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Ein Unterstützerplakat für das besetzte Haus in der Rigaer Straße.

© Timo Kather

Update

Polizeieinsatz in Berlin-Friedrichshain: Canan Bayram zu "Rigaer 94": Zweifel, dass Flüchtlinge einziehen

Die Polizei war erneut in der Rigaer Straße 94 im Einsatz. Die Hausverwaltung hatte Schutz angefordert, um Flächen im Erdgeschoss zu räumen. Flüchtlinge sollen einziehen.

Als der behelmte Bautrupp den Sperrmüll zum Schuttcontainer bringt, wird es laut auf dem "Dorfplatz" an der Kreuzung Rigaer Ecke Liebigstraße. „Hey, das können wir noch brauchen!“, schallt es über das Absperrgitter, das die 60 Schaulustigen – Anwohner und Mitglieder der linken Szene – von dem Wohnprojekt „Rigaer 94“ trennt. Die Beamten auf der anderen Seite des Gitters haben ein Einsehen: Die Aktivisten dürfen sich am Sperrmüll bedienen. Gerettet werden: ein riesiges Sonnensegel, ein Zimmerofen, Kickertisch und Tischtennisplatte sowie die eine oder andere Couch.

Der Rest wandert auf den Müll. Die Bauarbeiter haben am Mittwochmorgen um 7.30 Uhr angefangen. Ihr Job ist, im Auftrag der Hausverwaltung den Dachboden im Vorderhaus sowie zwei Flure im Erdgeschoss des Seiten- und des Nebenflügels leer zu räumen. Außerdem sollen Mängel beim Brandschutz behoben, Fluchtwege freigeräumt und der Sperrmüll im Hof entsorgt werden. Allein von da werden zwei Dutzend ausgediente Kühlschränke nach draußen getragen. Daneben wandern Weihnachtstannen, ein bis zwei Dutzend Backsteine, Altlaub, Metall- und Holzabfälle auf den Müll, außerdem etwa 60 Fahrräder, für die sich niemand verantwortlich fühlt. Sogar ein Rollstuhl wird aus dem Haus getragen. In einer Werkzeugkiste werden Waffen entdeckt: drei Schlagstöcke – darunter zwei Teleskopschlagstöcke – und eine Pistole.

Noch sei nicht klar, ob es sich um eine Schreckschuss- oder eine scharfe Waffe handele, sagt ein Polizeisprecher. Insgesamt 300 Polizisten schützen den Bautrupp; die „B.Z.“ zählt exakt 22 Handwerker. Immer wieder gibt es in der Rigaer Straße Auseinandersetzungen zwischen Linksextremisten und Staatsmacht.

Im Januar war das Wohnprojekt vom SEK gestürmt worden, nachdem am Gebäude ein Kontaktbereichsbeamter attackiert worden war. Anschließend hatte eine Debatte um die Angemessenheit des Einsatzes die Innenpolitiker beschäftigt. Diesmal ist die Polizei auf Bitten des Eigentümers vor Ort. Voriges Jahr sei man zweimal unter Androhung von Gewalt aus dem Gebäude gejagt worden, daher habe man die Polizei um Unterstützung ersucht, heißt es.

Eigentümer des Gebäudes ist die "Lafone Investment Ltd." mit Sitz in London und laut einer Datenbank der Nachrichtenagentur Bloomberg mit einer weiteren Adresse auf den Britischen Jungferninseln. Als Direktor der Firma ist der britische Anwalt John Richard Dewhurst aufgeführt. Sein Name taucht in anderem Zusammenhang in den Datensätzen der "Panama Papers" auf. Firmen und Konten im Ausland, also auch auf den Britischen Jungferninseln oder in Panama, zu führen, ist jedoch zunächst einmal nicht strafbar. Darauf weist auch das Journalisten-Konsortium ICIJ hin, dass die Leaks um die "Panama Papers" enthüllt hatte.

Die leeren Räume sollen instand gesetzt und hinterher an „Flüchtlinge mit regulären Mietverträgen zu Konditionen des Berliner Mietspiegels als Wohnraum“ abgegeben werden, wie es in der Erklärung der Hausverwaltung heißt. Canan Bayram, Anwohnerin und Grünen-Abgeordnete, nimmt dem Eigentümer dieses hehre Ziel nicht ab: „Das ist eine reine PR-Maßnahme. Ich habe große Zweifel, dass tatsächlich Flüchtlinge einziehen.“ Bisherige Bemühungen, im Kiez Wohnungen für Geflüchtete zu finden, seien an den hohen Mieten gescheitert.

Bayram kündigt an, genau hinzuschauen, ob tatsächlich Flüchtlinge ins Haus einziehen werden. Bis auf einige Streitereien am Absperrgitter und die obligatorischen „Haut ab!“- Rufe bleibt es friedlich. Das ebenfalls von linken Aktivisten bewohnte Haus Liebigstraße 14 beschallt die Sperrmüllaktion mit Punkmusik. Dann erscheint das Ordnungsamt auf der Bildfläche; irgendwem ist die Musik zu laut. Die Leute am „Marktplatz“ konzentrieren sich sofort darauf, die beiden Bezirksangestellten zu vertreiben. Diese ziehen unter Polizeischutz – und höhnischen Kommentaren der Aktivisten – von dannen. Wenige Sekunden später wird die Musik in der Liebigstraße tatsächlich leiser gestellt. Die Polizei zieht eine positive Zwischenbilanz des Einsatzes: Man sei zufrieden, es sei ruhig, sagt ein Polizeisprecher.

Am Abend kam es allerdings in Kreuzberg vereinzelt zu Randalen; vermummte werfen laut Polizei Scheiben ein. In der Rigaer sollen private Wachschützer dafür sorgen, dass die leeren Räume nicht wieder zweckentfremdet werden. Klappt das nicht, will die Polizei noch einmal vorbeischauen. Polizeipräsident Klaus Kandt kündigte vorsorglich an: „Wir werden dafür sorgen, dass der Baufortschritt in der Rigaer Straße weitergeht, damit der Raum genutzt werden kann.“ Nicht von linksextremen Aktivisten, sondern von Flüchtlingen.

Anmerkung der Redaktion: Aufgrund eines redaktionellen Fehlers war der Absatz über den Eigentümer des Gebäudes zwischenzeitlich aus dem Text verschwunden. Das haben wir rückgängig gemacht und die Information wieder aufgenommen.

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