins Schulen attraktiver zu machen. Nach Ansicht Wowereits würden bei einer neuen Verbeamtungswelle die Nachteile gegenüber den Vorteilen überwiegen. Vor allem durch mögliche rückwirkende Rentenansprüche auch von bereits beschäftigten Lehrern würden zu große finanzielle Risiken auf das Land zukommen. Da sei es sinnvoller, die Arbeit mit anderen Maßnahmen aufzuwerten, zum Beispiel durch die kürzlich angehobene Eingangsbesoldung. „Das hat die Situation sehr entspannt“, sagte Wowereit. Generell setzt die künftige Koalition auf die Fortsetzung der in den vergangenen Jahren eingeführten Schulstrukturreformen. SPD und CDU haben sich auf einen „Berliner Schulfrieden“ geeinigt, wie Wowereit es nennt. „Die Schulen brauchen Verlässlichkeit.“ Die Gymnasien bleiben erhalten, ebenso die bisher auf freiwilliger Basis eingerichteten Gemeinschaftsschulen. Das jahrgangsübergreifende Lernen von Erst- und Zweitklässlern (JüL) wird freiwillig und hängt von der Entscheidung der jeweiligen Schulkonferenzen ab. Freiwilligkeit und Wahlmöglichkeiten sind auch für Schüler mit besonderem Förderbedarf das Ziel: Einerseits sollen sie unter dem Stichwort „Inklusion“ so oft wie möglich auf Regelschulen gehen und dort in die Klassen integriert werden, sagte Henkel. Andererseits soll auch das bisherige Angebot von Sonderschulen erhalten bleiben. Die Kontinuität bei der Schulbildung wird auch dadurch bekräftigt, dass für die Schulen weiterhin ein SPD-Senator zuständig sein wird – wer, ist noch offen.

Wowereit ist froh, nicht mit den Grünen zu koalieren

Gefragt, welche besonderen Wahlversprechen der CDU sich in der Koalitionsvereinbarung wiederfinden, zählte Frank Henkel unter anderem auf: 250 zusätzliche Polizisten, Umstellung des jahrgangsübergreifenden Lernens (JüL) auf freiwillige Teilnahme der Schulen, volle Unterstützung für Großprojekte wie den Ausbau der Stadtautobahn A 100 sowie der Nachnutzung der Flughafenareale Tempelhof und Tegel.

Ein Rückkauf von Anteilen der teilprivatisierten Wasserbetriebe, wie ihn Rot-Rot vor allem auf Druck der Linken in den vergangenen Jahren betrieben hatte, ist auch das erklärte Ziel der künftigen Landesregierung - allerdings "nicht um jeden Preis", wie Henkel und Wowereit sagten. Bei den Gas- und Stromnetzen strebt Berlin ab 2013/14 an, mehr Einfluss zu gewinnen , indem man sich eventuell an den Netzen beteiligt. Die Fusion mit Brandenburg, die bei der letzten Koalition formal noch Ziel war, verfolgt Rot-Schwarz nun nicht mehr - wegen des mangelnden Interesses in Brandenburg an diesem Vorhaben.

Mit Blick auf die aktuellen Auseinandersetzungen bei den Berliner Grünen zeigte sich Wowereit erleichtert, dass er nach anfänglichen Verhandlungen mit der Partei nun doch eine Regierung mit der CDU vor sicht hat: Statt Konflikten und Instabilität, wie man sie jetzt bei den Grünen sehe, gebe es mit der CDU eine "Vertrauensbasis für eine gute Zusammenarbeit".

Nach dem Abschluss der Verhandlungen müssen noch Parteitage von SPD und CDU am kommenden Montag (21. November) die Ergebnisse billigen. Erst dann kann Wowereit am 24. November vom Abgeordnetenhaus wiedergewählt werden. Es wäre seine dritte Amtszeit. Der 58-Jährige regiert Berlin seit Mitte 2001. Die Namen der Senatoren will er erst nach seiner Wahl öffentlich bekannt geben. Sie sollen am Montag, dem 28. November in den Parteigremien von SPD und CDU bekannt gegeben werden. Voraussichtlich wird das neue Kabinett am 1.Dezember ernannt und vereidigt. (Mit AFP/dapd)

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