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Neue Heimat. In dieser alten Schule will Berlin Kriegsflüchtlinge aus Syrien beherbergen. Eine Bürgerinitiative macht dagegen mobil – andere Bürger wollen vermitteln.

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Update

Neues Flüchtlingsheim in Berlin: Hellersdorfer versuchen zu vermitteln

Nach dem Tumult auf einer Infoveranstaltung für ein neues Flüchtlingsheim wollen Anwohner und Engagierte die Wogen glätten. Der Bezirk wird derweil für die verspätete Information über das Heim kritisiert.

Einst rannten hier Kinder durch die Flure auf den Hof, wenn das Pausenzeichen zu hören war. Jetzt werden Mädchen und Jungen dort spielen, die nachts aus dem Schlaf hochschrecken, weil sie in Alpträumen noch einmal durchmachen, was sie in der alten Heimat miterleben mussten: Sirenengeheul, Explosionen, Bombenalarm. In dem früheren Max-Reinhardt-Gymnasium in Kaulsdorf, das derzeit zur Notunterkunft für Flüchtlinge umgebaut wird, kommen ab Ende des Monats vor allem Menschen unter, denen die Flucht vorm Bürgerkrieg in Syrien nach Deutschland gelungen ist.

Die Zustände in dem Land kennen die Nachbarn in Hellersdorf nur aus den Nachrichten. Und sie haben nun Sorge, dass es ihnen selbst schlechter ergehen könnte, weil in ihre Nachbarschaft Menschen ziehen, die fremd auf sie wirken und deren Sprache sie nicht kennen. „Das sind im Grunde soziale Ängste, Verlustängste des eigenen sozialen Status, die sich in fremdenfeindlichen Positionen ausdrücken“, sagt Frank Heller, Vorsitzender des Vereins „Deutsch-Afrikanische Gesellschaft“ im „Bürgernetzwerk von Marzahn-Hellersdorf“.

Information und Aufklärung seien jetzt wichtig

Heller war früher mal als Diplomat im Kongo, und ihn bewegt die Diskussion um das Flüchtlingsheim. Heller kennt das Gebäude noch von innen, als es eine Schule war, „mein Sohn ist früher auf das Gymnasium gegangen“. Heller kennt den Kiez in Kaulsdorf. „Dort leben viele Menschen, die selbst in einer prekären Lage sind, sich mit Billigjobs über Wasser halten, Sozialhilfen beziehen, als Arbeitslose vergeblich einen Job suchen.“ Viele Bürger, die am Donnerstag zu der Infoveranstaltung mit dem Bezirksbürgermeister und dem Sozialsenator gegangen waren, seien wegen der lautstarken und demonstrativen Proteste von Rechten und Linken nicht zu Wort gekommen sind, beklagt er. Sie seien den Kontakt mit Menschen aus anderen Ländern „nicht gewohnt, das sind für sie abstrakte Nachrichten mit Syrien“. Information und Aufklärung seien jetzt das wichtigste.

Oleg Peters, leidenschaftlicher Marzahn-Hellersdorfer, steht voll hinter seinem Bezirk. Er war selbst bei der Versammlung, engagiert sich fürs Standortmarketing. Er unterstützt die moderierenden Worte des Sozialsenators und ist überzeugt, potenzielle Ängste könne man den Menschen durch Kommunikation nehmen. Peters schüttelt über die Art und Weise, wie Neonazis die Notunterkunft für sich instrumentalisieren, den Kopf. „Marzahn-Hellersdorf ist doch als ,Ort der Toleranz’ ausgezeichnet worden“, sagt der 52-Jährige. Also das glatte Gegenteil von dem, wozu jetzt einige Rechte die Debatte im Bezirk benutzen.

Die historische Verantwortung der Deutschen

Er will zwischen Anrainern und den Behörden vermitteln, auch als ehrenamtlicher Geschäftsführer des Vereins Marzahn-Hellersdorfer Städtepartnerschaften, dazu gehören der Stadtbezirk Dktjabr in Minsk, Weißrussland, und Rakospalota im ungarischen Budapest. Gerade war er in Tychy in Polen, im Oktober kommt Hanoi in Vietnam dazu. Seine Tochter Anne, in Marzahn-Hellersdorf geboren, arbeitet beim Flüchtlingswerk der Vereinten Nationen UNHCR, darauf ist Peters stolz. „Ich habe mit ihr geskypt und von der Bürgerversammlung erzählt, und sie hat mit von den Zuständen in den riesigen Flüchtlingszeltlagern erzählt und wie froh sie darüber sei, dass wenigstens einige der traumatisierten Menschen in Hellersdorf eine würdige Zuflucht finden.“ Peters denkt als Historiker daran, „dass wir Deutsche aus tiefer Dankbarkeit, dass uns andere während der Nazizeit Asyl gewährt haben, jetzt helfen sollten“. Laut Sozialverwaltung nimmt Deutschland 5000 Kriegsflüchtlinge aus Syrien auf, rund 250 Menschen werden in Berlin Zuflucht finden, die Notunterkunft in der Schule soll für sie als Gemeinschaftsunterkunft ausgebaut werden. Es werden auch Flüchtlinge aus Irak dort wohnen. Hamid Nowzari, der in Berlin iranische und afghanische Flüchtlinge betreut, weiß, dass viele ältere Nachbarn von Heimen deswegen Angst haben, weil sie nicht genaues wüssten „und denken, da werden jetzt Zelte aufgeschlagen“.

Der Bezirk informierte zu spät

Marzahn-Hellersdorf hätte alle viel eher informieren müssen, wurde gestern kritisiert, etwa über die Wohnungsbaugesellschaft Stadt und Land, der viele Häuser nehe der Schule gehören. Der Bezirk wusste laut Sozialsenator Mario Czaja (CDU) schon länger Bescheid, die zuständige Sozial-Stadträtin habe ihm am 22. Mai die Schule in Kaulsdorf selbst für die Unterbringung vorgeschlagen.

Unterdessen entlädt sich auf der Facebook-Seite der Bürgerinitiative Marzahn-Hellersdorf „Wir sind das Volk! Nein zum Heim!“ im Internet der Unmut über das Prozedere im Bezirk, da wird auch gegen das Heim und die Menschen gehetzt.

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