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Das ist ironisch gemeint: Ein Demonstrant fordert Zwangsräumungen in Berlin.

© dpa

Neuer Protest gegen Zwangsräumung: Blockade um jeden Preis?

Am Mittwoch wollen Aktivisten wieder eine Zwangsräumung verhindern. Es geht um die schwerbehinderte Rentnerin Rosemarie F., die ihre Wohnung verlassen soll. Doch dieser Fall ist nicht so eindeutig, wie er zunächst wirkt - und wirft die Frage nach den Grenzen der Solidarität auf.

Knapp zwei Wochen ist es erst her, dass die Zwangsräumung bei der Familie Gülbol in Kreuzberg , flankiert von einem Großeinsatz der Polizei, großes öffentliches Aufsehen auslöste. Nun mobilisiert das Bündnis „Zwangsräumung verhindern“ in einem neuen Fall. Die Aktivisten rufen dazu auf, eine für Mittwoch angekündigte Räumung zu verhindern. Es geht um den Fall von Rosemarie F., die 67 Jahre alt und schwerbehindert ist.

Die Aktivisten konnten Sozialstadtrat Andreas Höhne (SPD) ins Boot holen, der versprach, die Ämter würden die Mietschulden der Rentnerin begleichen. „Wir finden, dass es nicht zu rechtfertigen ist, eine schwerbehinderte 67-jährige Frau auf die Straße zu werfen“, heißt es auf der Homepage des Bündnisses. Klaus Lederer, Landesvorsitzender der Linkspartei, hat ebenfalls seine Unterstützung angeboten. Er will vor Ort sein, wenn das Bündnis am Tag der Zwangsräumung zu einer Kundgebung aufruft. „Irgendwann hören solche Probleme auf, individuell zu sein. Nämlich dann, wenn sie zu einem gesellschaftlichen Problem werden, weil die Hartz IV-Sätze nicht ausreichen, Menschen einen gewissen Stand in der Gesellschaft zu bieten“, sagte er am Montag. Bereits nach der Zwangsräumung in Kreuzberg, zu der 400 Polizisten anrücken mussten, hatte Lederer getwittert: „Es ist so krass geworden, dass wir jede Zwangsräumung mit zivilem Ungehorsam zum Symbol machen müssen.“

Die Geschichte von Rosemarie F. allerdings wirft ein Schlaglicht auf die Frage, wo die Grenzen des legitimen zivilgesellschaftlichen Protests liegen – und wann sie überschritten werden. „Frau F. tyrannisiert uns seit vielen Jahren. Sie klingelt nachts an unserer Wohnungstür und hat Nachbarn heißen Fischfond über die Fußmatte gekippt. Der Pflegedienst und Handwerker trauen sich nicht mehr in ihre Wohnung, weil sie so aggressiv ist“, erzählt ein Mieter des Wohnhauses.

Ein anderer berichtet, dass Rosemarie F. täglich am Gesundbrunnencenter Pfandflaschen sammele und ihre Wohnung total vermüllt sei. „Es stinkt bestialisch und sie macht niemandem mehr die Tür auf“, sagt er. Auch dem Tagesspiegel hat sie bei mehrmaligen Versuchen nicht die Tür geöffnet, obwohl in ihrer Wohnung Licht brannte. „Frau F. kann nicht mehr allein leben, sie benötigt dringend psychologische Betreuung“, sagt ein Nachbar.

Ihr Vermieter, der die Wohnung vor einem halben Jahr erworben hat, hat nach eigenen Angaben mehrfach vergeblich mit dem sozialpsychiatrischen Dienst Kontakt aufgenommen. „Sie lässt niemanden herein, noch nicht mal den Schornsteinfeger.“ An der Wohnungstür hängen zahlreiche Schreiben ihres Vermieters, auf einem hat jemand, womöglich Rosemarie F., mit schwarzem Filzstift „Mörder“ geschrieben. Den Kontakt zum Sozialamt, das die Miete zahlen würde, soll die Frau auch abgebrochen haben.

Der Vermieter sagt: „Wir haben noch nicht ein einziges Mal unsere Miete bekommen.“ Eigentlich solle das Bezirksamt die Miete zahlen, doch dort fühle man sich nicht mehr zuständig, weil F. alle Kontaktversuche abblocke. Strom und Gas seien bereits abgestellt worden, weil F. nicht gezahlt habe.

„Wir wollen niemanden rausekeln, aber wir wollen, dass unser Eigentum geschützt wird“, sagt der Vermieter. Die Aktivisten des Bündnisses aber haben einen ganz anderen Blickwinkel. Natürlich unterstütze man nicht jeden, sagt die Sprecherin, aber Frau F. sei sicher in ihrem Auftreten und selbstreflektiert.

Sie reagiere ein wenig über, weil ihre schwierige wirtschaftliche Lage sie psychisch krank gemacht habe und sie versuche sich zu wehren. „Frau F. ist zu schwach, um ihre Wohnung verlassen zu können. Wir werden alles tun, damit sie bleibt“, sagt die Sprecherin. Die Polizei ist über den Fall bereits informiert. „Wenn uns der Gerichtsvollzieher anfordert, sind wir da“, sagt ein Sprecher.

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