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Der Stoff, aus dem Albträume sind. Crystal Meth zählt zur Gruppe der Amphetamine, zu der auch Speed gehört.

© picture alliance / dpa

Die Teufels-Droge: Crystal Meth wirkt extrem zerstörerisch

Volker Beck soll mit Crystal Meth erwischt worden sein. Die Droge ist extrem gefährlich - und wird im Berliner Raum immer beliebter. Ein Report.

Von Sandra Dassler

Volker Beck soll mit Crystal Meth erwischt worden sein. Er wäre nicht der erste Politiker in Berlin: Bereits 2014 wurde bekannt, dass der SPD-Innenexperte Michael Hartmann in der Laubenkolonie Samoa am S-Bahnhof Priesterweg die Droge gekauft haben soll. Crystal Meth steigert kurzzeitig die Leistungsfähigkeit. Aber die Droge macht auch extrem aggressiv und hemmungslos und zerstört ihre Opfer nach kurzer Zeit. Der Tagesspiegel hat erst kürzlich über die Ausbreitung der Droge berichtet. Wir veröffentlichen den Report hier aus aktuellem Anlass noch einmal.

Dass es auf der Autobahn manchmal aggressiv zugeht, ist nicht neu. Dass ein Autofahrer aber ausgerechnet einen Einsatzwagen der Autobahnpolizei auf der A 15 zwischen Cottbus-West und Vetschau beim Überholen brutal zur Leitplanke abdrängte, überraschte selbst die Beamten.

Sie fuhren dem Rowdy nach, forderten ihn zum Anhalten auf, doch der dachte gar nicht daran. Erst nach mehreren Kilometern hielt er auf dem Standstreifen an – aber nur, um gleich zu Fuß weiter zu flüchten. Als sich ihm die Polizisten in den Weg stellten, ging er derartig aggressiv auf sie los, dass sie ihn fesseln mussten. Die Blutprobe ergab, dass der 29-Jährige nicht nur Alkohol, sondern auch Methamphetamine konsumiert hatte.

„Crystal Meth mal wieder“, sagt die Sprecherin der Polizeidirektion Süd, Ines Filohn: „Wir erleben öfter, dass Crystal-Konsumenten auf Beamte losgehen. Das liegt auch daran, dass die Droge wohl auch das Schmerzempfinden ausschaltet – die Betroffenen kämpfen wie die Löwen, schlagen um sich ohne Rücksicht auf andere und sich selbst.“

Extrem bewusstseinsverändernd

Crystal Meth, Methamphetamin also, das um ein Vielfaches stärker wirkt als andere synthetische Drogen wie Speed oder Ecstasy, hat vor allem in Bayern, Sachsen und im Süden Brandenburgs bereits viele Menschen körperlich, seelisch oder sozial zerstört. Hergestellt wird die auch aus der Fernsehserie „Breaking Bad“ bekannte Droge meist in Tschechien, die Konsumenten kommen aus allen Bevölkerungsschichten: Man nimmt Crystal im Gegensatz zu Ecstasy nicht nur, um durchzutanzen, sondern weil man die Nachtschicht als Pfleger im Seniorenheim überstehen oder bessere Leistungen in der Schule haben will. Oder auch, weil man sich als alleinerziehende Mutter mit der Versorgung von zwei Kindern überfordert fühlt. Die Droge ist relativ billig. In Tschechien kostet ein Gramm etwa sieben Euro, im deutschen Grenzgebiet 15 bis 20 Euro, in Cottbus 50 und in Berlin derzeit um die 100 Euro.

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Crystal Meth ist aber im Gegensatz zu anderen Drogen extrem bewusstseinsverändernd, sagt der Leitende Oberstaatsanwalt von Cottbus, Bernhard Brocher. „Da denkt dann mancher, er sei Superman und könne über Dächer fliegen.“ Das verschaffe unter anderem Autodieben die nötige Energie. „Die fahren dann bei Polizeikontrollen mit 150 Stundenkilometer über Nagelbretter und ohne Luft im Reifen auf Felgen weiter, bis sie die Kontrolle über den Wagen verlieren“, sagt Brocher: „Dabei riskieren sie ihr eigenes und das Leben anderer Menschen.“

Straftaten haben zugenommen

Die Cottbuser Staatsanwaltschaft führt keine gesonderte Statistik über Crystal Meth, aber generell habe die Zahl der unter Drogen begangenen Straftaten zugenommen, sagt Brocher: „Und jede dritte dieser Straftat wurde unter dem Einfluss von Crystal Meth begangen.“

„Kein Wunder“, sagt der Psychiater und Psychotherapeut Karsten Wolff: „Crystal Meth wirkt direkt neurotoxisch, das heißt, es zerstört Hirngewebe schnell und oft irreversibel. Und es schädigt speziell jene Hirnregion, die für die Steuerungsfähigkeit, die Impulskontrolle und die Aggressionshemmung verantwortlich ist. Auf längere Sicht werden die Konsumenten aggressiv und verlieren alle natürlichen Hemmungen. Und sie neigen zu Psychosen: leiden unter Verfolgungswahn oder glauben beispielsweise, am ganzen Körper zu brennen.“

Karsten Wolff leitet als Chefarzt das Zentrum für Psychosoziale Gesundheit am Klinikum Niederlausitz in Senftenberg und Lauchhammer, wo immer mehr Opfer von Crystal Meth behandelt werden müssen. Die Diagnose „Psychische- und Verhaltensstörungen durch Meth- Amphetaminkonsum“ liege bei den Hauptdiagnosen mittlerweile auf Rang 5 und bei den Nebendiagnosen sogar auf Rang 3 aller psychischen Erkrankungen, sagt er: „Beide summiert ergeben eine Zunahme der behandelten Crystal-Patienten von 6 im Jahr 2013 über 61 im Jahr 2014 auf 126 im Jahr 2015.

Die Dunkelziffer wird aber noch deutlich höher sein, da wir Einzeldosen von Meth-Amphetamin nur bis zu 24 Stunden, häufigeren Konsum nur ein bis drei Tage im Urin nachweisen können.“ Weil die Behandlung sehr aufwendig ist und einen hohen Personaleinsatz erfordert, kommt die Klinik inzwischen an Kapazitätsgrenzen, sagt Wolff. Die Droge mache schnell abhängig – manche seien ihr schon nach drei Versuchen verfallen. Das Erstkonsumalter liege bei 17,5 Jahren, wobei die Betroffenen immer jünger werden.

Leistungssteigerung und Hochgefühl

Die gewünschten Effekte wie Leistungssteigerung und Hochgefühl seien nur von kurzer Dauer, sagt Wolff. Schnell stellten sich Konzentrations- und Gedächtnisstörungen ein und schon wenige Jahre oder gar Monate nach Beginn des Konsums könnten manche Betroffene nicht mehr ihren Alltag bewältigen, einer Arbeit nachgehen oder ihre Kinder versorgen. So würden schon 24-Jährige zu Pflegefällen.

Zunehmen würden auch Fälle, in denen Kinder schon im Mutterleib irreversible Schäden erleiden. Laut einer Statistik der Universitätskinderklinik Dresden sei der Anteil drogenkonsumierender Schwangerer von 0,7 Prozent im Jahr 2012 auf 1,4 Prozent 2015 gestiegen, wobei es sich fast nur um Crystalkonsum handelt. Von der Droge wegzukommen, schaffen nur wenige. „90 bis 95 Prozent der Abhängigen, die zu uns kommen, werden rückfällig“, sagt Wolff. „Je früher der Entzug beginnt, umso größer sind die Erfolgschancen. Aber selbst drei bis zwölf Monate nach erfolgreichem Entzug leiden viele noch an schweren Depressionen“.

Finanzielle Mittel fehlen

Im Klinikum Niederlausitz dürfen Mütter inzwischen sogar ihren Nachwuchs mitbringen. „Die würden nicht zum Entzug kommen, wenn ihre Kinder so lange zu Pflegefamilien oder ins Heim müssten“, sagt Wolff. Auch verfolge man ein Gesamtkonzept mit Reha und stationärer Nachsorge – nur so sei ein dauerhafter Erfolg möglich.

Allerdings fehlt es nicht nur im Klinikum Niederlausitz an finanziellen Mitteln. Zwar hat die Staatsanwaltschaft Cottbus schon vor Jahren gewarnt, dass sich die Droge immer weiter in Richtung Norden ausbreitet. Auch engagiert sich die Brandenburgische Landesstelle für Suchtfragen entsprechend. Aber so richtig ernst nimmt man die Bedrohung in Brandenburgs Regierung wohl nicht.

Vielleicht liegt das auch daran,dass die Landeshauptstadt Potsdam bisher einigermaßen von Crystal verschont geblieben ist – genau wie auch die deutsche Hauptstadt. „Crystal Meth ist bei uns in Berlin noch nicht das große Problem“, sagt Berit Wittkopf, die Leiterin der Vista-Suchtberatung in Mitte: „Wir haben hin und wieder einmal Konsumenten, die kommen aber meist ursprünglich aus Bayern, Sachsen oder Thüringen.“

Chem-Sex-Partys werden immer populärer

Eine Ausnahme gibt es - unter Berliner Homosexuellen. Dort werden sogenannte Chem-Sex-Partys immer populärer. „Mit Hilfe von chemischen Drogen, allen voran Crystal Meth, kann man 24 bis 36 Stunden oder noch länger wilde Sexpartys feiern“, sagt der Leiter der Berliner Schwulenberatung, Marcel de Groot: „Leider haben wir dabei immer mehr Opfer zu beklagen.“

Warum das so ist, erklärt sein Mitarbeiter Andreas von Hillner: „Im Gegensatz zu den meisten Konsumenten, die Crystal mittels eines dünnen Papierröhrchens durch die Nase sniefen, injizieren sich die Teilnehmer dieser Chem-Sex-Partys die Droge intravenös. Und zwar leider oft mit dem selben Spritzenbesteck. Das gehört irgendwie zum Kick und viele haben sich dadurch schon mit HIV oder auch Hepatitis C angesteckt. Die Todesfälle resultieren meist aus einer Überdosis oder aus den gravierenden Nach- und Nebenwirkungen der Droge.“ Dazu gehören die erwähnten Depressionen, vor allem aber massive Psychosen. Dann springen die einen aus dem Fenster, weil sie glauben, sie könnten fliegen. Andere springen, weil sie meinen, der Teufel sei hinter ihnen her. Und wieder andere greifen aus dem selben Grund Polizisten an.

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