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Neukölln: Der Nahostkonflikt im Kiez

In Neukölln geraten regelmäßig junge Türken und Araber aneinander. Über die Gründe dafür wird gestritten. Ein Streifzug durch ein Berliner Problemviertel.

Die Sonnenallee ist eine der buntesten Straßen der Stadt, eine grelle orientalische Einkaufsmeile. Wenn sich die Tür zu einem Café öffnet, strömt der Duft von klebrigem Früchtetabak auf die Straße. Drinnen blubbern Wasserpfeifen, Männer trinken Tee, draußen riecht es nach würzigem Essen aus den Imbissbuden, Frauen schleppen tütenweise Einkäufe nach Hause. Das nördliche Ende der Sonnenallee hat einen Spitznamen: Gazastreifen. Denn fast alle Geschäfte hier gehören Arabern. Sie kommen aus dem Libanon, Syrien oder aus Nordafrika. Etwa 10 000 sind es im Stadtteil, sie stehen rund 40 000 Türkischstämmigen gegenüber.

Die Gegend ist ein Musterbeispiel für einen Brennpunkt: Rund die Hälfte der Bewohner ist arbeitslos. An den meisten Schulen sucht man vergeblich Schüler, die Lisa oder Thomas heißen. Laut Bezirksverordnetenversammlung verlassen drei von vier Jugendlichen die Schule ganz ohne oder nur mit einem Hauptschulabschluss. Die sozialen Probleme führen zu einer Art Rechtsvakuum: Seit 1990 hat sich die Anzahl der Raubdelikte und Körperverletzungen mehr als verdreifacht. Und immer wieder kommt es zu gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen arabischen und türkischen Jugendlichen.

"Das Zusammenleben funktioniert hier reibungsfrei"

Da, wo die Arabermeile aufhört, in der Nähe der Polizeiwache 54, befindet sich Oktays* Kiosk. Oktay ist groß, Türke und hat strahlend weiße Zähne. Die sieht man oft, denn er lächelt ständig. „Das Zusammenleben funktioniert hier reibungsfrei“, sagt der 31-Jährige. Kein Problem also? Oktay nickt mit dem Kopf nach oben – die türkische Körpersprache für „nein“. Und was ist mit den kriminellen Stammesstrukturen, den „Clans“, von denen man hört? „Ja“, er lächelt jetzt noch höflicher, „kriminelle Familienbanden gibt es.“ Mit denen lege man sich besser nicht an. Erst vor wenigen Wochen gab es ein Blutbad am U-Bahnhof, da vorne, wo jetzt Pfützen am Straßenrand stehen. Aber im Alltag, wie gesagt, „keine Probleme“. Draußen fährt eine Polizeistreife mit Blaulicht und Sirene vorbei. Unterschiede? Die gibt es, sagt Oktay. „Araber machen viel mehr Kinder als Türken und die Jugendlichen bei denen sind aggressiver drauf.“ Warum das so ist, weiß er auch nicht.

Parallel zur Sonnenallee verläuft die Karl-Marx-Straße, die zweite Einkaufszone im Kiez: Hier befindet sich das Deutsch-Türkische Zentrum, Mitglied im Migrationsbeirat der Bezirksbehörde. Der Vereinschef Adnan Gündogdu sitzt an einem ausladenden Tisch, über dem ein großes Bild von Atatürk hängt, dem türkischen Staatsgründer. „Spannungen zwischen den ethnischen Gruppen in Neukölln existieren durchaus“, sagt Gündogdu. Doch wer über die Gruppen reden will, müsse erst ihre Herkunft verstehen – „ihre Psychologie“. Die Araber zum Beispiel bekämen nur deshalb so „unglaublich viele Kinder“, weil sie unterbewusst den Krieg im Nahen Osten noch nicht überwunden hätten. „Kein Wunder“, sagt Gündogdu, viele von ihnen besäßen nur Asylantenstatus und könnten nicht arbeiten gehen. Deshalb seien die Jugendlichen so aggressiv. „Abgesehen davon sind die Araber viel weniger kulturreich als wir“, fügt er noch hinzu.

Nährboden für pubertäres Kampfgehabe

Die Bereicherung der Kultur hat sich das „Arabische Kulturinstitut“ im Rollbergviertel auf die Fahne geschrieben. In einem breiten Flur, dem Gesprächsraum des Kulturinstituts, sitzt Nazar Mahmood. Er ist Iraker, hat zu DDR-Zeiten an der Berliner Humboldt-Universität promoviert und vor acht Jahren diesen Verein gegründet. Für ihn sind die Probleme zwischen Türken und Arabern hausgemacht: „Die feindselige Haltung der Eltern, die sie aus den krisenreichen Heimatregionen mitbringen, spiegelt sich bei manchen in der Schule wieder.“ Die latenten Spannungen fußen auf wechselseitigen Vorurteilen: Palästinensische Araber werfen den Türken gerne vor, mit Israel zu kollaborieren, während irakische und syrische Araber mit den Türken über die Hoheit der Gewässer von Euphrat und Tigris streiten. Satellitenfernsehen aus der Heimat informiert die Eltern über die neusten diplomatischen Streitigkeiten. Und manche Kinder übertragen diese politischen Spannungen in ihren Alltag. Der Nahostkonflikt lebt dann im Kiez weiter. Mahmood erklärt: „Beide Gruppen haben eine ähnliche Mentalität. Sie frönen der gleichen bedingungslosen Solidarität mit den eigenen Landsleuten und legen großen Wert auf die Ehre der Männer.“ Der perfekte Nährboden für pubertäres Kampfgehabe auf Schulhöfen.

Ein paar Straßen weiter, im Hinterhof eines Geschäftshauses am Kottbusser Damm: Eine große Halle wurde mit Billardtischen und einer Teeküche zum Freizeitraum umfunktioniert. „Wir haben hier keine Probleme mit Arabern“, sagt Kenan Bulus, ein Mitglied des Muradiye Moscheevereins. „Wir haben Probleme mit Arbeitslosigkeit und 100 Prozent Migrantenanteil an Schulen.“ Kenan Bulus beendet sein Schachspiel, um sich ganz den Problemen im Kiez zu widmen. Der 42-Jährige ist aufgebracht, er fühlt sich vergessen von der deutschen Gesellschaft. „Wo schicken denn all die Humanisten, die Ökodeutschen aus Kreuzberg und Neukölln ihre Kinder zur Schule?“ Ihn macht es wütend, dass ständig von Integrationsmängeln der Migranten die Rede ist. Dabei seien es die Deutschen, die sich in Neukölln nicht integrieren.

*Name von der Redaktion geändert

Ferda Ataman

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