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Teilnehmer lassen in Stahnsdorf bei einer Demonstration gegen die Flugrouten des zukünftigen Flughafens Berlin Brandenburg International (BBI) Luftballons steigen.

© dapd

Stahnsdorf: Mit 999 Luftballons gegen den Fluglärm

Mit einer Demonstration in Stahnsdorf erlebte am Sonnabend der seit Wochen an der südlichen Berliner Stadtgrenze tobende Protest gegen die veränderten Schönefelder Flugrouten einen emotionalen Höhepunkt.

Rund 8500 Teilnehmer wurden gezählt, 999 Luftballons in den Himmel geschickt, 55 Kuchen gebacken, hunderte Plakate und Spruchbänder gemalt – und der Brandenburger Regierungschef, mit unzähligen Trillerpfeifen empfangen, wurde fast von dannen gejagt. So heftig war Matthias Platzeck in seiner 20-jährigen Politikerkarriere wohl noch nie als „Lügner“, „Spalter“ und „Betrüger“ beschimpft und zum Aufhören aufgefordert worden. Nach gut einer Stunde verließ er die Kundgebung vorzeitig, um einen anderen Termin wahrzunehmen. Eine offizielle Verabschiedung gab es nicht.

Die große Empörung der Stahnsdorfer, die viel Unterstützung durch Gleichgesinnte aus der Umgebung und aus Lichtenrade erhielten, wurde beim Blick in eine gerade sieben Jahre alte Broschüre der Schönefelder Flughafengesellschaft verständlich. „Hier sind die Flugrouten des neuen Flughafens bis 2030 eingezeichnet und die Belastungen für unsere Region aufgelistet“, sagte Matthias Piaszinski, Sprecher der Stahnsdorfer Bürgerinitiative. Für die Orte Kleinmachnow, Teltow und Stahnsdorf habe die Flughafengesellschaft damals „keine Belastungen durch Fluglärm“ prognostiziert. Überall seien seither neue Wohngebiete entstanden, allein Stahnsdorf habe seine Einwohnerzahl seit 1993 auf jetzt 14 200 Menschen mehr als verdoppelt. Die meisten seien erst nach dem Planfeststellungsbeschluss für Schönefeld 2004 hierher gezogen, um in Ruhe zu leben. „Die Anfang September veröffentlichten neuen Flugrouten aber machen alles zunichte, und uns wird jede Chance genommen, darauf zu reagieren“, stellte der Sprecher fest.

Stahnsdorfs Bürgermeister Bernd Albers rief die Einwohner dazu auf, die Region „durch den Flugzeugkrach im Vier-Minuten-Takt“ nicht kaputt machen zu lassen. Er frage sich, was die Investitionen in den Bau von zwei Kitas und in die Erweiterung des Gymnasiums jetzt noch wert seien. „Unsere Kinder können mit Sicherheit nicht mehr richtig lernen, wenn sie ständig Schadstoffe der Flugzeuge einatmen müssen“, sagte Albers. Auch er habe auf die Angaben der Flughafenplaner vertraut und sehe sich jetzt durch die neuen Flugrouten tief getäuscht.

Entsprechend schwer konnte sich anschließend Platzeck im Lärm der Trillerpfeifen und Buh-Rufe Gehör verschaffen. Er gab erneut den „entscheidenden Fehler der Politik“ zu, nicht auf die Verbindlichkeit der im Beschluss von 2004 für Schönefeld aufgelisteten Flugrouten bestanden zu haben. „So ein Vertrauensverlust darf nicht passieren“, gab Platzeck zu. Im Protestgeschrei ging seine Ankündigung unter, „bei der Festlegung der Flugrouten nun für größtmögliche Transparenz“ zu sorgen. „Wir wollen überhaupt keine Flugrouten über unseren Köpfen“, schallte es zurück. Platzeck widersetzte sich – „bei allem Respekt für den Unmut der Bürger“ – einem Vergleich mit den Protesten gegen das Projekt „Stuttgart 21“. Dort sei der umstrittene Bahnhof noch gar nicht im Bau, während der Flughafen fast fertig sei.

Bündig analysierte anschließend der Chef der Potsdamer Fluglärmgegner, Markus Peichl, die getrennten Planungen für Flughafen und Flugrouten mit einem viel beklatschten Schluss: „Das ist großer Murks.“ Claus-Dieter Steyer

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