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Berliner CDU: Frank Henkel: Der unausweichliche Spitzenkandidat

Er hat die Berliner CDU befriedet und aufgerüstet. Frank Henkel will Klaus Wowereit herausfordern. CDU-Strategen kalkulieren mit seinen Stärken – und seinen Schwächen.

Seine Sympathien und seinen Rückhalt bezieht Frank Henkel aus der Welt der orangefarbenen Sonnenschirme. Die stellt die CDU immer dort auf, wo gerade CDU stattfindet, im Wahlkampf an den U-Bahnhöfen, vor einem Rathaus, wenn drinnen 50 oder 100 wackere Funktionäre Programmarbeit machen, über die Hauptschule oder die Personalnot der Polizei diskutieren und Konzepte entwickeln. Wo die Sonnenschirme stehen, fühlt Henkel sich wohl. Ein Schutzraum, orangerot?

Parteipolitik kann die Protagonisten eine Menge Kraft kosten, ohne dass ihr Publikum das mitbekommt. Sie besteht dann aus inhaltsleeren Kämpfchen um Einfluss. Jahrelang, wenn es zum Regieren nicht reicht und zum Opponieren die Ideen und Leute mit einer Mission fehlen. Kräftezehrend. Normalerweise ist das so. Nicht aber für Frank Henkel.

Mit ihm hat sich einer gefunden, der für die CDU gewinnen will. Am heutigen Montag erklärte Frank Henkel, Landes- und Fraktionschef, dem Präsidium der Berliner CDU seine Bereitschaft zur Spitzenkandidatur für die Berliner Abgeordnetenhauswahl im September. Das Parteipräsidium hat sich einstimmig für ihn ausgesprochen. Am Abend wird Henkel auf dem Neujahrsempfang der Spandauer CDU seine erste programmatische Rede als designierter Spitzenkandidat halten. Seine offizielle Nominierung erfolgt dann auf einem CDU-Parteitag am 12. Februar.

Für seine Nominierung gibt es zwei Gründe. Henkel hat die CDU nach dem Desaster von 2008, als Friedbert Pflüger und Ingo Schmitt um die Macht stritten, befriedet und moralisch sowie politisch wieder aufgerüstet. Das ist der gute Grund.

Der weniger gute: Sie haben sonst keinen in Berlin, der die Spitzenkandidatur stemmen könnte.

Stattlich wirkt Frank Henkel, ein großer, kräftiger Mann, 47 Jahre alt, den dunkelblauen Anzug füllt er aus. Die Politiker-Gestik der ausgebreiteten Arme und modellierenden Hände beherrscht er instinktiv. Er berlinert wie der König von Neukölln, Bezirksbürgermeister Heinz Buschkowsky, oder, früher, Eberhard Diepgen: nicht penetrant, aber unverkennbar. Hier sagt man „ebent“, wenn man eben meint.

Er ist auf eine, wenn man so will, Berliner Art unprätentiös: Die großformatigen abstrakten Ölgemälde in seinem Amtszimmer hängen dort, weil sie ihm gefallen. Eins zeigt abstrahierte Menschenfiguren. Das Bild verdeutliche ihm, dass man bodenständig bleiben solle, sagt Henkel. Als Friedbert Pflüger noch CDU-Fraktionschef war, hing im Amtszimmer ein Bismarck-Porträt.

Bodenständig. So also ist Frank Henkel, von dem laut jüngsten Umfragen 63 Prozent der Berliner nicht wissen, dass es ihn gibt – und schon gar nicht wissen, dass er gegen den Regierenden Bürgermeister Klaus Wowereit antreten will. Doch weiß Henkel, wofür er kämpft: für einen Machtwechsel, für die CDU. Auf eine altmodische Weise mag er seine Partei, er mag sie sogar sehr. Das liegt an seiner Herkunft.

Henkel ist Berliner – aus dem Osten. 1981 kam er mit seinen Eltern nach West-Berlin, im Alter von 17 Jahren. Das Datum weiß er noch ganz genau: „6. April, mein zweiter Geburtstag“, sagt er. Wochenlang wohnten die drei im Aufnahmelager Marienfelde, später in einem Wohnheim in der Hausbesetzer-Metropole Kreuzberg: „Jeden Abend Tatü-tata“, erinnert sich Henkel.

Der Westen war für ihn die Freiheit, die CDU die Partei, die für die Wiedervereinigung stritt. Politisch engagierte er sich indes zuerst bei der Internationalen Gesellschaft für Menschenrechte – mit Parteien wollte sich der junge Mann aus dem Osten nicht einlassen. Erst 1986 ging er in die CDU und brachte beides zusammen: die Freude an der Freiheit und den Willen, politisch für die Wiedervereinigungspartei zu arbeiten. Henkel strahlt, wenn er sich daran erinnert, wie gut es sich anfühlte, für das Parteiblatt schreiben zu dürfen.

Jetzt bestimmt er, was dort zu lesen ist. Im CDU-Magazin „Berliner Rundschau“ wirft er Wowereit vor, sich nicht für die Probleme der Stadt zu interessieren – „das ist nicht nur auf die S-Bahn beschränkt. Spielhallen schießen wie Pilze aus dem Boden, Verwahrlosung greift um sich, viele Integrations- und Kriminalitätsprobleme bleiben ungelöst. Diese Probleme muss man endlich anpacken. Ich will, dass Berlin funktioniert.“

Jetzt, da der Wahlkampf begonnen hat, arbeitet er seine Kritik in Gesprächen und Interviews nach den Kriterien „Arbeit, Bildung, Sicherheit“ ab. Es sei falsch gewesen, den Flughafen Tempelhof zu schließen, obwohl dort ein Investor ein Projekt in dreistelliger Millionenhöhe geplant habe. 23 Bildungsreformen an den Berliner Schulen hätten nichts bewirkt, als Schüler und Lehrer zu verunsichern. Allein das „jahrgangsübergreifende Lernen“ habe tausende Sitzenbleiber produziert. Für das Geld, das die Beschulung der Kinder zusätzlich koste, hätte man 500 neue Lehrer einstellen können, sagt Henkel. Und die Polizeipräsenz sei so dürftig geworden, dass sich alte Leute in manchen Stadtteilen abends nicht mehr hinaustrauten.

Aber mit Dauerkritik am Regierenden ist es nicht getan – die perlt ab an Klaus Wowereit. Noch immer sind 54 Prozent der Berliner laut Umfragen zufrieden mit der Art, wie Wowereit sein Amt ausfüllt. Und mit Ordnung und Sicherheit kommt die CDU in Berlin nicht weiter. Man braucht schon ein Programm, das überzeugt. Das aber meint die moderne Berliner CDU nun zu haben. Sie steht schön in der Mitte: will ein durchlässiges Schulsystem ohne Hauptschule; heißt Einwanderer willkommen, wenn die hier etwas werden wollen.

„Gemeinsinn und Leistung“ lautet die Devise – es ist der Abschied von der Ausgrenzungspolitik, die Helmut Kohl der Union antrainiert hatte. Innenminister Thomas de Maizière war dabei, als hundert CDUler aus Berlin vor einem Dreivierteljahr das integrationspolitische Konzept beschlossen. Sein Kompliment für die neue Geschlossenheit tat den Berlinern gut, so was hatten sie von einem prominenten Regierungsmitglied lange nicht gehört.

Die Berliner CDU denkt auch nicht mehr retro in Sachen Flughäfen. Sie hat ein Konzept für die Nachnutzung des Flughafens Tegel. Dem werden gewiss ebenso viele Leute hinterhertrauern wie Tempelhof, der Mutter aller Airports mitten in der Stadt, die zur beliebtesten Freizeitanlage in Berlin geworden ist, weil dem Senat nichts zu der Liegenschaft einfiel. Von und nach Tegel wird man bis 2012 noch fliegen können. Die CDU will dann dort einen Solar- und Industriepark einrichten.

Damit ist sie in Sachen Freizeitvergnügen womöglich nicht auf der Höhe, aber denkt nach vorne: Wirtschaftskompetenz. Und natürlich soll Berlin auch nicht Hartz-IV-Hauptstadt bleiben. Vor ein paar Wochen bestrahlte Bundesarbeitsministerin Ursula von der Leyen sechzig oder siebzig Berliner CDU-Parteifreunde bei einem kleinen Parteitag mit ihrem Lächeln. Die politische Premium-Prominenz hat heute kein Problem mehr mit Auftritten bei der Hauptstadt-Union.

Henkel war ganz anderes gewöhnt. Als die Berliner CDU ihn im Herbst 2008 kommissarisch an ihre Spitze wählte, mussten die Funktionäre erst eine Strafpredigt des damaligen Generalsekretärs Ronald Pofalla ob der dauernden Berliner Streitereien über sich ergehen lassen. Pofalla erwähnte die neue Hoffnung Frank Henkel mit keinem Wort. Das war vorgestern. Jetzt fühlt sich die Partei programmatisch fit. Man kann über Politik reden, über das, was man machen würde, wenn man gewählt würde, anstatt sich anzuhören, man sei bloß ein zerstrittener Haufen.

Das ist Henkels Werk. Und außerdem das von Monika Grütters, der Kultur- und Medienfachfrau und Bundestagsabgeordneten, und einigen anderen, die seit zwei Jahren mit Henkel zusammenarbeiten – „mit“, nicht „unter“. Auch Grütters war als mögliche Spitzenkandidatin im Gespräch. Doch die Lieblingskandidatin aller Liberalen in der Hauptstadt-CDU geht in ihrer Aufgabe als Vorsitzende des Kulturausschusses im Bundestag auf. Thomas Heilmann, der Lieblingskandidat aller Liberalen in der CDU, die in Kreativ-Berufen tätig sind, hat heruntermoderiert, was an Kandidaturgerüchten mit ihm in Verbindung gebracht worden ist. Er wird wissen, warum. Er ist ein Quereinsteiger, finanziell unabhängig und eigensinnig – das merkt die Basis einer Union, die als Kleine-Leute-Partei in Berlin ihre größten Erfolge hatte. Einer wie Thomas Heilmann, der mit zwei iPhones unterwegs ist, macht die Leute misstrauisch.

Geht Henkel in die Ortsverbände, heiße es, „der Frank kommt“, sagt einer, der die CDU genau kennt. Komme Thomas Heilmann, dann heiße es „der Heilmann kommt“.

Henkel passt. Mag auch Berlin nicht so funktionieren, wie er das will – seine CDU tut das immerhin. Der Voll-und ganz-Politiker Henkel hat aus der Berliner Union eine moderne Partei gemacht. Viel und oft geht er an die Basis, die Leute mögen ihn. 12 800 Mitglieder, Tendenz leicht steigend, die Mitglieder jünger als im Bundesdurchschnitt: Die Berliner CDU läuft rund. Trotzdem aber liegt sie in Umfragen mit 19 Prozent noch auf dem dritten Platz hinter der SPD und den Grünen.

19 Prozent bedeuten: Die Berliner CDU ist in Berlin nicht mehr Volkspartei. Mag sein, dass die Grünen überbewertet werden. Mag sein, dass die Linke ihre beste Zeit hinter sich hat. Für die CDU gilt, dass noch viel passieren muss, bis aus dem Duell Klaus Wowereit gegen Renate Künast ein Dreikampf wird, bei dem Henkel so ernst genommen wird wie die Spitzenkandidatin der Grünen.

Die CDU-Strategen kalkulieren mit Henkels Stärken – und mit seinen Schwächen. Den Neuköllner Konflikt, bei dem seit langem zwei Gruppierungen um Macht und Mandate kämpfen, hat der Parteichef nicht schlichten können. Das könnte bei der Aufstellung der Kandidatenlisten zu neuem Ärger führen. Manchmal moderiere er ein bisschen viel, „statt mal ’ne Ansage zu machen“, sagt einer, der ihn kennt und mag. Die ganz Konservativen fühlen sich in der Mitte-CDU nicht mehr beheimatet. Henkel hat den islamkritischen ehemaligen Christdemokraten René Stadtkewitz nicht halten wollen. Stadtkewitz gründete vor ein paar Monaten die „Freiheitspartei“.

Zu Henkels Stärken rechnet Monika Grütters, dass er die Leute in den Ostberliner Bezirken erreichen könnte, wo die Union notorisch schwächelt – eben weil er aus dem Osten kommt. Die Stammwähler im Westen wird er mit seiner Glaubwürdigkeit, seinen bürgerlich-konservativen Überzeugungen auf jeden Fall erreichen. Vor allem sei Henkel „authentisch“, sagt Grütters und spricht damit etwas aus, das auch Henkels Gegnern, etwa in der SPD, aufgefallen ist: Dieser Henkel ist ganz bei sich, er steht in seiner Stattlichkeit fest in der politischen Landschaft – und er ist mit ganzem Herzen CDU-Mann und Berliner.

In der Partei hängen sie so sehr an ihrem Frank Henkel, dass sie sagen: Nicht mal dann, wenn er schlechter abschneide als Friedbert Pflüger, der 21,3 Prozent bei der Wahl 2006 holte, müsse das seine Laufbahn beenden. Nett gesagt – aber realistisch? Einer, der die Höhen und Tiefen des Politikbetriebs gut kennt, will Henkel in Sachen Spitzenkandidatur geraten haben: „Frank, du musst eine Lebensentscheidung treffen.“ Henkel hat sich entschieden. Volles Risiko.

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