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Update

Getöteter 22-Jähriger: Liebesbriefe, Blumen und eine Fahne - Trauer in Neukölln

In der Nacht zu Donnerstag hat ein Mann in Berlin das Feuer auf eine Gruppe junger Männer eröffnet. Ein 22-Jähriger wurde getötet, zwei Jugendliche wurden schwer verletzt. Jetzt herrscht Trauer und ein Verdacht.

Am Tag nach den tödlichen Schüssen auf einen 22-jährigen türkischstämmigen jungen Mann gleicht der Tatort einem Wallfahrtsort. Zahlreiche Blumen werden abgelegt, Autofahrer halten an, um Bilder zu machen oder für einen kurzen Moment inne zu halten. Es fließen viele Tränen. An einem Baum sind Plakate festgemacht, auf denen der Name des Opfers steht und: "Burak, Zeiten vergehen, Erinnerungen bleiben..." Und direkt darunter steht: "Deutschland, wir wollen Gerechtigkeit". Dutzende Menschen haben unterschrieben oder zücken jetzt einen Stift. Noch ist zwar nicht geklärt, ob es sich um einen fremdenfeindlichen Hintergrund bei der Tat handelt, aber die Polizei kann derzeit nichts ausschließen. Auch ein durchgestrichenes Hakenkreuz ist vor Ort zu sehen. Außerdem ist ein vier Seiten langer Liebesbrief abgelegt, der mit den Worten "Burak, mein Schatz..." beginnt und aus dem große Verzweiflung und Unverständnis spricht. Unterzeichnet sind die Karoblätter in DIN-A4-Größe mit den Worten "In ewiger Liebe". Auch ein Bild des Opfers ist zu sehen, ganz oben am Baum - darunter flattert eine türkische Fahne im Wind.

Ein türkischstämmiger Berliner ist auch zum Tatort gekommen. Er arbeitet im Klinikum Neukölln, das gleich gegenüber dem Tatort liegt. "Ich kann es nicht fassen", sagt er und fordert, dass jegliche Waffen verboten gehören. Er sei in der Nacht von Mittwoch auf Donnerstag durch die Schüsse aufgewacht. "Dann habe ich die Körper noch auf der Straße liegen sehen", sagt er. Seiner Meinung nach habe es sehr lange gedauert, bis die Krankenwagen vor Ort waren - obwohl das Klinikum so nah war. "Es ist unfassbar, dass der Täter noch frei herumläuft", sagt der Berliner Türke, der gegenüber dem Tatort am Krankenhaus wohnt und seit 35 Jahren in Deutschland lebt. Auch ein junger Deutscher aus Kreuzberg ist zum Ort des Geschehens gekommen. Er legt eine weiße Rose nieder und sagt: "Ich weiß nicht, ob es einen rechtsextremen Hintergrund für die Tat gibt, aber ich will auf jeden Fall ein Zeichen setzen."

Am Freitagmittag konnte die Polizei noch immer keine genauen Angaben zum Hintergrund der Schüsse auf eine Gruppe junger Männer machen, bei denen der 22-Jährige in der Nacht zu Donnerstag getötet wurde und zwei Jugendliche verletzt wurden. "Es werden noch zahlreiche Zeugen befragt", sagt ein Polizeisprecher.

Mittlerweile sind etliche Blumen am Tatort in der Rudower Straße abgelegt, Kerzen brennen. Manche, die den Getöteten kannten, wollen gegenüber den Medien nichts sagen. "Stellen Sie sich vor, es wäre Ihr Freund, Ihr Verwandter, würden Sie dann mit Fremden über ihn reden wollen?" Zwei junge Frauen sind am Donnerstagabend zum Tatort gekommen. Sie ringen um Fassung. Nach einer Weile gehen sie davon. Sie sind nicht die einzigen, die an dem Ort des Verbrechens ihre Trauer zum Ausdruck bringen. Ein paar Blumen liegen auf der Straße und erinnern an die Opfer. Und auch manche Schaulustige bleiben stehen, manche Autofahrer bremsen ab, wenn sie durch die Straße fahren, um den Tatort zu betrachten.

Was man bisher weiß

In der Nacht zu Donnerstag hat im Neuköllner Ortsteil Britz ein Unbekannter das Feuer auf fünf junge Männer eröffnet und dabei einen 22-Jährigen getötet. Nach bislang unbestätigten Berichten soll der Mann von einer Kugel in den Kopf getroffen worden sein. Offenbar war der Täter ohne jede Warnung an die Gruppe der 16- bis 22-Jährigen herangetreten. Es habe nach ersten Ermittlungen keinen Streit gegeben, hieß es aus Polizeikreisen. Die jungen Männer hätten auf dem Gehweg zusammengestanden und sich unterhalten. Der Hergang sei ungewöhnlich für eine solche Tat, hieß es weiter. Die Polizei ermittelt in alle Richtungen.

Auch ein rechtsradikaler Hintergrund kann bei einer solchen Tat nicht ausgeschlossen werden. Nach den Schlampereien bei der Verfolgung der Mordserie an türkischstämmigen Bürgern durch die Neonazis der "NSU" sind die Ermittler hier besonders sensibilisiert. Auskünfte, ob nun speziell in diese Richtung ermittelt werde, gibt die Polizei aber derzeit nicht. Auch Gerüchte, dass eine gescheiterte Beziehung des 22-Jährigen eine Rolle gespielt haben könnte, blieben unbestätigt. Am Freitagmorgen kann die Polizei noch keine näheren Erkenntnisse zu dem Tathergang und den Hintergründen machen. "Es werden noch zahlreiche Zeugen befragt", sagt ein Polizeisprecher.

"Aus unserer Sicht handelt es sich hier um eine Gruppe junger Männer, die friedlich beieinander saß und dann plötzlich attackiert wurde", sagte ein Polizeisprecher über die Opfergruppe.

Nach Polizeiangaben starb das 22-jährige Opfer im Krankenhaus. Zwei weitere Jugendliche im Alter von 16 und 17 Jahren wurden lebensgefährlich verletzt. Sie mussten wegen ihrer Schusswunden noch in der Nacht notoperiert werden, sind aber mittlerweile außer Lebensgefahr, wie ein Polizeisprecher sagte. Der Tote stammt nach Medienberichten aus einer türkischen Zuwandererfamilie. Die Schwerverletzten im Alter von 16 und 17 Jahren sind angeblich russischer und arabischer Herkunft.

Der Täter entkam zu Fuß. Bislang haben die Fahnder nur eine vage Personenbeschreibung, nach der der Täter ca. 1,80 Meter groß sei und einen dunklen Kapuzenpulli getragen haben soll.

Der Schütze soll die Gruppe in der Rudower Straße 51, gegenüber dem Klinikum Neukölln, angesprochen und dann das Feuer eröffnet haben. Das Motiv ist noch unklar. "Derzeit liegen die Hintergründe noch völlig im Dunkeln", sagte der Polizeisprecher. Die Ermittler befragten am Donnerstagmorgen die beiden jungen Männer im Alter von 21 und 22 Jahren, die bei der Tat unverletzt geblieben waren. Von ihnen versprechen sie sich nach Angaben eines Sprechers nähere Hinweise.

Eine Anwohnerin der Rudower Straße 51 hatte die Ereignisse in der Nacht mitbekommen. Zwischen 1 und 1:30 Uhr kam es ihren Angaben zufolge - und entgegen den Ermittlungsergebnissen der Polizei - zu einer lautstarken Auseinandersetzung auf der Straße. "Da habe ich mir noch nichts weiter bei gedacht, weil das hier öfter mal vorkommt", sagt sie. Dann habe es drei- bis viermal laut geknallt. Zunächst habe sie an Silvesterböller gedacht. Dann sei das Geschrei aber heftig geworden und sie habe aus dem Fenster geschaut und drei Männer auf dem Boden liegen sehen - zwei hätten sich noch bewegt und der dritte habe leblos da gelegen. Der Fahrer eines vorbeifahrenden Autos habe gehalten und die Polizei gerufen. Andere Anwohner berichten davon, dass der Polizeieinsatz bis in den frühen Morgen dauerte. Mitten auf der Straße sind noch Spuren der Tat zu erkennen. (mit dpa/dapd)

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