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Doris von Jankó (1933-2014)

© privat

Nachruf auf Doris von Jankó (Geb. 1933): Das Haus zu groß, die Stadt zu klein

Sie tanzte und sie wurde gefeiert. Dann heiratete sie und zog in die Provinz. Dort aber macht das Bohème-Leben keinen Spaß. Der Nachruf auf eine Diva.

Als sie mit 78 Jahren von einem ihrer sehr seltenen Arztbesuche nach Hause kommt, greift sie empört zum Telefonhörer. Mit bebender Stimme berichtet sie ihrer Tochter: „Stell dir vor, was der zu mir gesagt hat. Sie haben wohl leider Krebs. Lungenkrebs. Warum erzählt der mir denn so was? Mir! Ja, glauben Sie, das interessiert mich?‚ hab’ ich ihn gefragt.“

Doris von Jankó war von früh auf daran gewöhnt, Schmerzen und Krankheit zu ignorieren, Medikamente nahm sie grundsätzlich nicht. Als Solotänzerin am Ballett konnte man sich Zipperlein nicht leisten, und irgendwas tat schließlich immer weh.

Als Fünfjährige begann sie mit dem Tanzunterricht. Geboren in eine Zeit, in der viele Kindheiten einfach ausfielen, tanzte und träumte sich das begabte Mädchen am Kinderballett der Deutschen Oper durch die Musik von Tschaikowsky. Schon ihre Mutter Erna hatte in besseren Zeiten jedes Wochenende ein paar Schuhe durchgetanzt, doch nach dem Krieg blieb dafür keine Zeit mehr. Sie ließ sich eine Menge einfallen, um Doris und ihre zwei jüngeren Brüder alleine durchzubringen. Sonntags wurden die Kinder ins Kino geschickt, um im Wohnzimmer illegale Glücksspielrunden zu veranstalten.

„Schon im zarten Alter von 15 Jahren habe ich als Tänzerin an der Oper in Berlin meine Familie ernährt.“ Doris war stolz, ihr Traum wurde wahr, sie löste Begeisterung, manchmal gar Bewunderung aus mit ihrer Kunst und bekam auch noch Geld dafür. Aber wichtiger war: In der Oper fand sie eine zweite Familie, auf der Bühne eine zweite, eine schönere Welt.

„Anerkennung kann man nicht erwarten und schon gar nicht erzwingen. Aus einem Selbstvertrauen muss man sich gelassen geben.“ Gelassenheit brauchte Doris auch bei einer Begegnung, die sie im Rheinland machte. Sie war inzwischen eine gefeierte Solistin in Essen, als es nach einer Vorstellung an ihrer Garderobentür klopfte. Der Verehrer, ein Herr in den Dreißigern mit Schal und Gehstock, verlor keine überflüssigen Worte. „Gestatten, Ilo von Jankó!“ Theaterregisseur aus Hamburg sei er und ganz und gar hingerissen von ihr. Die Schauspielerin Inge Meysel habe ihm von einer außergewöhnlichen Tänzerin erzählt, von ihrer Grazie und Schönheit. Dies fände er nun bestätigt und gedenke in der Stadt zu bleiben, bis sie ihn erhören würde. Noch amüsierte sich Doris über diesen etwas affektierten und sehr selbstbewussten Galan, denn sie unterschätzte sein Beharrungsvermögen. Nach zwölf Monaten Belagerung ergab sie sich, ein paar Jahre später hatten sie zwei Kinder.

Ihr Traum war Paris, aber Ilo folgte einem Ruf nach Mannheim

Das Haus zu groß, die Stadt zu klein. Ihr Traum war Paris, aber Ilo folgte einem Ruf nach Mannheim, als Schauspieldirektor des Nationaltheaters. Die Tochter Beate erinnert sich: „Zwei Künstler, die Familie spielen, fragen sich: Was braucht man dazu?“ Ein großes Haus mit Garten natürlich, so stellten sie sich das passende Bühnenbild vor.

Im kurpfälzischen Örtchen Hockenheim fand Ilo das Haus, das niemals ihr Zuhause werden sollte. Das Tanzen hatte Doris aufgegeben, den Kindern und dem Rücken zuliebe. Und weil die Karriere des Ehemannes Vorrang hatte. Das Paar mühte sich, seinen großstädtischen Lebensstil weiterzuführen, sie luden Schauspieler und andere prominente Gäste ein, abends gab es Whiskey aus schicken Gläsern. Doch Bohème macht in der Provinz einfach keinen Spaß, und die Langeweile treibt seltsame Blüten. Manchmal, wenn sie nachts nicht schlafen konnte, fand Beate ihre Mutter auf dem Fußboden des großen Esszimmers damit beschäftigt, dem Hamster Kunststücke beizubringen. „Als Mutter war sie zu sehr Diva, aber als Diva irgendwie zu mütterlich“, sagt ihre Tochter.

Plötzlich wurde es Ilo wichtig, dass Doris finanziell auf eigenen Beinen stehen sollte: Er drängte sie, eine Ballettschule zu eröffnen. Ein Glück, denn die Arbeit mit ihren Schülern bedeutete ihr bald viel. Außerdem hatte Ilo offensichtlich gute Gründe, die Emanzipation seiner Frau zu befördern: Wenig später war er weg.

„Beinahe hätte ich mich entschieden, für längere Zeit, wer weiß, vielleicht für immer, in diesem großen Protzhaus zu leben und zu arbeiten und meine Einsamkeit anzunehmen.“ Doch mit Anfang 60 entschloss sie sich zu einem Neustart und kehrte zurück in ihre Heimatstadt Berlin. Diva blieb sie, das Altern aber machte ihr nichts aus: „Jedes Alter hat seine eigene Schönheit.“ Einen neuen Mann gab es nicht mehr in ihrem Leben – „Ich habe meine Erotik beim Tanzen ausgelebt“ – aber sie freute sich an ihrer Familie, vor allem an den Enkelkindern.

Doris von Jankó sieht nach dem Arztbesuch keinen vernünftigen Grund ihr Leben zu ändern. Sie zieht nicht in den Kampf gegen diesen Krebs, sondern macht Ausflüge, geht gut essen und trifft Freunde. Ihre Freundin Liane hat sich bis ins hohe Alter eine Verrücktheit bewahrt, die Doris ganz entzückend findet. Ab und an gibt sie ausschweifende Partys in ihrer großen Altbauwohnung. Eigentlich hatte Doris gar nicht so lange bleiben wollen an diesem Abend im Februar, aber es ist dann doch amüsant und sehr spät geworden, als sie ein Taxi bestellt. Auf den Stufen vor ihrem Haus bricht sie bewusstlos zusammen. Man bringt sie noch in die Charité, dorthin, wo sie 81 Jahre zuvor zur Welt gekommen war.

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