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© Mike Wolff

Luftbrücke: "Wir hatten Hunger, Hunger, Hunger"

Elf Monate dauerte die Blockade – für die Menschen eine Zeit täglicher Entbehrungen, karger Kost und kalter Stuben. Elf Monate, in denen in 270.000 Flügen alles Lebenswichtige nach Berlin gebracht wurde. Haben Sie Fotos aus dieser Zeit?, fragte der Tagesspiegel: erzählen Sie uns ihre ganz persönliche Geschichte. Viele Leser meldeten sich - hier sind einige Erlebnisse.

Ulrich Waack, 67, Lichtenrade: „Tee-Mischung als Süßigkeit – das schmeckte wunderbar“

Als siebenjähriger Junge hatte Ulrich Waack am S-Bahnhof Tempelhof die einschwebenden Rosinenbomber beobachtet. Waack erinnerte sich an Pressefotos, die sein Vater Fritz 1948 am gleichen Ort aufgenommen hatte. Die Bilddokumente waren verschollen, doch am 19. April 1998 veröffentlichte der Tagesspiegel ein Foto mit dem Autorenvermerk „Fritz Waak“. Ulrich Waack ging ins Tagesspiegel-Bildarchiv, um die Herkunft des Fotos zu klären. Auf der Rückseite erkannte er Handschrift und Adressenstempel seines Vaters. Offenbar war der Name einfach falsch geschrieben worden.

Fritz Waack hatte es nach dem Krieg geschafft, ein kleines Fotostudio einzurichten. Sohn Ulrich hatte die Aufgabe, die entwickelten Fotos vom Wegert-Labor zu den Kunden auszuliefern, meistens englische Soldaten, die sich porträtieren ließen. Dafür bekam er Spezialitäten aus den Depots der British Army, darunter eine Tee-Fertigmischung zum Aufbrühen. Dieses Extrakt haben die Waack-Kinder einfach als Süßigkeit trocken verschlungen. „Das schmeckte wunderbar.“

Beate Niemann, 66, Zehlendorf: „Ich erinnere mich an höllische Schmerzen“

Sie verbindet die Luftbrücke mit einem schrecklichen Erlebnis. Am Tag des Endes der Blockade wurden mit Gas gefüllte Luftballons verteilt. Eine dieser Kostbarkeiten hatte sie ergattert. Beim Spielen im überdachten Hauseingang ließ sie die Schnur des Luftballons los, er glitt unter die Decke eines Balkons. „Wir bildeten eine Räuberleiter. Ich stellte mich auf die Hände zweier Freundinnen. Durch mein Gewicht gingen sie auseinander, ich verlor die Balance und fiel rückwärts. Geistesgegenwärtig schob eine andere ihren Puppenwagen unter mich. Durch das plötzliche Gewicht rollte der Wagen mit mir rückwärts drei oder vier Stufen herunter. Mein rechter Arm war in das Vorderrad gekommen und hatte sich mitgedreht. Es dauerte, bis wir ihn befreien konnten. Plötzlich stand meine Hand neben dem Handgelenk.“ Beate Niemann alarmierte ihre Mutter. Die versuchte, eines der wenigen Autos am Tempelhofer Damm anzuhalten. „Krankenwagen fuhren damals nicht für Deutsche.“ Weil niemand anhielt, nahm die verzweifelte Mutter die Straßenbahn. Beim Arzt wurde der Arm unter höllischen Schmerzen wieder eingerenkt und eingegipst.

Roswitha Völz, 73, Wilmersdorf: „Selbst ein Bettler gab uns ein Stück Brot.“

Von einem Dachgarten in der Konstanzer Straße haben die Mädchen der Familie Karwath im Sommer 1948 immer den Flugzeugen zugewunken. Die 13-jährige Roswitha ist auf dem alten Foto ganz rechts zu sehen. Sieben Kinder waren durchzufüttern, da nährte jede Maschine am Himmel die Hoffnung auf bessere Zeiten. „Wir hatten Hunger, Hunger, Hunger", erinnert sich Roswitha Karwath, die heute Völz heißt und mit dem Schauspieler Wolfgang Völz verheiratet ist. „Bettler kamen oft an unsere Tür. Als einer uns hungrige Kinder sah, zog er selbst ein Stück Brot heraus und gab es uns“, erzählt sie. Ihr Vater brachte schließlich ein Schild am Haus an: „Betteln zwecklos. Hier wohnen 7 hungrige Kinder.“ Im Winter wurden die Kohlen knapp. Ihr Vater fragte sich quer durchs Mobiliar: „Brauchen wir diesen Stuhl? Nein? Dann wird er verfeuert.“ Roswitha Völz wohnt immer noch in der Konstanzer Straße, auf dem Dachgarten sitzt sie heute noch gern mit der Familie.

Manfred Kleinschmitt, 77, Lichterfelde: „Ich habe nie eine einzige Rosine gesehen“

Rosinenbomber? Manfred Kleinschmitt hat die ganzen neun Monate als Transportarbeiter auf dem Flughafen Tempelhof keine einzige Rosine gesehen. Kleinschmitt war als 18-jähriger Schüler zu den Transportarbeitern gestoßen, weil die US-Militärverwaltung über den Rias einen Aufruf gestartet hatte. Mit seinen Kollegen musste er im Drei-Schicht-Betrieb die Flugzeuge entladen, die Tag und Nacht in Tempelhof landeten. Der Stundenlohn: 1,25 Mark. 90 Prozent des Geldes wurden aber zunächst in Ostwährung ausgezahlt. Pro Schicht gab es eine warme Mahlzeit in der Flughafenkantine und einen Becher Kaffee. „Wenig begeistert waren wir, wenn wir Flugzeuge mit perforierten Stahlplatten zu entladen hatten.“ Die wurden für den neuen Flughafen Tegel gebraucht. Eingeflogen wurden auch Maschinenteile für das Kraftwerk Reuter, Krankenwagen, Autos und Papierrollen für den Zeitungsdruck. Steinkohle aus dem Westen war in olivgrüne Seesäcke der US-Streitkräfte verpackt. Einmal hatte Manfred Kleinschmitt seine Jacke in einem entladenen Flugzeug liegen lassen. Die Amerikaner waren hilfsbereit und fuhren mit ihm in einem Jeep über das ganze Flugfeld auf die Neuköllner Seite, wo die Maschinen in einer langen Reihe auf den Start warteten. Der Pilot warf die Jacke einfach aus dem Cockpitfenster.

Eva Pescht, 77, Zehlendorf: „Wir hatten eine irre Zeit, damals, im Sommer 1948“

Weißbrot mit Erdnussbutter, so viel der Magen verträgt, dazu Eintopf mit „Spam“, US-Fleisch aus der Büchse – ein kleines Schlaraffenland für die Schulmädchen, die für ein Ferienlager auf der Pfaueninsel ausgesucht worden waren, um sich im Blockadesommer zu erholen. Das Foto wurde im August 1948 aufgenommen. Eva Pescht, 17 Jahre, damals als Betreuerin dabei, ist die Vierte von links. Jungs und Mädchen waren in getrennten Lagern untergebracht. Jede Gruppe durfte zehn Tage bleiben. Es wurde Sport getrieben. Die Kinder schliefen auf Pritschen in Armeezelten und hatten eine „irre Zeit“, sagt Eva Pescht. „Man konnte die Flugzeuge auf der Havel wassern sehen.“ Die Royal Air Force hatte einen Linienverkehr mit Flugbooten eingerichtet.

Klaus Weinert, 69, München: „Von 100 Flugzeugen warfen zwei oder drei etwas ab . . .“

Die Fensterscheiben ihres Hauses waren zerstört, so konnte der Motorenlärm der startenden Rosinenbomber ungedämpft ins Schlafzimmer von Familie Weinert in der Neuköllner Leinestraße dringen. Seine Mutter, erinnert sich der 69-jährige Klaus Weinert noch heute, schreckte nachts aus dem Tiefschlaf, völlig verstört, weil sie befürchtete, der Bombenkrieg habe wieder begonnen. Sohn Klaus wurde magisch angezogen von den hell erleuchteten Landebahnen in der wegen der Stromsperre verdunkelten Stadt. Auf dem Friedhof in der Einflugschneise stand er mit den anderen Jungen aus dem Viertel, um Süßigkeiten aufzufangen – allerdings vergebens. „Von 100 Flugzeugen warfen zwei oder drei etwas ab, und dann gab es immer ein Hauen und Stechen, auch Erwachsene waren dabei.“

Ende November 1948 wurde Klaus Weinert zusammen mit anderen Kindern zu Verwandten in den Westen ausgeflogen. Mit dem Bus ging es durch die zerstörte Stadt nach Gatow. „Wir Kinder stürmten voller Erwartung in das leere Flugzeug.“ Im Frachtraum saßen sie auf dem Boden mit dem Rücken zur Bordwand. Dann startete die zweimotorige Dakota Richtung Lübeck. Klaus Weinert blieb und kehrte erst 1961 nach Berlin zurück.Aufgezeichnet von Thomas Loy

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