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Zupacken. Schulsozialarbeiter geben Jugendlichen das, wofür im angespannten Schulalltag kaum Muße bleibt: Sie hören Schülern zu, fordern und fördern sie, gehen auf stille Kinder ein, bei denen es womöglich unter der Oberfläche brodelt. Hier erarbeitet ein Sozialarbeiter der Trave-Grundschule in Friedrichshain mit Schülern ein Theaterstück.

© Thilo Rückeis

Update

Kahlschlag im Problemkiez: Neukölln kürzt die Jugendhilfe

Neuköllns Bezirksbürgermeister Buschkowsky droht mit Radikalkürzungen bei der Jugendprävention. "Ich musste die Reißleine ziehen", sagt er.

Heinz Buschkowsky war schon immer für Überraschungen gut – aber das, was sich jetzt im Vorwahlkampf in seinem Bezirk abspielt, schreckt viele auf in der Sommerferienpause. Da schickt der Bezirk an 14 Schulstationen und 49 freie Träger der präventiven Jugendarbeit einen Brief: Kündigung, zum 30. September soll Schluss sein, Aus. Unterschrift: SPD-Bildungsstadträtin Franziska Giffey. Der vom Rütli-Schock geschüttelte Bezirk setzt jetzt seine eigenen Jugendgewaltverhinderer auf die Straße? Ganz gleich, ob die auf Jugend- und Schulthemen spezialisierten Abgeordneten der Berliner Parteien und Pressesprecher von freien sozialen Trägern die Nachricht beim Schwarzwaldwandern oder Schwimmen im Weddinger Plötzensee erreichte, die Reaktionen lauteten einstimmig: „unverantwortlich, katastrophal, unhaltbar“.

Überall im Bezirk flattern schon Protestplakate an Jugendclubs und Schulen, und an diesem Mittwoch wollen die Betroffenen zur öffentlichen Sondersitzung der Bezirksverordnetenversammlung um 17 Uhr ins Rathaus Neukölln ziehen. Bezirksbürgermeister Buschkowsky selbst war tagsüber nicht zu erreichen, meldete sich aber am Abend.

„Ich musste die Reißleine ziehen“, sagte er: Jugendstadträtin Gabriele Vonnekold (Grüne) habe ein drohendes Defizit von über vier Millionen Euro bei der Jugendhilfe verschwiegen, und er könne sich doch nicht den Haushalt „ruinieren und Bezirkspolitik in Neukölln auf Dauer unmöglich machen“. Der 30. Juni war der letztmögliche Tag für die Kündigung der freien Träger, sagte er, aber in dem Schreiben stehe auch, dass man nach Alternativen suche. 170 Stellen bei der Jugendgewaltprävention, Streetworkern, Schulstationspädagogen sind betroffen, das hatte der Paritätische Wohlfahrtsverband als Dachverband freier Träger aufgedeckt.

„Klar, dass die Betroffenen klagen“, sagte Buschkowsky, „aber selbst mit all’ diesen Stellen käme nur eine Million Ersparnis zusammen.“ Er sagte, die Jugendstadträtin Vonnekold habe die Mehrausgaben mit höheren Kosten für Großfamilien und für Roma begründet. In Berlin kann der Senat in solchen Fällen Bezirksmehrausgaben teilweise abfedern – ob und in welcher Höhe das für Neukölln der Fall ist, war gestern aber noch unklar.

Jens Schielmann, leitender pädagogischer Mitarbeiter beim Jugendhilfe-Stretworkprojekt „Outreach“, ist jemand, der mit arabischen Jugendlichen arbeitet, und natürlich, sagt er, schockt ihn die Kündigung. Vier hauptamtliche Mitarbeiter der Einrichtung „Blueberry“ engagieren sich, „einzugreifen, bevor sich Negativkarrieren manifestieren, bevor das Kind in den Brunnen gefallen ist“. Auch Honorarkräfte und Ehrenamtliche haben Vertrauensverhältnisse zu Problemkids aufgebaut, gehen in Elektronikfachgeschäfte, in U-Bahnhöfe, sprechen Jugendliche an, die sich trauen, den Pädagogen zu sagen, dass sie mit dem Gesetz in Konflikt geraten sind oder dass ihr Vater sie schlägt.

„Fast alle Kinder- und Jugendtreffs und Schulstationen in Neukölln müssen schließen!“, steht kämpferisch auf dem „Blueberry“-Jugendhausflyer. Sascha Steuer, CDU-Bildungsexperte, warnt davor, durch mögliche Schnellschüsse wie diese „vorsorgliche“ Kündigung langfristig Aufgebautes kaputtzumachen. „Um Schulstationen haben wir nach Rütli doch jahrelang gerungen.“

Özcan Mutlu, Bildungsexperte der Grünen im Abgeordnetenhaus, sagt: „Was man heute nicht in die Prävention steckt, zahlt man morgen bei der Kriminalitätsbekämpfung dreifach drauf“. Er verstehe nicht, „was Buschkowsky nach dem Rütli-Schock reitet, in diesem sensiblen Bereich zu kürzen“. Er hoffe, die SPD Neukölln werde es schaffen, die Kündigungen zurückzunehmen.

Der Bezirksbürgermeister sagt, es sei unfair, dass jetzt andere Ressorts wie die Abteilung Bau leiden müssen. Am Mittwoch solle sich die Jugendstadträtin erklären, die laut Buschkowsky nach Kenntnis des Defizits in den Urlaub gegangen war.

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